Dobrindt kläfft Monti an

In seinem Interview, das er letzte Woche dem SPIEGEL gab, habe Mario Monti verlangt, „zur Finanzierung der italienischen Schulden unsere (deutsche) Demokratie abzuschaffen“. Und zwar aus „Gier nach deutschen Steuergeldern“. Das behauptete Alexander Dobrindt, Generalsekretär der CSU, in der „Welt“ vom 6. August. Dobrindts Äußerung verrät wenig über Monti, aber viel über Dobrindt – über seine Weltsicht im Allgemeinen und sein Verhältnis zu Europa im Besonderen. Und da er ihr Generalsekretär ist, auch über die CSU.

Bevor man die Polizei ruft, um Monti schnellstens hinter Schloss und Riegel zu bringen, sollte man noch einmal die Interview-Passage zu lesen, die Dobrindt so aufregt. Monti sagte:

„Natürlich muss sich jede Regierung nach den Entscheidungen des Parlaments richten. Aber jede Regierung hat auch die Pflicht, das Parlament zu erziehen. Hätte ich mich mechanisch an die Vorgaben meines Parlaments gehalten, hätte ich den Beschlüssen des jüngsten Brüsseler Gipfels nicht zustimmen dürfen… Ich hatte den Auftrag (vom italienischen Parlament, A. d. R.), auf dem Gipfel Euro-Bonds durchzusetzen. Wenn sich die Regierungen vollständig durch Entscheidungen ihrer Parlamente binden ließen, ohne einen eigenen Verhandlungsspielraum zu bewahren, wäre das Auseinanderbrechen Europas wahrscheinlicher als eine engere Integration“.

Wird hier die Demokratie abgeschafft? Montis Vergehen ist es, sich im Unterschied zu Dobrindt Sorgen um das Auseinanderbrechen Europas zu machen, er spricht als Europäer. Sein Thema ist der Rollenwechsel, wenn sich Regierungschefs, die in ihren Ländern demokratisch gewählt wurden, in der europäischen Runde auf einen Kompromiss zu einigen haben. Denn gegenüber dem größeren Europa vertritt jedes nationale Parlament zwar ein legitimes, aber eben doch nur partikulares Interesse. Der Sinn europäischer Gipfel ist es, zwischen diesen Partikularinteressen einen Ausgleich im gesamteuropäischen Interesse herzustellen. Woraus Monti folgert: Der Regierungschef, der während des Gipfels mit anderen Regierungschefs einen Kompromiss sucht, braucht Verhandlungsspielraum, und wenn er vom Gipfel in sein eigenes Parlament zurückkehrt, muss er dort sagen können: Den Auftrag, den Ihr mir mit auf den Weg gabt, konnte ich nicht eins zu eins umsetzen, sondern musste dabei auch Gesichtspunkte und Interessen anderer Mitgliedsländer berücksichtigen. Denn nun ist er in eine doppelte Loyalität eingebunden: einerseits gegenüber dem eigenen Land, andererseits gegenüber Europa.

Bis zu diesem Punkt, so meine ich, kann man Monti folgen, auch wenn er im SPIEGEL-Interview so undiplomatisch war, den Part, der den Regierungschefs gegenüber ihren eigenen Parlamenten zuwächst, „Erziehung“ zu nennen. Obwohl es sich der Wahrheit nähert, denn jede Erweiterung der Perspektive ist auch ein Lernprozess. Was bei Monti noch fehlt, ist die Konsequenz: Wenn es diese doppelte Loyalität gibt, müsste die Instanz Europa nicht nur im Gewissen der Regierenden, sondern auch in einem europäischen Parlament verankert sein, das über genügend Legitimation und Kompetenz verfügt, um das europäische Gesamtinteresse gegenüber allen Partikularinteressen zu vertreten. Damit entfiele auch der Schwachpunkt in Montis Überlegung: dass sich in Europa-Angelegenheiten die Regierungen von ihren Parlamenten nicht vollständig binden lassen sollten. Denn die verstärkte Bindung auf europäischer Ebene würde dann die geringere Bindung auf nationaler Ebene kompensieren.

Dobrindt sieht darin den Untergang der Demokratie. Eine Loyalität gegenüber Europa kennt er nicht – es sei denn, Europa wäre eine Kolonie, zu deren Gipfeltreffen Angela Merkel mit den Direktiven des deutschen Parlaments anreist, sie dort eins zu eins durchsetzt und dann in Berlin Vollzug meldet.

Aber geht es Dobrindt überhaupt um Demokratie? Seit Jahren arbeiten seine Parteifreunde im Europarlament fraktionell mit ausgewiesenen Antidemokraten aus Ungarn und Italien zusammen. Als guter Populist zielt er auf eine andere Angst, die er wohl für tiefer und elementarer hält: auf die um den eigenen Geldbeutel. Auch hier geht er mit keinem Wort auf Montis Argumente ein: Bisher hat der deutsche Steuerzahler noch keinen einzigen Euro als Finanzhilfe an Italien gezahlt: Italien zahlt bei der Hilfe für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft den gleichen Anteil wie Deutschland; mit den hohen Zinsen, die Italien gegenwärtig für seine Staatsanleihen zahlt, subventioniert es indirekt auch die niedrigen deutschen Zinsen. Aber was sind schon Fakten? Von der „Gier nach deutschen Steuergeldern“ schwadroniert es sich leichter.

Monti beklagt in seinem Interview Anzeichen für die „psychologische Auflösung Europas“. Bei Alexander Dobrindt, dem Generalsekretär der CSU, muss man sich fragen, ob hier jemals etwas aufzulösen war.

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