Grillo, der Guru
Grillos Gekeife auf seinen Massenversammlungen kann einem schlicht auf den Keks gehen. Oder man kann, schon anspruchsvoller, darin das Anzeichen einer (Un-)„Kultur“ sehen, die im politischen Konkurrenten nur den Zombi sieht. Auf jeden Fall könnte man es sich einfach machen: Hier der schimpfende (zum Rübezahl stilisierte) Grillo, ihm gegenüber die applaudierenden Verdrossenen aller Couleur. Wo nur noch zu fragen wäre, inwieweit seine Anhänger tatsächlich von der Politik Enttäuschte sind, oder sich eher aus dem Bodensatz der ewig Gleichgültigen rekrutieren, die es (nicht nur in Italien) überall und immer gibt.
Man würde es sich damit zu einfach machen. Zunächst einmal wegen des erstaunlichen Erfolgs von Grillos „5-Sterne-Bewegung“: Obwohl sie in der letzten Zeit einige mediale Pleiten zu verarbeiten hatte, wurde sie bei den letzten Regionalwahlen in Sizilien zur stärksten Partei, übertroffen nur durch die „Partei der Nichtwähler“. Grillo ist dabei, sich das Image der Allmacht zu schaffen – überall, wo er sich in einen Wahlkampf hineinkniet, hat er durchschlagenden Erfolg. So war es bei der letzten Bürgermeisterwahl in Parma, wo sein Kandidat den PD-Kandidaten, der nach dem ersten Wahlgang noch deutlich geführt hatte, im zweiten Wahlgang haushoch schlug. Und auch beim Wahlkampf in Sizilien, den er damit einleitete, dass er spektakulär den Golf von Messina durchschwamm.
Grillos Graswurzel-Aktivisten
Es wäre aber auch aus einem zweiten, wichtigeren Grund zu einfach. Denn es ist Grillo gelungen, für seine 5-Sterne-Bewegung ein weitverzweigtes Netz meist jugendlicher Graswurzel-Aktivisten zu gewinnen, im Norden wie im Süden, ohne die seine Erfolge weder möglich noch erklärlich wären und nach denen sich jede andere Partei nur die Finger ablecken kann. In den Gemeinderäten, in denen die 5-Sterne-Bewegung inzwischen über viele Vertreter verfügt, leisten sie „Basisarbeit“ mit den Menschen und an konkreten Projekten, mit einer erfrischenden Freude am Selbsttun und einer fast kalvinistischen Unbestechlichkeit. Deshalb führt auch der Vergleich mit den deutschen Piraten in die Irre, mit dem man sich hier manchmal den Erfolg Grillos plausibel zu machen glaubt: Die Piraten sind eine Zwei-Punkte-Bewegung (Webfreiheit und Partizipation), während die „Grillini“ auch zu vielen anderen Fragen – z.B. zur Ökologie – dezidierte Standpunkte vertreten. Hier könnte eine Generation heranwachsen, die einen wichtigen Beitrag zur Gesundung Italiens leistet – wenn sie nicht jetzt schon in einer Weise zugerichtet wird, die dieses Potenzial wieder zerstört.
Die Umwandlung der „Bewegung“ in eine Sekte
Deshalb ist es wichtig, auch die Deformationen des Grillismus zu benennen. Dazu gehört vor allem der Widerspruch, in dem die 5-Sterne-Bewegung von Anfang an steckt: Ihr Anspruch ist basisdemokratisch, aber ihre Führung durch und durch autoritär. Italien ist bereits reich gesegnet mit Unfehlbarkeitsansprüchen, vom katholischen Papsttum bis zum Populismus von B., und Grillos Unfehlbarkeitsanspruch ist ihnen durchaus ebenbürtig. Nur seine Instrumente sind moderner: Er leitet die 5-Sterne-Bewegung von seinem privaten Blog aus, und wenn er in diesem – wie vor zwei Monaten geschehen – verlautbart, dass der Regionalabgeordnete Favia „nicht mehr mein Vertrauen genießt“, ist dieser exkommuniziert, die 5-Punkte-Bewegung darf es nur kommentieren. Das ist das erste Kriterium der negativen Selektion: In der 5-Sterne-Bewegung kann nur derjenige etwas werden, der das akzeptiert.
Damit kommen wir zur zweiten Deformation: die Verwandlung der 5-Sterne-Bewegung in eine Sekte und die Selbstverwandlung Grillos in ihren Guru. Grillo hat den 5-Sterne-Aktivisten verboten, in Talkshows des Fernsehens aufzutreten, dank seiner Eingebung, dass diese von „Journalisten moderiert werden, welche den Parteien gefallen oder von ihnen ernannt werden“. Und inzwischen sogar eine Liste von Journalisten und Zeitungen aufgestellt, für die er ein Kontaktverbot erließ. Federica Salsi, eine junge Abgeordnete der 5-Sterne-Bewegung im Stadtrat von Bologna, beging das Sakrileg, sich trotzdem zu einer solchen Talkshow einladen zu lassen. Zwar handelte es sich um eine kritische Talkshow (Ballarò), aber das minderte nicht ihr Vergehen, denn Grillo hatte es nun einmal verboten. Das Ergebnis war auch hier die Exkommunikation, in gezielt beleidigender Form: „Das Fernsehen ist wohl euer G-Punkt“, höhnte Grillo. Als sie daraufhin im Stadtrat von Bologna wie eine Aussätzige behandelt wurde – ihre Bewegungskollegen verlassen ihre Plätze, wenn sie sich neben sie setzen will -, begann sie sich öffentlich zu wehren: „Man kann einen Menschen nicht nur deshalb steinigen, weil er nicht wie Grillo denkt.“
Die ideologische Grundlage dieses Kurses ist Grillos Ablehnung nicht nur einzelner Parteien, sondern des „Parteiensystems“ überhaupt. Das Sektierertum suchte schon immer nach „Reinheit“, und für Grillo kontaminiert das „Parteiensystem“ nun einmal alle, die mit ihm in Kontakt kommen. Als Di Pietro der 5-Sterne-Bewegung für die bevorstehenden nationalen Wahlen ein Bündnis anbot, lehnte es Grillo so ab: „Die 5-Sterne-Bewegung wird sich weder mit der IdV noch mit sonst wem verbünden, denn sie will das Parteiensystem durch die direkte Demokratie ersetzen“. Was bei Grillo unter „direkter Demokratie“ zu verstehen ist, dafür bietet sein Verhalten gegenüber Dissidenten wie Giovanni Favia oder Federica Salsi einen Vorgeschmack. Federica brachte es in ihrer Erwiderung auf den Punkt: „Ich möchte nicht, dass sich diese Bewegung, an die ich geglaubt habe, in Scientology verwandelt“. In der 5-Sterne-Bewegung befindet sie sich damit (noch?) in der Minderheit. Bisher ist Grillos Selektion seiner „Bewegung“ erfolgreich.