Kennst du das Land…?
„Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist der Schlüssel zu allem“: so drückte Goethe das tiefe Erlebnis aus, das die Insel der blühenden Zitronen bei ihm hervorrief. Man kann ihm nur zustimmen. In dieser traumhaft schönen Insel liegt so mancher Schlüssel – nicht nur zum besseren Verständnis Italiens. An Sizilien, dem Begegnungsort vieler Völker und Kulturen, kommt man nicht vorbei, ob es um Naturschönheit, Geschichte, Kultur oder Kunst geht.
Aber Sizilien ist auch ein Ort, an dem viele der italienischen Krankheiten besonders krass auftreten: Klientelismus, vormoderne Herrschaftsstrukturen, kriminelle Verstrickungen von politischer und wirtschaftlicher Macht und eine Bürokratie, die ebenso aufgebläht und arrogant wie ineffizient ist.
Sizilien verkörpert Italien und ist zugleich anders. Es ist einzigartig und für „Außenstehende“ oft undurchdringlich. Das gilt auch für die politischen Verhältnisse. Vor kurzem musste der Regionspräsident Lombardo (Movimento per le Autonomie/MPA) zurücktreten. Gegen ihn, der bereits in mehreren Korruptionsfälle verwickelt war, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Begünstigung der Mafia. Sein berüchtigter Vorgänger Totò Cuffaro (UDC) sitzt aus dem gleichen Grund bereits eine siebenjährige Haftstrafe ab. Soweit nichts Besonderes, könnte man sagen. Besonders ist allerdings, dass es der ehrenwerte Herr Lombardo schaffte, seit seinem Amtsantritt 2008 wechselnde Koalitionen mit fast allen Parteien einzugehen: erst mit B.s PdL, dann mit PD und UDC, zuletzt mit Finis FLI und Rutellis API. Allein Di Pietros IDV, Vendolas SEL und linke Splitterparteien entzogen sich seiner Umarmung.
Lombardo hinterlässt einen Trümmerhaufen: die Region ist beinah bankrott, das Haushaltsdefizit beträgt 5,3 Milliarden Euro, nicht einmal die laufenden Kosten können noch abgedeckt werden. Dennoch wurde bis zum letzten Moment kräftig ausgegeben: insgesamt knapp 20 Milliarden (299 Mio. mehr als im Vorjahr), u. a. für über 20.000 Regionsangestellte (fünfmal mehr als in der Region Lombardei, die doppelt soviel Einwohner hat) und für 24.000 Beschäftigte allein in der Forstverwaltung – in einer Region, die nicht gerade mit Wäldern gesegnet ist. Pro Bürger gibt die Lombardei für die Regionsverwaltung jährlich 21 Euro aus, Sizilien 349 Euro. Kurz vor seinem Rücktritt gab Lombardo, der Monti drastische Einschnitte versprach, noch einen aus: 200 Neueinstellungen in die Regionsverwaltung samt zwei neuen Dezernenten (Gehalt: 12.000 Euro monatlich). Als kleines Abschiedsgeschenk für Freunde und treue Gefolgsleute.
Dass diese verkommene Truppe so lange ihr Unwesen treiben konnte, ist – leider – auch der PD zu verdanken, denn auch sie hat Lombardo jahrelang unterstützt. Zwar räumt die PD-Führung jetzt „gravierende Fehler“ ein und geht deutlich auf Distanz, doch zeigt zugleich, dass auch in der PD der Kampf gegen Klientelismus und dubiose Machtspielchen noch nicht gewonnen ist.
Die verwickelte politische Lage spiegelt sich auch in den Auseinandersetzungen um Lombardos Nachfolge. PD und UDC stellten als gemeinsamen Kandidaten den Bürgermeister von Gela Crocetta auf, der sich als bekennender Schwuler und konsequenter Kämpfer gegen die Mafia einen Namen machte. Doch Leoluca Orlando, der als Antimafia-Bürgermeister von Palermo noch populärer wurde, und der Kandidat der SEL lehnen ihn ab, da Crocetta in der Kontinuität der Lombardo-Regierung stehe und kein Mann der politischen Erneuerung sei. Und einen Kandidat, den auch „Cuffaros UDC“ unterstütze, könne man sowieso nicht wählen.
Ende Oktober sind Neuwahlen, in die Mittelinks gespalten geht. Aber auch im rechten Lager rumort es kräftig: der von B. favorisierte Gianfranco Miccichè, Mitgründer von Forza Italia und inzwischen Leader der Autonomiepartei „Grande Sud“, wird von einem Teil der PdL – vor allem von jungen Mitgliedern – abgelehnt. Auch hier lautet der Vorwurf, Micchichè habe lange Zeit Lombardo und seine Politik unterstützt, er sei unglaubwürdig und kompromittiert.
Bleibt zu hoffen, dass der Wirrwarr um Lombardos Nachfolge keinen Vorgeschmack auf die kommenden Parlamentswahlen bietet und dass sich Goethes Ausspruch, Sizilien sei „der Schlüssel zu allem“, zumindest diesmal nicht als prophetisch erweist. Sorry, Herr Geheimrat.