Opa Bossis Märchen
Opa Bossi kehrt zu den Seinen zurück, und nachdem er seine erneute Kandidatur für den Generalsekretär der Lega Nord angekündigt hat, erzählt er sein Märchen, damit in Vergessenheit gerät, wofür er und seine Partei die Verantwortung tragen. In den Märchen der Lega kommen die Bösen immer aus dem Süden, aus dem ja auch jedes Übel kommt.
“Was passiert ist, war auch ein wenig unsere Schuld. Aber nicht weil jemand gestohlen hat, nach meiner Meinung hat überhaupt niemand etwas gestohlen. Ich muss offen sagen, dass ich hier keine Diebe sehe, ich sehe nur, dass es Irrtümer gab. Wir haben jemanden zum Schatzmeister gemacht, der Verbindungen zur ‚Ndrangheta hat. (Auf Zurufe aus der Menge:) Ja, genau, einen Erdfresser, einen Erdfresser” (Bossi sagte “Terrun”, die lombardische Version von “Terrone”, norditalienisches Schimpfwort für Süditaliener).
Natürlich sagt Bossi nicht, dass er und die gesamte Führungsgruppe der Lega den bisherigen Schatzmeister Belsito auf seinen Posten gehievt hatten. Und er erklärt nicht, warum eben dieser Belsito – über dessen Herkunft und Verbindungen er sicherlich informiert war – auch zum Geschäftsführer von Finmeccanica ernannt wurde, einem der wichtigsten staatlichen Industriekonzerne des Landes. Bossi tut so, als habe er vergessen, dass ein großer Teil der Parteigelder ihrer natürlichen Bestimmung – der Finanzierung politischer Aktivitäten – entzogen und zum persönlichen Nutzen der Familie Bossi verwandt wurden, dem Nutzen der Frau des Leaders und von dessen Söhnen Renzo und Riccardo.
Vorerst applaudiert das Lega-Volk noch, obwohl sicherlich alle wissen, dass die Dinge etwas anders gelaufen sind als wie es Opa Bossi erzählt. Aber ihm verzeiht man alles, auch dass er die Lega mit den versuchten Investitionen in Tansania, dem Erwerb von Diamanten und Goldbarren und der Ernennung der vulgären Rosy Mauro zur Vizepräsidentin des Senats der Lächerlichkeit preisgab. Übrigens: Nach dem Skandal entdeckte Bossi auch bei der Mauro die apulische (süditalienische) Herkunft.
Der Applaus, den dafür Bossi vom Lega-Volk bekam, zeigt, wie wenig es noch um Rationalität geht, (sollte es in der Lega jemals um sie gegangen sein). Um wieder in den Stand der Jungfräulichkeit zurückkehren zu können, schlucken die Wähler jedes Lügenmärchen. Und sollte man nicht Nachsicht üben gegenüber einem senil gewordenen Opa, der unwahrscheinliche und phantastische Märchen erzählt?
Man mag es kaum glauben, aber über lange Jahre und noch bis vor kurzem wurde Bossi von vielen als charismatischer Führer betrachtet, der über politisches Gespür verfügt und ein political animal mit strategischen Visionen ist. Also mit Begabungen, von denen einige glaubten, dass sie auch seine negativen Seiten in den Schatten stellen könnten: den Sezessionismus, die Fremdenfeindlichkeit, die rhetorische Gewalttätigkeit, die zur physischen aufstachelt, die offene Auflehnung gegen eine Verfassung, auf die er mehrmals als italienischer Minister geschworen hatte. Aber von politischem Gespür und Charisma ist im Gestank des Lega-Skandals immer weniger zu bemerken.
Ein aufmerksamer Beobachter der Lega Nord, Prof. Angelo D’Orsi, konstatiert, dass
“nach dem Ende des Politikers nur noch das Tier übrig bleibt, ein leidendes Tier, das aber noch nicht genug leidet, um nicht weiter zu beleidigen, zu schreien, mit dem Stinkefinger zu drohen, was inzwischen nur noch grottesk ist, und mit erhobener Faust (wie bei der Auseinandersetzung mit einem Journalisten, der ihn nach dem Verbleib der unterschlagenen Gelder fragte), was bei den Adressaten dieser Faust nur noch den Wunsch erweckt, mit Vulgaritäten und Hohngelächter zu antworten, nicht aber mit Empörung und Vergeltung.”
Der gleiche D’Orsi bietet eine Definition von Bossi, die uns treffend zu sein scheint:
“Er war schon immer ein Schwadroneur, fasziniert von der Gewalt und mit einer deutlichen und spontanen Neigung zum Vulgären, ein Kneipentyp, der im Dunst des Alkohols um die Ehre des größten Sprücheklopfer kämpft. Und der auf diese Weise, bei schuldhafter Gleichgültigkeit vieler und stillschweigendem Wohlwollen allzu vieler samt seinen Freunden bei den Grünhemden landete, bei der Sezession, möglichst mit Gewehren im Brembana-Tal, oder beim Inszenieren parlamentarischer Eklats, bei Flugblättern gegen “Roma ladrona” (das diebische Rom) und bei Spruchbändern, die das sogenannte Padanien anpriesen” .
Es hat seine Logik, dass sich Opa Bossi vom Aufschneider in der Kneipe zum Märchenerzähler der Lega fortentwickelte.