Montismus und Demokratie
Kandidatur ohne Wahl
Das Problem zeigt die Frage, welche Wahl dann eigentlich die Italiener im nächsten Frühjahr haben. In einer repräsentativen Demokratie stellen sich Politiker zur Wahl, um eine Mehrheit für die Regierung zu bekommen. Dafür präsentieren sie ein Programm, eine Partei und eine Person (oder „Mannschaft“). Der gegenwärtig aussichtsreichste Kandidat, Monti gehört zu keiner Partei und tritt nicht zur Wahl an – und bewirbt sich gerade damit um eine erneute Berufung. Sein Programm ist der Verweis auf das, was seine Regierung bisher in Angriff nahm, seine Legitimation ein Titel („Ehrensenator auf Lebenszeit“) und die Empfehlung der Märkte. Wenn – egal was man wählt – immer Monti herauskommt, hätte die Wahl fast nur noch eine expressive Bedeutung. Ob es etwas mehr „soziale Gerechtigkeit“ gibt, wenn die Linke, oder „wirtschaftliche Freiheit“, wenn die Rechte gewinnt, würde zur Nuance. In der „Repubblica“ diagnostizierte der Politologe Diamanti bereits das „Auseinanderfallen von Partizipation und Regierung“, zum Schaden der – sowieso angeschlagenen – Parteien, die dann noch überflüssiger als bisher erscheinen, und somit der repräsentativen Demokratie überhaupt. Montis erneute Berufung wäre nicht nur eine Antwort auf das verbreitete Politikmisstrauen, sondern gäbe ihm weitere Nahrung. Und Grillos 5-Sterne-Bewegung, jetzt sowieso die drittstärkste politische Kraft Italiens, stünde bereit, um die Ernte einzufahren.
Scheinbarer Ausweg: das Porcellum
Voraussetzung dafür, dass es nach der Wahl eine erneute Regierung Monti gibt, wäre eine erneute Koalition der PD mit dem Zentrum, vielleicht sogar mit Relikten der PdL, und damit das Ende aller Träume von einer Mitte-Links-Alternative. Und niemand weiß, wie dies die PD überleben würde.
In der PD mag jetzt mancher im stillen Kämmerlein denken, dass es dagegen eine letzte Notbremse gibt: das Wahlgesetz, das berüchtigte und allgemein geächtete Porcellum („Schweinegesetz“), das sich einst Berlusconi zusammenstrickte, um seine Mehrheit zu sichern. Denn es garantiert dem Bündnis, das bei der Wahl eine relative Mehrheit erringt, so niedrig sie auch sein mag, im Parlament die absolute Mehrheit. Noch gilt dieses Gesetz. Wenn also jetzt, so könnte man rechnen, das „natürliche“ Wahlbündnis PD (Bersani) – SEL (Vendola), vielleicht verstärkt durch di Pietros IdV, die gegenwärtig prognostizierten 25 bis 30 % einführe und das neu gegründete „Pro-Monti“-Zentrum (hoffentlich!) darunter bliebe (wie auch Grillos 5-Sterne-Bewegung und B.s PdL), wären alle Probleme gelöst.
Sie wären es nicht. Denn in Italien gibt es neben dem Parlament auch noch den Senat mit gleichen gesetzgeberischen Kompetenzen, und die Mehrheitsprämie gilt nur für das Parlament. Im Unterschied zum Parlament gäbe es im Senat unklare Mehrheitsverhältnisse, und Italien könnte (nicht zum ersten Mal) unregierbar sein. Überdies wäre es ein Betrug à la Berlusconi, denn es würde für eine 25 %-Minderheit eine absolute parlamentarische Mehrheit herbeizaubern. Und die PD bräche den feierlichen Schwur, den sie vor ganz Italien ablegte: auf der Grundlage dieses Wahlgesetzes keine Wahl gewinnen zu wollen. Monti mit dem Porcellum verhindern hieße den Teufel mit Beelzebub austreiben.
Aber wenn der PD stattdessen sonst die Möglichkeit bliebe, wieder in eine Große Koalition einzutreten und Monti auf den Schild zu heben?
Alles Schwarzmalerei?
Es gibt Betrachter der italienischen Szene, die es in freundlicherem Licht sehen. Zum Beispiel Eugenio Scalfari, eine Ikone des liberalen italienischen Journalismus. Immerhin sei, so argumentiert er, die nächste Wahl eine Entscheidung pro oder kontra Europa – die Pro-Europa-Partei würde aus Monti, dem Zentrum und der PD bestehen, die andere Seite aus Gegnern oder unsicheren Kantonisten wie Lega, Berlusconi, ehemaliger AN, di Pietro. Und Vendola irgendwo dazwischen. Also doch eine substantielle Wahl. Und wer wollte bestreiten, dass Monti, der sympathische ältere Herr im Lodenmantel, der Bach und Mozart liebt, ein Fortschritt gegenüber dem korrupt-vulgären Paradiesvogel bleibt, der sein Vorgänger war?
Ist es Querulantentum, wenn ich trotzdem hinzusetze: Damit würde eine weitere italienische „Anomalie“ zur Regel werden? Eine „Anomalie“, deren zerstörerisches Potenzial sich umso stärker entfaltet, je länger sie anhält?