Gründungsfieber und Katzenjammer

Die Demokratie funktioniert, auch in Italien, die Parteien fürchten sich noch vor Bürgerwut. Seitdem die wichtigsten Parteien eine Regierung unterstützen, deren Sparprogramm Millionen von Menschen harte Opfer abverlangt, wird Korruptheit zur Achillesferse. Schon vor den Kommunalwahlen befürchteten die Parteistrategen – zu Recht –, dass ihnen die Wähler davonlaufen. Entweder zu Beppe Grillo, der dem Protest seine „5-Sterne-Bewegung“ anbietet, oder ins Lager der Nichtwähler.

Nun zündet vor allem die Rechte im Namen ihrer „Erneuerung“ eine Blendrakete nach der anderen. Am eifrigsten die Lega: Ihre frühere Komplizität mit B. soll Radikalopposition in Vergessenheit bringen. Seitdem kürzlich die Korruption der Bossi-Familie aufflog, ist ihr Furor nicht mehr zu bremsen: Sie verbrannte feierlich ein paar Sündenböcke, kündigte (zum wiederholten Male) ihr Bündnis mit B. und versucht jetzt sogar, einen Steuerstreik zu organisieren. Bei den Kommunalwahlen brach sie trotzdem ein.

Auch die PdL-Führung will „erneuern“, mit dunklen Versprechen: Demnächst werde sie eine „Initiative“ präsentieren, „die den Lauf der Politik in Italien ändern und von der innovativsten Wahlkampagne begleitet wird, die unser Land je erlebte“. B. ist zwar für manche Überraschung gut, aber außer dem Namen („Föderation der Moderaten“) scheint er nur zwei Trümpfe im Ärmel zu haben: Erstens den Berlusconi-Freund und früheren Arbeitgeber-Chef Montezemolo, der über einen eigenen Think tank („Italia Futura“) verfügt und den B. als neuen Retter Italiens präsentieren möchte (ob der sich wirklich darauf einlässt?). Und zweitens einen Wahlkampf „im Stile Obamas“, d.h. mit allen Mitteln des Internets. B. hat offenbar immer noch nicht begriffen, dass er selbst das größte Hindernis für eine neue Sammlungsbewegung der Rechten ist. Als ob es nur eine Frage der medialen Technik sei, um sich in einen „zweiten Obama“ zu verwandeln.

Sein erster Stolperstein ist Casini, der Führer der UDC und B.s Konkurrent im Zentrum. Dem schienen vor den Kommunalwahlen Flügel zu wachsen, indem er das (schwindende) Ansehen der Regierung Monti für die eigenen Zukunftspläne zu nutzen suchte. Dafür will er ebenfalls eine „Partei der Moderaten“ gründen, die sich aber von B. abgrenzt und aus einem „Mix von Politikern und Technikern, intelligenten Gewerkschaftern und aufgeklärten Unternehmern“ besteht. „Pol der Nation“ soll sie heißen und einen Teil von Montis gegenwärtigen Ministern einbeziehen. Womit sie zur Gefahr sowohl für die PdL als auch für die PD werden könnte, als Magnet für die zentrums- und kirchennahen Kräfte beider Parteien. Im Vorgriff löste Casini bereits das Leitungsgremium seiner UDC auf. Aber die Kommunalwahlen zeigten, dass sich die UDC damit nur halten kann, ohne einen Durchbruch zu erzielen. Woraus Casini die Konsequenz zog, nun alles auf eine Karte zu setzen und das Projekt „Dritter Pol“, das er vor Jahren gemeinsam mit Finis und Rutellis Mini-Parteien ins Leben rief, für beendet zu erklären. Statt dieser Kopfgeburt will Casini jetzt durch „hundert Städte“ tingeln, um nach völlig neuen Mitstreitern für seinen „Pol der Nation“ zu suchen.

Damit schwimmt er wie ein fetter Happen vor B.s Maul, den dieser allzu gern schlucken möchte. Aber der alte Haifisch hat kaum noch Zähne. Was die PdL bisher zusammenhielt, war B. und die Regierungsmacht. Alles steht in Frage: B. verlor Posten und Charisma, die Wähler flüchten, der wichtigste Bündnispartner (Lega) ging von der Fahne. Da steigt bei den Opportunisten unter seinen bisherigen Anhängern die Angst, bei der PdL aufs falsche Pferd zu setzen, und Casinis Initiative könnte immer noch auf fruchtbaren Boden fallen. Schon schrieben 29 PdL-Senatoren einen Brief an B., der nach Abschied klingt: Da sie „allein nicht weit kommen“ werde, gehe es um eine Perspektive „jenseits der PdL“.

Um sich und seine Geschäfte zu retten, versucht B. die Quadratur des Kreises: Einerseits muss er Neuwahlen – die er gegenwärtig krachend verlieren würde – verhindern und deshalb Montis Regierung weiter unterstützen. Andererseits muss er zu ihm auf Distanz gehen, wenn er bei seinen Wählern noch eine Chance haben will. Vorerst versucht er sich mit Drohgebärden über die Runden zu retten: „Wir werden die Regierung Monti zukünftig nur noch bei den Vorhaben unterstützen, die uns überzeugen“. Aber wenn nun auch Monti zu dem Mittel greift, das B. inflationär einsetzte, und jeweils die Vertrauensfrage stellt? Es gibt das Gerücht, dass B. an einen Supertrick denkt, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Die PdL-Minderheit, die bisher zu B.s Ärger allzu eifrig Monti unterstützt, soll ruhig diese Regierung weiter am Leben halten. Während er sich gleichzeitig mit der PdL-Mehrheit von ihr absetzt, um bei den Neuwahlen im nächsten Frühjahr sagen zu können: Wir waren ja auch dagegen. Eine echte Berlusconi-Idee, „furbissima“ (superschlau) und beschränkt zugleich.

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