Monti ruckt Merkel
Den Ruck, der am vergangenen Freitagmorgen in Brüssel durch Angela Merkel ging, gab sie sich nicht selbst. Mario Monti gab ihn ihr – zur Überraschung aller, die es gewohnt sind, in der Merkel die „eiserne Lady“ und in Monti einen netten älteren Herrn mit guten Manieren und Lodenmantel zu sehen.
In dieser Nacht hat Monti gepokert. Auf dem EU-Gipfel wollte die Merkel ihren kruden Sparkurs für Europa verteidigen. Aber Monti wusste, dass sie unbedingt den sog. „Wachstumspakt“ mit nach Haus bringen musste. Denn da sie den Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt nur mit Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat durchbringen kann, braucht sie SPD und Grüne, die ihre Zustimmung wiederum an den Wachstumspakt koppeln, der den Fiskalpakt ergänzt. Worauf Monti – im Verein mit dem spanischen Regierungschef Rajoy, in Absprache mit Hollande, mit dem Segen von Obama und in ständiger telefonischer Verbindung mit dem italienischen Staatspräsidenten, der in Brüssel über höchstes Ansehen verfügt – erklärte, er werde dem Wachstumspakt nur dann zustimmen, wenn die südeuropäischen Länder wieder Luft zum Atmen bekämen, wenn also Merkel vorher substantielle Zugeständnisse zur Sicherung der Banken und Verminderung des Spread mache.
Er drohte also damit, nicht nur diesen Gipfel, sondern auch Merkels ganze Konstruktion zum Platzen zu bringen, denn ohne Wachstumspakt keine Zweidrittelmehrheit, und ohne die kein Fiskalpakt. In der Nacht zum Freitag soll Monti zeitweise mehr als zwanzig europäische Regierungschefs gegen sich gehabt haben, die ihm, schockiert durch die drohende politische EU-Krise, das Ultimatum ausreden wollten. Aber er behielt die Nerven, und es war die „eiserne Lady“, die schließlich nachgab. Was Monti in dieser Nacht tat, könnte man auch Erpressung nennen. Mit positivem Ergebnis, denn nicht einmal Deutschland hätte etwas davon gehabt, wenn Italien immer tiefer in den Teufelskreis Verschuldung – Bankenrettung – noch höhere Verschuldung usw. hineingeraten wäre. Und es spricht nicht gerade für Angela Merkel und ihre Koalition, dass sie nur durch Erpressung zu einer halbwegs rationalen Europapolitik gezwungen werden konnte.
Die Gesamtbilanz des Gipfels ist positiv. Europa bleibt weiterhin die bittere Medizin der Sparsamkeit verordnet, dafür bürgen nicht nur Angela Merkel und die Verbündeten Holland und Finnland, sondern auch Regierungschefs wie Monti. „Wir wollen weiterhin der Merkel geben, was der Merkel ist“, las man in Anspielung auf ein Bibelwort in der „Repubblica“. Wo das reine Sparregime durch Lockerungen beim Schuldendienst und durch Wachstumsanreize ergänzt wird, wird dies durch ein „Mehr an Europa“, das heißt durch die Abgabe nationaler Souveränitätsrechte ausbalanciert (was z.B. für Frankreich keineswegs selbstverständlich ist). Der Spread der italienischen Staatsanleihen sank um 50 Punkte. Sogar die deutschen Stammtische können aufatmen: Nach dem Gipfel sind die Renditen für deutsche Staatsanleihen – oh Entsetzen! – von 1,4 auf 1,6 % gestiegen. Das zum Thema, ob wir Deutschen „wieder einmal die Schulden Europas zahlen“.
Politisch führte der Gipfel dazu, dass Monti in Italien wieder fester im Sattel sitzt. Berlusconi, der unverhohlen auf Montis Scheitern setzte, und mit ihm die nationalistische Rechte Italiens müssen wieder kleinere Brötchen backen. In Europa ist aus dem Führungsduo Merkozy der Viererclub Deutschland-Frankreich-Italien-Spanien geworden. Ist das schlecht für Europa?
Man stelle sich vor, nicht Monti, sondern Berlusconi hätte Italien in Brüssel vertreten. Niemand hätte ihm überhaupt zugehört. Monti konnte pokern, weil er in den vergangenen Monaten Italien auf der europäischen Bühne wieder glaubwürdig gemacht hat.