Antikorruption mit Fallstricken
Nach monatelangem Tauziehen verabschiedete das Parlament im Juni ein Antikorruptionsgesetz. Justizministerin Severino hatte die Abstimmung an die Vertrauensfrage geknüpft und vorab erklärt, bei diesem Gesetz handele es sich um ein zentrales Vorhaben der Regierung. Weshalb diese bei einem Scheitern „seelenruhig nach Hause gehen“ würde. So weit kam es nicht, aber das Ergebnis der Abstimmung spiegelt die Zerrissenheit der „seltsamen Mehrheit“ wieder, welche die Monti-Regierung trägt: 354 Abgeordneten stimmten mit Ja, 25 (v. a. Di Pietros IdV und 2 von der PdL) mit Nein und 102 enthielten sich, unter ihnen 38 von der PdL. Besonders interessant: 72 PdL-Abgeordnete, u.a. B. und Generalsekretär Alfano, waren erst gar nicht im Parlament erschienen. Damit stellte sich mehr als die Hälfte der PdL-Fraktion gegen das Antikorruptionsgesetz.
B.s PdL missfällt, dass bei diesem Gesetz ihre Erpressungsversuche gegenüber der Justizministerin nur halb gefruchtet haben. Sie wollten erreichen, dass der Straftatbestand der „Concussione“ – auf Deutsch etwa „Nötigung durch eine Amtsperson“ – ganz getilgt wird. Denn damit wäre der Hauptanklagepunkt gegen B. im „Ruby-Prozess“ entfallen (in dem B. durch Druck auf Polizeibeamte eine Verhaftung der jungen Prostituierten verhindert haben soll).
Die Justizministerin befindet sich unter Handlungsdruck, denn auch von der EU werden Veränderungen angemahnt, allerdings mit ganz anderer Intention als die PdL: Die Europäische Kommission bemängelt, dass die gegenwärtige italienische Regelung nur Sanktionen für den „Nötiger“ vorsieht, nicht aber für den „Genötigten“, auch wenn dieser gegen Geld oder andere Vorteile „mitspielt“. Der Nötigungsbegriff sei – so die Kommission – so zu erweitern, dass er die mögliche Verantwortung beider Akteure einschließt. Die Justizministerin entschied sich hier für eine fragwürdigen Kompromiss: Anstelle des geltenden soll ein neuer Straftatbestand mit dem sperrigen Namen „illegitime Anstiftung“ („induzione indebita“) treten, bei dem sowohl die anstiftende Amtsperson als auch ihr Gegenüber im Fokus der Ermittlungen stehen.
Dies wird nun von vielen Seiten kritisiert: Von der PdL, weil sie für die komplette Abschaffung war. Von der oppositionellen IdV, Teilen der PD und zahlreichen Juristen, weil die Gesetzesänderung dazu führen kann, dass die Anklage gegen B. im „Ruby-Prozess“ ihre rechtliche Grundlage verliert. Denn der Straftatbestand, dessen B. angeklagt ist („Concussione“), würde in dieser Form dann nicht mehr existieren .Und für den neu eingeführten könnte er nicht belangt werden, da dieser zum Zeitpunkt der Tat noch nicht bestand. Die Kritiker meinen, man hätte dem Anliegen der EU auch durch eine schlichte Ergänzung des geltenden Gesetzes Rechnung tragen können. Und somit ohne Auswirkungen auf den „Ruby-Prozess“.
In einem weiteren wichtigen Punkt der Justizreform verbuchte die PdL einen Etappensieg. Schon die Regierung Berlusconi wollte die Richter dadurch einschüchtern, dass sie für angeblich fehlerhafte Urteile persönlich haftbar gemacht werden können. Im Februar schaffte es die PdL, gemeinsam mit dem alten Verbündeten Lega Nord (jetzt Opposition), eine solche Neuregelung handstreichartig im Parlament durchzusetzen. Auch hier steht die Entscheidung des Senats noch aus. Die Justizministerin kritisierte, dass es dies in keinem anderen Land Europas gebe und europäischem und nationalem Recht widerspreche. Und daher im Senat revidiert werden müsse.
Doch auch in diesem Fall schlug sie einen Kompromiss vor, der bei Juristen Kopfschütteln auslöst: Zwar sollen nicht die Richter, sondern der Staat bei vermeintlichen Fehlurteilen haftbar gemacht werden (der dann gegenüber den betroffenen Richtern Regressansprüche geltend machen kann), aber nun soll es die Möglichkeit geben, bei vermuteten Fehlurteilen auch gegen letztinstanzliche Urteile des Kassationsgerichts Einspruch zu erheben. Nach Auffassung vieler Juristen stellt dies das nationale Rechtssystem auf den Kopf, denn eine solche Anfechtung sei bisher nur bei europäischen und internationalen – nicht aber nationalen – Rechtsverfahren möglich.
Nun versucht die PdL einen Kuhhandel pro B.: Sie will dem Antikorruptionsgesetz nur zustimmen, wenn das Abhören von Telefongesprächen erschwert, die Verjährungsfristen für Korruption verkürzt und die Strafen für Bilanzfälschung wie zu B.s Zeiten reduziert bleiben. Dafür wäre sie dann auch im Senat zu Zugeständnissen bei der „Rechenschaftspflicht für Richter“ bereit.
Was sagte doch der Emir von Katar – bemerkenswert undiplomatisch – zu Ministerpräsident Monti, als dieser fragte, warum er mit Investitionen in Italien zögere? „Zuviel Korruption“. Ob das jetzige Antikorruptionspaket reicht, um des Emirs Zweifel zu zerstreuen, ist fraglich. Besonders dann, wenn die Regierung dem Druck von B. noch weiter nachgibt.