Europa wofür

Europa ist weit mehr als Euro, Burokratie und Banken

Ich freue mich über den Friedensnobelpreis für Europa und möchte das hier begründen. Kürzlich bemerkte die Journalistin Barbara Spinelli in der „Repubblica“: Wer heute von Europa redet, redet nur noch vom Geld. Als ob es zu nichts anderem da wäre. Folgerichtig konzentriere sich alles auf die Spaltungslinie zwischen „den edlen Geldgebern und den plebejischen Schuldnern“, zwischen denen sich fast schon ein „Bürgerkrieg“ abzeichne. Ich setze hinzu: Auch wer sich davon absetzen möchte und sogar wagt, von „Solidarität“ (zwischen Nord und Süd) zu sprechen, ist darüber meist so erschrocken, dass er gleich nachschiebt, das sei ja auch im wohlverstandenen Interesse deutscher Staatsanleihen und deutscher Absatzmärkte. Von der Sprache des Geldes, so scheint es, kommt man nicht herunter. Als ob Europa nur aus Krämerseelen besteht.

Wofür wir ein starkes Europa brauchen

Ich denke, Barbara Spinelli hat Recht, wenn für sie Europa mehr zu verteidigen und der Welt auch mehr zu bieten hat als nur den Euro. Zum Beispiel auf dem Gebiet der Außenpolitik habe es Aufgaben, die sich nicht dadurch erledigen, dass es sie allein den USA überlässt. Aufgrund der eigenen Präsenz am Mittelmeer z. B. gegenüber den Staaten des „arabischen Frühlings“, die in eine neue Despotie abzugleiten drohen. Gegenüber den afrikanischen Staaten und dem dort beginnenden Massenexodus. Gegenüber dem Iran und dem alles vergiftenden Konflikt zwischen Israel und Palästina. Auch zur Frage, wie ein friedliches Zusammenleben der Religionen möglich ist, hat Europa aufgrund seiner Geschichte einiges beizutragen.

Dann auf dem Gebiet des Rechts und der Menschenrechte. In den USA gibt es immer noch die Todesstrafe, Guantanamo läuft weiter – eben starb dort wieder ein Gefangener nach 10 Jahren Folter, ohne dass ihm jemals der Prozess gemacht wurde. Im „befreiten“ Irak jagt die Polizei Schwule, ohne dass die bisherige amerikanische Besatzungsmacht auch nur Einspruch erhebt. Und was wäre mit einer Welt, in der Leute wie Bin Laden zwar aufgespürt werden, aber nicht (wie geschehen), um sie zu killen und ihre Leichen triumphierend der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, sondern um sie vor ein internationales Gericht zu stellen, im Namen einer angestrebten Weltordnung, die von der Stärke des Rechts und nicht mehr vom Recht des Stärkeren bestimmt wird. Eine europäische, keine amerikanische Vision.

Auch die Verteidigung des Sozialstaats sollten wir nicht den USA überlassen. Fast jeder zweite Amerikaner scheint zu glauben, dass dessen Anhänger „Parasiten“ sind – Obamas Herausforderer versucht mit dieser These gerade die nächste Präsidentschaft zu gewinnen. Auch wenn ihn die Europäer sicher nicht allein retten können (die dazu nötige Fesselung der Finanzmärkte ist nur global möglich). Ähnliches gilt für den Umweltschutz und die Eindämmung des Klimawandels.

Geld und Demagogie

Es sind also keine nebulösen Weltmachtträume, sondern eine ganze Reihe konkreter Probleme, die auch jenseits des Euros für ein möglichst einiges und starkes Europa sprechen. Ein Europa, das über den Zustand hinauskommt, in dem sich 27 Außenminister, wie Spinelli feststellt, den globalen Krisen „hilflos stammelnd ohne Ideen und Ressourcen stellen“.

Europa allein aus der Perspektive des Geldes zu betrachten, gibt Demagogen Aufwind, in Italien wie in Deutschland. Demagogen wie dem CSU-Generalsekretär Dobrindt, der in den südeuropäischen Ländern nur noch „die Gier nach deutschen Steuergeldern“ sieht – und damit für die CSU billige Erfolge einfährt, ihre Zustimmungswerte sollen sich ja in Bayern schon wieder 50 % nähern. Was wiederum diejenigen bestätigt, die aus Angst vor wachsendem Volkszorn schon beim kleinsten europäischen Reformschritt nach immer bürokratischeren Lösungen suchen, weil sie jedes „Referendum“ fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

An die Seite der Sorge um Italien sollte für uns auch die Sorge um Europa und um Deutschland treten.

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