Fiat muss FIOM-Mitglieder einstellen

Angesichts der wirtschaftlichen Krise ist der italienische Absatzmarkt für Autos drastisch eingebrochen, in 5 Jahren von 2,4 auf 1,4 Mio. Fiat, der „global Player“, droht mit der Schließung eines weiteren italienischen Standorts. Im Folgenden geht es mir um die Zustände in einem der vier Werke, die Fiat bisher in Italien am Leben ließ.

Am 21. Juni verurteilte ein römisches Arbeitsgericht den FIAT-Konzern, in die Belegschaft des Werks Pomigliano, in dem seit 2011 eine neue Produktion läuft, 145 FIOM-Mitglieder aufzunehmen. Mit der FIOM, der größten Metallgewerkschaft Italiens, liegt Fiat seit Jahren im Krieg. Als die Werksleitung von Pomigliano Ende 2010 die Belegschaft für eine neue Produktion zusammenstellte, „vergaß“ sie die zur alten Belegschaft gehörenden FIOM-Mitglieder. Von ihnen bekam kein einziger einen neuen Arbeitsvertrag. „Ein Zufall“, sagten die Fiat-Anwälte vor Gericht, denn bei den neuen Arbeitsverträgen habe das Unternehmen nur auf Qualifikation geschaut. Kein Zufall, weiß jeder Eingeweihte, denn für Fiat ist die FIOM-Mitgliedschaft die Disqualifikation. Für das Gericht ist es ein Verstoß gegen das italienische und europäische Antidiskriminierungsrecht.

Vor zwei Jahren geschah das Wunder: Fiat bot an, eine seiner Produktionen, den Panda, aus dem Billiglohnland nach Italien zurückzuholen, und zwar in sein altes Werk in Pomigliano d’Arco bei Neapel. Den meisten der 5000 Fiat-Arbeitern, die bis dahin im Werk arbeiteten und denen Arbeitslosigkeit drohte, bot sich damit die Chance auf Weiterbeschäftigung – 4600 von ihnen sollten übernommen werden (bis heute sind es 2000, der Rest macht Kurzarbeit). Unter der Bedingung, dass die Beschäftigten auf eine Reihe tarifvertraglicher Rechte verzichteten (siehe Paolo Franco am 10. 10. 2010 in unserem Blog, „Das Pomigliano Abkommen“). Die Belegschaft durfte entscheiden, was ihr lieber war: Tarifverzicht oder Arbeitslosigkeit. Eine Entscheidung, die eigentlich keine war, aber erstaunlicherweise stimmte immer noch ein gutes Drittel dagegen. Auf Empfehlung der FIOM, die sich nicht erpressen lassen wollte und deshalb auch das folgende Abkommen nicht unterzeichnete. Was sie teuer bezahlen musste.

Wer heute das Pomigliano-Werk besucht, begegnet einer hoch automatisierten Produktion (Arbeitstakt am Montageband: 80 Sekunden) und einer stubenreinen Belegschaft. Keine Streiks, die Absentismus-Rate ist fast Null, die Produktivität stieg um 20, die Qualität um 50 Prozent. Vor allem gab es eine Revolution in den Köpfen. Über einer Werkshalle hängt ein riesiges Plakat: eine Gruppe von Arbeitern, die ganz in weiß einen Panda montieren, Unterschrift: „WIR SIND DAS, WAS WIR MACHEN“. Will sagen: Jeder identifiziert sich mit seiner Arbeit. Die „Philosophie“ ist das „World class facturing“ für Modell-Fabriken. Ihr Guru ist Professor Yamushima, ein japanischer „Toyotist“, der Fiat-Chef Marchionne berät. Pomigliano ist jetzt eine Modell-Fabrik. Vom Bandarbeiter bis zum Abteilungsleiter trägt jeder die gleiche weiße Arbeitskluft. Nach der Schicht versammelt man sich zur gemeinsamen „Analyse, um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden und die Partizipation zu erhöhen“. Hatte ein Arbeiter einen Fehler gemacht, bedeutet ihm der zuständige Meister, ans bereit stehende Mikrofon zu gehen, um es seinen Kollegen und Vorgesetzten einzugestehen. Zeigt er aufrichtige Reue, entgeht er – vielleicht – der Bestrafung.

Ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt aus dem Werk dringende Horror-Berichte über den psychischen und physischen Druck, der dort auf den Beschäftigten laste, wahr sind. Eine Aussage der Werksleitung ist jedoch aktenkundig: „Wir arbeiten im neuen Werk nur mit denen, die unserem Plan zustimmten“. Die Schöne Neue Welt verträgt keine Dissidenten. Schon in der Übergangsphase, als noch die alte Belegschaft da war, liefen die Meister von Mann zu Mann und rieten, schnellstens aus der FIOM auszutreten, wenn sie Wert auf einen Arbeitsplatz in der Anschlussproduktion legten. Mit Erfolg: In wenigen Monaten sank die Anzahl der FIOM-Mitglieder von 600 auf 200. Dann der „Zufall“: Von den 200, die sich nicht beugten, wurde niemand in die neue Belegschaft übernommen. Gegen die FIOM führt der Konzern einen Vernichtungskampf, die Spaltung der italienischen Gewerkschaften ist dabei von Nutzen. Die anderen Gewerkschaften unterschrieben die Vereinbarung.

Nun das Urteil. Die Konzernführung, die Erfahrung mit verlorenen Arbeitsgerichtsverfahren hat, folgt bewährten Mustern: Sie geht in Berufung, durch alle Instanzen, und gewährt auch in der Zwischenzeit keinem FIOM-Arbeiter Werkszutritt. Das wird Jahre dauern. Ansonsten nutzt sie die von ihr selbst geschaffenen Lage, um die gegenwärtige Belegschaft gegen ihre FIOM-Kollegen aufzuhetzen: „Wenn wir verurteilt werden, 145 Arbeiter aufzunehmen, müssen 145 von euch raus“.

Pomigliano zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn die EU die südeuropäischen Länder auffordert, den Arbeitsmarkt zu „liberalisieren“, das geltende Kündigungsrecht zu lockern usw. Ein Glück, dass aus Brüssel manchmal auch Direktiven kommen, die nicht ins Schema passen (z. B. gegen gewerkschaftliche Diskriminierung). Und dass es in Italien noch unabhängige Richter gibt.

Ein Kommentar

  • Gott sei Dank…nein, den FIOM-Mitgliedern sei Dank, dass nicht alle gewerkschaftlichen Gruppen in die Knie gehen und handzahm werden. Übrigens: Deutschland und seine Gewerkschaftskultur könnte derweil mal wieder so eine Persönlichkeit wie Otto Brenner gebrauchen, dessen Verhandlungspartner sich einst vor ihm fürchteten und die SPD braucht dringend Kompetenz, wie sie einst Peter von Oertzen verkörperte, denn der intellektuelle Kahlschlag in den dortigen Führungsetagen ist – mit Verlaub – phänomenal! Das Schlimme ist: Heutzutage kann man bezogen auf die westliche Hemispähre Europas einschließlich ihrer klassischen Demokratien dank jahrzehntelanger neoliberaler Hegemonie wirklich von Plutokratien mit manchmal sogar oligarchischen Strukturen sprechen, ohne irgendwelchen verschwörungstheoretischen Blödsinn bemühen zu müssen! Bourdieu hatte schon Mitte der Neunziger eindringlich davor gewarnt und die Erfahrungen der US-Bürger mit der neokonservativen Regression hätten uns eines Besseren belehren können.

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