Das Elend mit den Quittungen

Wer meint, in einem Land wie Italien müsse sich ändern, was dort eingefleischtes Verhalten ist, der kommt am besten vom Mond oder aus dem kaum weniger weiten protestantischen Norden Deutschlands. Aus der Distanz sieht man besser und handelt man leichter.

Leicht gesagt, schwer getan. Zumal den Italienern die besserwisserischen Deutschen sowieso schon bis hier stehen (spätestens seit Angela Merkel). Die Deutschen, die dann zu allem Überfluss auch noch geliebt werden möchten.

Es geht um das Grundübel Steuerhinterziehung, die es hier nicht nur in Gestalt des reichen Widerlings gibt, der mit seinem Koffer voller Geld in die Schweiz entschwindet. Es beginnt schon im Alltag: beim alltäglichen Bezahlen und der Frage, ob ich dafür eine Quittung bekomme (und wenn ja: was für eine). Es ist der Moment, in dem sich einiges umgehen lässt: der überflüssige Anstieg eines deklarierten Jahreseinkommens, die hohe Mehrwertsteuer. Und in dem sich eine Komplizität nahe legt, auf deren Vorderseite groß „AMICIZIA“ und hinten, klein und hässlich, das Wort „Steuerhinterziehung“ steht.

Aus norddeutscher Berufung und im Gedenken an einen früheren Bundespräsidenten wollte ich den „Ruck“ versuchen und dabei nicht mehr mitspielen – zumindest manchmal und wenn ich direkt beteiligt bin. Darüber möchte ich heute berichten. Wieder geht es um Freund R., der das Strandlokal betreibt, in dem es kleine Köstlichkeiten, kühlen Weißwein, gute Musik, Sonne und glitzerndes Meer gibt. Der seine (inzwischen saftigen) Rechnungen mit Kugelschreiber auf einen winzigen Zettel schreibt und mir vor Kurzem gestand, dass er sich Steuerehrlichkeit nicht leisten könne und somit Angst vor dem Finanzamt habe.

Seitdem stehe ich vor einem Dilemma: Auf der einen Seite meine gute staatsbürgerliche Absicht, dabei nicht mehr mitzuspielen. Auf der anderen Seite Freund R., sympathisch, reizende Frau, kleine Kinder, deren große dunkle Augen vertrauensvoll auf ihm (und wie mir scheint: auch auf mir) ruhen. Soll ich ihm sagen: Hör mal zu, so geht’s nicht weiter? Nein, das wäre zu abrupt, grausam, moralinsauer, „tedesco“. Und wohl auch das Ende unserer Freundschaft.

Der Zufall kam zu Hilfe. Als wir wieder einmal R. besuchen wollten, passierten wir vorher ein anderes Strandlokal, das gerade Herren mit Aktentasche heimsuchten. Nach den üblichen Strandtouristen sahen sie nicht aus. Eine Kontrolle der Finanzpolizei? Mein erster Reflex: Ich muss R. warnen. Mein zweiter: Könnte ich nicht bei der Gelegenheit…

Ich ergriff sie (die Gelegenheit) also beim Schopfe. Als wir bei R. ankamen, flüsterte ich ihm die Warnung zu. Er antwortete: Ich danke Dir. Schon mal ein guter Anfang, dachte ich, denn nun weiß er, dass ich auf seiner Seite stehe. Und so fügte ich vorher Zurechtgelegtes hinzu: Außerdem ist es vielleicht besser, wenn Du wieder ein paar richtige Rechnungen ausstellst, dann bist Du denen gegenüber, die vielleicht gleich kommen, doch besser abgesichert. Worauf er – schon etwas zerstreuter – antwortete: Hast wohl Recht.

Die beiden Aktentaschen-Träger kamen zehn Minuten später, wie sich dann herausstellte, hundsgewöhnliche Vertreter. Alle waren erleichtert. Aber etwas hatte sich verändert: Eine Stunde später hielt ich eine ausgedruckte Quittung in der Hand.

Das war der „Ruck“, und er war keine Heldentat. Ein winziger Schritt nach vorn, ein halber Schritt zur Seite. Ich hatte ihn als Komplize gewarnt. Ich hatte nicht alle, sondern „ein paar Quittungen“ gesagt. Und nur von seinem Interesse gesprochen, nicht von dem hehren Interesse der Gemeinschaft. Aber immerhin: Diesmal war die Quittung gedruckt. Das war schon schwer genug, und darauf werde ich mich nun ein paar Monate lang ausruhen.

Da fällt mir ein: Als mir R. kürzlich gestand, dass er Angst vor dem Finanzamt habe, war es vielleicht doch nicht nur das Geständnis einer bedrängten Freundesseele. Wollte er vielleicht auch erreichen, dass im Kontrollfall (ehrpusselige) Gäste wie ich die Klappe halten? Warum sollte R., bei aller Freundschaft, nicht ähnlich um die Ecke denken wie ich …