Vorwahlen von Mittelinks, Runde 1
Der Komiker der lockeren Beschimpfung, Beppe Grillo, nannte sie eine „groteske Reise in den Wahnsinn“. Um dies gleich vorwegzunehmen: Nie war ein Kommentar weiter von der Wahrheit entfernt. Die Vorwahlen, für die Mittelinks gut drei Millionen Italiener an die Wahlurnen brachte, welche dafür oft stundenlang Schlange stehen mussten, waren eine große Stunde der Demokratie. Bersani wurde als starker Leader bestätigt, der auch ohne die Gabe großer Rhetorik überzeugt. Renzi verbuchte einen Erfolg, der nicht nur einfach als Ergebnis einer Unterstützung von Rechts gesehen werden kann, um Mittelinks in die Krise zu stürzen. Auch Nichi Vendola erzielte ein respektables Resultat, besonders in seiner eigenen Region, wo der Konsens der Apulier mit ihm zur persönlichen Sympathieerklärung wurde. Und obwohl Laura Puppato und Bruno Tabacci chancenlos waren und medial totgeschwiegen wurden, zeigten sie, dass Mittelinks nicht nur aus seinen großen Protagonisten besteht.
Der Kontext der VorwahlenItalien befindet sich in einer Phase, in der die Desorientiertheit der Wähler, die Verweigerung gegenüber der Politik, die Enthaltung, die Verachtung jedes öffentlichen Engagements und die immer größer werdende Distanz zwischen Regierenden und Regierten zu Ingredienzien einer unverdaulichen Suppe werden, welche der Demokratie selbst nur noch Schaden zufügen kann. In diesem Kontext erblicken täglich neue Parteilisten und -listchen das Licht der Welt, die in den Labors des Zentrums und der Rechten ausgetüftelt werden. Berlusconi ist dabei, eine „Neue“ Forza Italia vom Stapel laufen zu lassen (ähnlich wie die Forza Italia seines Anfangs, aber von ihren bisherigen Unterstützern gesäubert), um wieder den nötigen persönlichen Konsens zu finden, den er braucht, um sich gegen die Gerichte und seine Unternehmen gegen alle Regulierung zu schützen. Grillo kippt jeden Morgen in seinem Blog eimerweise Jauche über die ganze Welt aus – und viele seiner Anhänger scheinen dabei nur den Duft kostbarer französischer Parfüme wahrzunehmen. Aber früher oder später werden auch sie sich von dieser Sinnestäuschung befreien.
Das ist der Hintergrund, vor dem ein wesentlicher Teil der linken und demokratischen Wählerschaft die Wahllokale aufsuchte, um zwischen Kandidaten zu wählen, die erstmals strategische Alternativen verkörpern. Das Endergebnis wird erst in einigen Tagen – am 2. Dezember – vorliegen, wenn es zur Stichwahl zwischen Pierluigi Bersani und Matteo Renzi kommt. Aber schon jetzt ist festzustellen, dass die Öffnung der Vorwahlen für eine „wirkliche“ Alternative (in den früheren stand das Ergebnis in Wahrheit schon vorher fest) Mittelinks gut tut. Das damit wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt, mit dem Anspruch, bei der Führung des Landes nach Monti und seiner Techniker-Regierung eine wichtige Rolle zu spielen.
Was nach den Vorwahlen ansteht
Die Auseinandersetzung während der Vorwahlen war hart, denn in den Personen von Renzi und Bersani trafen zwei Gesellschaftskonzepte und zwei Antworten auf die Krise aufeinander.
Vereinfachend könnte man sagen, dass Renzi sich dadurch profilierte, die Werte, in denen bisher Mittelinks wurzelte, kappen zu wollen (Leistung statt Gleichheit), und Bersani deshalb – teilweise und vorläufig – siegte, weil seine solidaristische und auch die Schwächsten berücksichtigende Sicht die Wähler eher überzeugte. Das würde auch zutreffen.
Oder das Resultat ließe sich auch als Kraftprobe zwischen denen interpretieren, die die bisherige Führungsschicht von Mittelinks „verschrotten“ wollen, und denen, die sie zwar nicht von jeder Schuld freisprechen, aber gegen ungerechtfertigte Kritik verteidigen wollen. Auch dies würde ein Körnchen Wahrheit enthalten.
Aber wenn wir solche Entweder-Oder-Erklärungen hinter uns lassen und zu einer objektiveren Betrachtung der Ergebnisse kommen, müssen wir zugeben, dass alle Kandidaten – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – Teilwahrheiten repräsentieren.
- Es ist dringend und notwendig, die Führungsschicht von Mittelinks unter den Gesichtspunkten von Kompetenz und Integrität zu erneuern. Nicht mit der Radikalität, die Renzi vertritt, aber auch nicht mit der Gemächlichkeit, die andere in der PD bevorzugen. Nicht weiter aufschiebbar sind auch eine grundlegende Überprüfung der Kosten der politischen Repräsentanz, zugunsten einer verantwortlichen Bürgerbeteiligung, und ein neues Parteiengesetz, welches die Beachtung demokratischer Grundregeln verlangt. Es bedarf keines Grillo, um uns daran zu erinnern.
- Ebenso dringlich ist in Italien die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und der den Bürgern gebotenen Dienstleistungen, vom Gesundheits- bis zum Schulwesen. Jede zukünftige Regierung wird darauf großes Gewicht legen müssen, wohl wissend, dass die Widerstände gegen solche Veränderungen gewaltig sein werden, auch bei Mittelinks, weil die betroffenen Korporationen viel Macht haben.
- Es muss zu einer Reform des Arbeitsmarkts kommen, zu einer Modernisierung der industriellen Beziehungen nach europäischem Vorbild und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Aber weder die Rezepturen des Wirtschaftsberaters von Renzi, Ichino, noch die des größten und radikalsten Gewerkschaftsverbandes, der CGIL, taugen in ihrer Einseitigkeit zur Lösung dieses schwierigen Problems. Die nächste Regierung wird einen angemessenen sozialen Konsens dafür finden müssen, dass die Auswüchse einer neoliberalen Wirtschaftspolitik überwunden werden, welche auch in der PD ihre Anhänger hat. Und die im Namen einer angeblichen „Modernität“ bisher nur die Zunahme des Prekariats und der Verarmung bewirkt hat, wofür vor allem die junge Generation und die Älteren zahlen müssen.
- Ohne kollektive Anstrengung wird das Land nicht aus der Krise herauskommen. Zu dieser Anstrengung wird es aber nur im Kontext einer nicht nur formalen, sondern substantiellen Gerechtigkeit kommen. Vor allem im Kontext einer steuerlichen Gerechtigkeit, welche einerseits die großen Steuerflüchtlinge bekämpft und die Reichen nach Maßgabe ihres Vermögens heranzieht, andererseits aber auch die „Kultur“ der Schwarzarbeit und der nicht verlangten Quittungen bei den kleinen Steuerzahlern verändert. Die Europäisierung Italiens setzt auch dies voraus.
So klärt sich die Agenda des Leaders der nächsten Regierungskoalition: Er muss nicht nur ein Italien regieren, das – auch moralisch – von der langen Ära des Berlusconismus verwüstet wurde, sondern auch eine Koalition und ein Mittelinks-Bündnis vereinen und festigen, das ebenso reich an Einfällen und Energien wie heterogen und undiszipliniert ist.
Eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe, der allerdings Renzi, würde er die Stichwahl gewinnen, kaum gerecht werden könnte: Sein ebenso radikaler wie selbstbezüglicher Reformeifer hat ihn in eine Sackgasse geführt, in der es mit Anderen keine Zusammenarbeit mehr gibt. Bersani hat hier zweifellos ein paar Karten mehr auf der Hand, die er ausspielen kann. Er ist der einzige, der in jede Richtung dialogfähig ist, sowohl mit denen, die in der Koalition rechts, wie mit denen, die links stehen. Und er ist der Leader, der auch im Falle eines (vielleicht notwendig werdenden) Bündnisses mit Casinis Zentrum am ehesten in der Lage wäre, die Rückkehr zu einer erneuten Regierung der Techniker zu vermeiden – mit oder ohne Mario Monti.