Hegemonie ohne Demokratie

Stell Dir vor, ein guter Bekannter, der im gleichen Hause wohnt, kommt häufig in Deine Wohnung. Er ist reich, mächtig, hat Erfolg und gute Ratschläge. Da er sagt, dass er Dich mag und sich bei Dir wohlfühlt, lässt Du ihn gern herein und übernimmst auf Gebieten, die Dir nicht weh tun, einige seiner Ideen. Zum Beispiel hast Du angefangen, Deinen Müll zu trennen, der Umwelt und ihm zuliebe, auch wenn das bei Dir immer noch nicht so recht funktioniert. Du sprichst respektvoll über ihn, über seine Ordnungsliebe und Effektivität. Manchmal mischt sich in Deine Bewunderung auch ein wenig Spott, aber es ist gutmütiger Spott. Zumindest war er gutmütig, bis vor Kurzem.

Der selbst ernannte Freund

Denn Dein guter Bekannter hat sich verändert. Er kommt weiterhin, aber aus seiner Güte ist Strenge, aus seinen Ratschlägen sind Befehle geworden, wie Du Deinen Haushalt in Ordnung bringen sollst. Die Du nicht ablehnen kannst, denn sie sind, wie er sagt, zum Besten aller, auch zu Deinem, und ohne Alternative. Zumal es da jemanden gebe, in dessen Auftrag er kommt und der Dich bei Ungehorsam sofort bestrafen würde – „die Finanzmärkte“. Und nun geht es ans Eingemachte: Die Rente Deiner Oma ist zu hoch, die die von Dir gezahlten Steuern sind zu niedrig, Deine ganze Lebensweise ist falsch. Aus der scheinbar guten Nachbarschaft ist ein Schreckensregime geworden, das Dir den Boden unter den Füßen wegzieht.

Was sollst Du tun? Dein (ach so guter) Bekannter gibt Dir auch darauf die Antwort vor: Du sollst ihm auch noch dankbar sein. Aber je mehr er Dir auf den Leib rückt, desto unsicherer wirst Du. Brauchst Du überhaupt jemanden, der für Dich über Dein Leben entscheidet? Und will er wirklich, wie er behauptet, nur Dein Bestes? Dir fällt auf, wie gut es ihm geht, während er Dich ins Fegefeuer jagt. Vor allem aber drängt sich Dir die Frage auf, mit welchem Recht er Dir das antut. Wenn er dann auf eine obskure Instanz verweist, die alles abgesegnet habe, schlägt bei Dir der Zweifel in Empörung und schließlich in Wut um.

Hegemonie ohne Legitimation

Die Bundeskanzlerin - In Italien 'La Merkel'

Nach allem, was man aus Griechenland hört, gibt es dort nicht mehr viele Menschen, die fragen, ob der ihnen aufgezwungene Sparkurs für irgendjemanden heilsam ist oder nicht. Die meisten sehen nur noch den Feind, der ihnen all dies aufzwingt: Brüssel und vor allem „die Merkel“. In Italien ist es noch nicht ganz so weit, aber die Tendenz ähnlich. Wenn sich ein Volk zumuten soll, was sich gegenwärtig Griechen, Spanier, Italiener, Portugiesen zumuten, muss es die Chance haben, darauf im Vorfeld einzuwirken, es mit zu beraten und zu entscheiden. Da heute die nationalen Parlamente die woanders getroffenen Entscheidungen großenteils nur noch absegnen können, muss es durch eine demokratische Instanz geschehen, welche dort an den Entscheidungen beteiligt ist, wo sie fallen, nämlich auf europäischer Ebene. (Das gilt übrigens auch für die Deutschen selbst, denn auch ihr Parlament droht zunehmend zum reinen Vollzugsorgan zu werden, trotz der erneuten Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, es an allen Entscheidungen zu beteiligen).

Gegenwärtig wird das „europäische Gesamtinteresse“, welches alles legitimieren soll, von zwei abgehobenen Instanzen wahrgenommen, von der Brüsseler Kommission und vom EU-Ministerrat – und ansonsten von „la Merkel“, dem gar nicht mehr so „freundlichen“ Hegemon. Bei dem man schließlich nur noch sieht, dass er sich zum Spiel mit dem Schicksal Europas selbst ermächtigt – und offenbar wenig Lust hat, daran etwas zu ändern. Der halbherzige Anlauf zur Einberufung eines europäischen Konvents, den Angela Merkel vor einigen Monaten ins Gespräch brachte (ein Vorschlag, der schon wieder in der Schublade verschwunden ist), ändert hier wenig. Denn auf die Stärkung der Kompetenzen des Europaparlaments, die hier notwendig wäre, zielte er gerade nicht.

So kommt in den betroffenen (vor allem südeuropäischen) Ländern zum Schaden auch noch die Demütigung. Früher oder später werden sie rebellieren. Auch wenn in Italien der erklärte Deutschenfreund Monti den wachsenden Zorn noch im Zaum hält.

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