Regionalparlamente als Self-service
„Jeder Tag hat seine Last“, so ein altes italienischen Sprichwort, das aus dem Neuen Testament stammt. Seine moderne Version könnte gut heißen: „Jeder Tag hat seinen Skandal“.
Nach den Raubzügen im lombardischen Gesundheitswesen, in die der mächtige und erzkatholische Regionalpräsident Formigoni (PdL) verwickelt ist, kamen – ebenfalls in der Lombardei – die Bauskandale, an denen der PD-Abgeordnete Penati beteiligt ist, dann die großen Abzockereien öffentlicher Gelder durch die Lega Nord. Nun wurde ein PdL-Abgeordneter aus der gleichen Region verhaftet: der sehr einflussreiche regionale Minister Zambetti. Der nun hinter Gittern sitzt und unter den 14 Abgeordneten und 5 ehemaligen Ministern, gegen die die Mailänder Staatsanwaltschaft inzwischen ermittelt, eine Besonderheit darstellt. Denn bei ihm geht es um ein Vergehen, von dem noch vor wenigen Jahren niemand geglaubt hätte, dass es in Norditalien überhaupt möglich ist: Kauf von Wählerstimmen von der ‚Ndrangheta.
Die ‚Ndrangheta gibt es nicht (nur) in Kalabrien
Laut Anklage waren es kalabresische Clans, welche inzwischen im Herzen der italienischen Industrie und Finanzwelt gut verwurzelt sind, die Zambetti die notwendigen Stimmen für seine Wahl in das Regionalparlament besorgten. 4000 Stimmen, für die er insgesamt 200 000 € gezahlt haben soll. 50 € pro Stimme scheinen viel, aber nach der Logik von Zambetti – und leider nicht nur seiner! – waren sie eine Investition, um sich erst einmal einen Sitz im Regionalparlament zu sichern. Es ist zwar wahr, dass mit dem gegenwärtigen Wahlgesetz auch eine zahnärztliche Assistentin wie Nicole Minetti, deren einzige Qualifikation ihre üppigen Formen sind, im Kielwasser von Präsident Formigoni gewählt werden konnte. Aber für Zambetti war der Sitz im Regionalparlament nur die Vorspeise. Der Hauptgang war ein Posten in der Regionalregierung, auf den er nur hoffen konnte, wenn er auf einen breiten Rückhalt in der Wählerschaft verweisen konnte, wofür er viele persönliche Präferenzstimmen brauchte. Die er laut Staatsanwaltschaft bei der ‚Ndrangheta kaufte, welche damit ihrerseits ihren Einfluss auf die Lombardei erweitern konnte.Zambetti befindet sich dabei in guter Gesellschaft: Aus ähnlichen Gründen löste die italienische Innenministerin vor wenigen Tagen den Kommunalrat von Reggio Calabria auf; der frühere PdL-Abgeordnete Di Girolamo, der mit (von der ‚Ndrangheta besorgten) Stimmen deutscher Auslandsitaliener gewählt worden war, wurde zu Gefängnis verurteilt, ebenso wie der frühere Präsident der Region Sizilien, Cuffaro. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Regionalparlamente als gedeckte Tische
Für viele, allzuviele, bedeutet der „Gang in die Politik“, auf andere Art und Weise Geschäfte zu machen und sich persönlich zu bereichern, auch wenn man dabei das Wohl der Gemeinschaft aufs Spiel setzt und mit der Mafia paktiert. Nicht für alle, zum Glück! Aber es scheint, dass sich bisher keine politische Formation vor Betrügern schützen konnte. Nicht einmal die Partei „Italia dei Valori“, die sich immerhin den anspruchsvollen Namen „Italien der Werte“ gab, deren Chef Di Pietro aber gerade seinen Fraktionsvorsitzenden in der Region Latium zum Rücktritt zwingen musste.
Das Problem ist, dass die regionalen Parlamente schon seit geraumer Zeit zu gedeckten Tischen geworden sind, bei denen man mit vollen Händen zulangen kann, indem man entweder ganz legal Vergütungen, Tages- und Sitzungsgelder u. a. einsackt – der Abgeordnete Fiorito aus Latium, der sich durch besonders viel Appetit auszeichnet, kassierte zeitweise drei Vergütungen gleichzeitig. Oder es geschieht illegal, durch Schmiergelder für staatliche Aufträge oder Pakte mit dem organisierten Verbrechen.
Auch die Regierung Monti weiß, dass die Kosten der Politik eingeschränkt werden müssen, die schon seit langer Zeit keine Kosten der Demokratie mehr sind, sondern Geldverschwendung zugunsten einiger Weniger oder sogar Anreize zum Betrug. Die Regierung hat deshalb kürzlich eine Verringerung der Gesamtanzahl der Regionalabgeordneten verfügt, die sie für zu hoch hält, und zwar von 1100 auf 800.
Kürzungen Ja, aber nicht bei mir!
Worauf es sofort zu Protesten von denjenigen kam, die darin eine Einschränkung der Freiheit und kommunalen Autonomie sehen. Nicht nur von rechts, sondern auch von links: Während der Regionalpräsident von Apulien, Vendola (SEL) solche Einschnitte zu begrüßen scheint, wurden sie in Facebook von lokalen SEL-Vertretern offen kritisiert, weil sie die kleinen Parteien zu Zusammenschlüssen zwingen, wenn sie in die Regionalparlamente einziehen wollen. Da es dafür nicht – wie in Deutschland – eine 5 %-Schwelle gibt, können sie gegenwärtig noch mit geringsten Stimmanteilen in die Parlamente gewählt werden.
Der Überfluss an öffentlichen Mitteln, die Vielzahl kleinster Fraktionen, die auch nur aus einem einzigen Abgeordneten bestehen können, die hohen Kosten der Apparate und Wahlkämpfe bilden nicht nur Anreize zur Fragmentierung der politischen Vertretungen, sondern auch zu persönlichem Missbrauch. Wenn das neue Wahlgesetz in der gegenwärtig geplanten Form die parlamentarischen Hürden nimmt, wird es diese Tendenz weiter verstärken. Denn es würde wieder Präferenzstimmen einführen (die der Volkszorn schon vor 20 Jahren abschaffte) und somit die Kandidaten zwingen, miteinander zu konkurrieren, auch wenn sie der gleichen Partei angehören. Und weil das Einsammeln persönlicher Präferenzstimmen dazu führt, dass die Kandidaten viel Geld ausgeben müssen, um gewählt zu werden, kann man sich leicht vorstellen, dass die Betrüger unter ihnen versuchen werden, ihre „Investitionen“ nach der Wahl wieder reinzuholen. Werden sich die Zambettis weiter vermehren?