Neurömische Dekadenz
Regionspräsidentin Renata Polverini von der Pdl-nahen „Lista Polverini“ musste unter dem Druck eines gewaltigen Korruptionsskandals zurücktreten und den Weg für Neuwahlen freimachen, nachdem schon der regionale Fraktionsvorsitzende und Schatzmeister der PdL, Fiorito, seinen Hut nahm. Er trat damit eine Lawine los, die Parlament und Regionalregierung in ihren Strudel mitgerissen hat.
Gegen den schwergewichtigen Fiorito, auch „Batman“ genannt, wird ermittelt, weil er Parteigelder zur Finanzierung seines verschwenderischen Lebensstils veruntreut haben soll. Für Luxusurlaube auf Sardinien, Abendessen mit Austern und Champagner, Gucci-Taschen für sich und seine Lieben, Edelkarrossen und vieles mehr.
Politische Ämter als Selbstbedienungladen
Fiorito, stolzer Besitzer von 8 Immobilien in exklusiver Lage, von 5 Grundstücken und 12 Bankkonten (7 in Italien, 5 im Ausland), erklärte bei seiner Befragung: „Ich habe nichts geklaut, meine Bezüge waren legal“. Und legte den verdutzten Untersuchungsrichtern folgende Rechnung vor: Wie alle Regionsabgeordneten habe er 8.100 € Grundgehalt erhalten, plus 4.190 Monatspauschale für „die Kontaktpflege zwischen Gewähltem und Wählern“ (sic). Schon damit übersteigen seine Monatsbezüge (und die aller übrigen Regionsabgeordneten) die Bezüge von Staatspräsident Napolitano (ca. 11.000 € netto). Bei Batman kamen noch hinzu: 8.000 für den Fraktionsvorsitz, 3.000 für „Personalkosten“ und 8.000 – pikanterweise – für den Vorsitz des Haushaltsausschusses. Macht zusammen über 31.000 € monatlich. Netto. Mehr als Bundeskanzlerin Merkel (ca. 25.000 brutto) und Frankreichs Staatspräsident Hollande (ca. 21.000 brutto).
Das ist noch nicht alles. Seit Polverinis Amtstritt 2010 kommen zu den „normalen“ Bezügen noch jährlich 100.000 €, die jedem Regionsabgeordneten „für das korrekte Funktionieren der Fraktionsarbeit“ (kein Witz) zustehen und vom Fraktionschef auf Antrag ausgezahlt werden. Für ihr „korrektes Funktionieren“ gab die PdL allein in den Monaten Juni-Juli 2012 aus: 46.534 € für Restaurantbesuche, 30.862 für Hotelaufenthalte, 5.108 für elektronische Geräte, 5.208 für Schmuck, Kleidung und Lebensmittel und 71.602 für „Feste“. Ein so finanziertes Fest veranstaltete der PdL-Abgeordnete De Romanis als altrömische Orgie in historischen Kostümen. Sklavinnen, Götter, Gladiatoren und Maskierte mit Schweineköpfen – darunter Abgeordnete, Parteifunktionäre und Regionsdezernenten – tummelten sich in enthemmter Stimmung. Auf Kosten der Steuerzahler, die gleichzeitig dem härtesten Sparregime unterworfen werden.
Das bunte Treiben wurde – entgegen den italienischen Gepflogenheiten – erfrischend unbürokratisch abgerechnet: nur „Richiedo e ricevo“ („Beantragt und erhalten“) steht auf den Belegen, die den Justizbehörden vorliegen.
Die zwei Seiten des „Latiogate“
Die unglaublichen Zustände in Latium haben zwei Seiten. Die eine Seite sind diejenigen, die öffentliche Gelder für Zwecke missbrauchen, die nichts mit ihren politischen Ämtern bzw. Parteiaktivitäten zu tun haben, sondern ihren privaten Luxusbedürfnissen dienen. Das sind nach den bisherigen Erkenntnissen v. a. PdL-Abgeordnete. Die andere Seite betrifft die Schamlosigkeit von Politikern, die sich selbst immer höhere Bezüge und Begünstigungen genehmigen und sie unter Rubriken wie „Kontaktpflege zwischen Gewähltem und Wählern“ und „Korrektes Funktionieren der Fraktionsarbeit“ verbuchen. Und diese Entscheidungen wurden – leider – einträchtig von allen Fraktionen einschließlich der Opposition getragen: also auch von PD, IdV, SEL, Rifondazione Comunista, UDC, Destra, Verdi. Einzige ehrenvolle Ausnahme: die Radikale Partei.
Polverinis Rücktritt und Zerfall der PdL
Die Regionspräsidentin wusste angeblich nichts davon. Sie wehrte sich lange gegen ihren Rücktritt, denn der Skandal beträfe nicht ihre Regierung, sondern das Parlament. Eine dreiste Begründung, denn erstens ist sie selbst Abgeordnete und trug in dieser Eigenschaft die Entscheidungen mit, und zweitens hatte ihre Regierung selbstverständlich Kenntnis von diesen Entscheidungen und gab grünes Licht für ihre Umsetzung.
Ihr „freiwilliger“ Rücktritt kam erst, nachdem die Abgeordneten der oppositionellen PD, SEL und IdV ihr Amt niedergelegt und – vor allem – auch die mitregierende UDC mit dem Rücktritt ihrer Fraktion gedroht hatte, was zum Zusammenbruch der Regierungsmehrheit geführt hätte. Da erst erklärte Polverini, sie trete aus Empörung zurück. Und war so dreist, schon am folgenden Tag ganz Rom (übrigens ohne Genehmigung) mit Plakaten zu bepflastern, die ihr Konterfei samt Aufschrift zeigen: „Ich habe diese Leute (ihre verkommenen Kumpels, A. d. R.) nach Hause geschickt. Jetzt wird sauber gemacht!“.
Die Regierungskrise im wichtigen, die Hauptstadt umfassenden Latium verschärft auch die Krise in B.s PdL. Von Spaltung ist die Rede und davon, dass nun B. seine Rückkehr auf die Bühne als Vorkämpfer der politischen und moralischen (!) Erneuerung vorbereitet. Ausgerechnet B. Gleichzeitig blockieren er und seine PdL weiterhin die Verabschiedung des Antikorruptionsgesetzes im Senat. Wenn die Mehrheit der Italiener noch einmal auf ihn hereinfällt, ist dieses Land nicht mehr zu retten.