In zwei Ländern zu Hause

Nach den zwei Toren von Balotelli (der übrigens auch das multiethnische Europa symbolisiert) genügte das Lächeln eines Fernsehmoderators, des Deutsch-Italieners Ingo Zamperoni, um im Web eine lebhafte Diskussion auszulösen. Die einen verurteilten, dass er sich nicht sofort auf die Seite der deutschen Mannschaft schlug, und sahen in diesem Lächeln journalistischen Hochverrat. Die anderen verteidigten sein Recht auf eine eigene, spezifische Identität – weder deutsch noch italienisch, sondern eben deutsch-italienisch.

Ohne es zu wollen, wurde so der junge und kompetente ARD-Journalist Ingo Zamperoni zum Symbol einer neuen Generation von Frauen und Männern, die in Deutschland in einer bikulturellen (und zum Glück auch oft zweisprachigen) Familie aufwuchsen und in deren Brust „zwei Herzen schlagen“. Junge Leute, die sich meist nicht auf die Prototypen des „Deutschtums“ oder der „Italianität“ festlegen lassen, sondern die sich Schritt für Schritt ihre eigene Identität zusammenbasteln. Die die Vor- und Nachteile beider Länder und ihrer jeweiligen Bevölkerungen kennen und durchaus in der Lage sind, jene zu schätzen und diese zu kritisieren, ohne jedoch in den geistigen Schützengräben zu bleiben, in denen oft noch ihre Eltern hockten. Sie fühlen sich sowohl als Italiener (oder Spanier oder Türken…) als auch völlig deutsch. Ohne Exhibitionismus, aber auch ohne falsche Scham.

Wenn sie die Fußballmannschaften ihrer beiden Länder spielen sehen, fiebern sie für beide, und wenn diese dann auch noch aufeinander treffen, fühlen sie sich ein wenig unwohl in ihrer Haut (nicht weil die eine siegt, sondern weil die andere verliert). Zamperoni sprach von „innerer Zerrissenheit“.

Diese Deutschen, die auch ein bisschen italienisch sind, diese Italiener, die auch ein bisschen deutsch sind, sind eine europäische Ressource. Sie helfen uns dabei, die Dinge an ihren Platz zu stellen und die jeweiligen nationalen Gefühle zu relativieren und abzudämpfen, weil sie wissen, dass unser Blick über die Grenzen des einzelnen Landes hinausgehen muss, wenn wir eine friedliche und demokratische Zukunft wollen. Wir brauchen sie, ihre Intelligenz und ihr Engagement, nicht nur auf dem Gebiet des Fußballs, sondern auch auf sozialem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet.

Wir brauchen sie vor allem jetzt, wo die Krise die Köpfe verwirrt, wieder Ressentiments und Vorurteile entstehen und Prediger des Hasses wie Pilze aus dem Boden schießen – auf jeder Seite. Voller Trauer lasen wir, was in den vergangenen Tagen Berlusconis Zeitungen auf ebenso idiotische wie vulgäre Weise titelten (von „Merkelleckmich“ bis „Ciao ciao Riesenarsch“), und erfuhren wir zugleich von den Aggressionen, welchen italienische Fußball-Fans in Wolfsburg, Lohne und anderen deutschen Städten nach dem Spiel Italien gegen Deutschland auf sich zogen. Eine Atmosphäre, die sich sehr von der während der Weltmeisterschaft von 2006 unterschied, als „die Welt zu Gast bei Freunden“ war.

Die Leidenschaft für den Fußball und die Krise des Euro verbinden sich zu einem trübem Gebräu. Man muss nur die Kommentare zu den Zeitungsartikeln lesen, die sich mit der Kontroverse zwischen Merkel und Monti oder zwischen Deutschland und den südeuropäischen Ländern beschäftigen, um zu begreifen, wie sehr sich der politische Wind gedreht hat. Sowohl in Italien als auch in Deutschland scheinen diejenigen Oberwasser zu bekommen, welche die „Schuld“ und die Krisenursachen nur bei den anderen suchen. Statt des gesunden Menschenverstandes überwiegen Egoismus und Selbstzufriedenheit, angestachelt durch Populisten – mit Berlusconi und Grillo an der Spitze -, die auf die von der Krise verursachte Verunsicherung spekulieren.

Auch deshalb sollten wir uns an Deutsch-Italiener wie Ingo Zamperoni halten. Wir werden sie noch brauchen.

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