Jetzt also doch – EVP und CDU auf Distanz zu B.
Am vergangenen Donnerstag hat die versammelte EVP-Prominenz in Brüssel ihr Mitglied Silvio Berlusconi nach allen Regeln der Kunst „auf den Pott gesetzt“. Wie üblich tagten die EVP-Spitzen vor dem Treffen der europäischen Regierungschefs. Auch B. reiste an, um zu zeigen, dass er noch dazu gehört – in den vergangenen Jahren war sein Rückhalt in der EVP eines der Asse, das er im inneritalienischen Machtpoker immer wieder ausspielte und gerade jetzt nicht aus der Hand geben will. Ein Rückhalt, der ihm bisher auch immer großzügig gewährt worden war.
Diesmal war es anders. Die EVP-Spitzen hatten die Situation in Italien auf die Tagesordnung gesetzt – nichts Ungewöhnliches –, aber um darüber zu berichten, hatten sie nicht, wie früher, ihr Mitglied Berlusconi eingeladen, sondern das Nicht-Mitglied Mario Monti, den B. gerade zum Rücktritt gezwungen hat. Monti ließ es sich dann auch nicht nehmen, über die desolate Situation zu berichten, in der sich Italien befand, als er die Regierungsgeschäfte von B. übernahm. Die Versammlungsleitung war fair, man gab B. die Möglichkeit zur Erwiderung (in der er in vorauseilender Demut erklärte, dass er seine Kandidatur zurückziehen werde, wenn sich Monti zur Wiederkandidatur entschlösse). Dann ergriff der Rest der anwesenden EVP-Prominenz (Merkel, Juncker, Barroso, Mertens) das Wort, und überbot sich in Aufforderungen an Monti, seine Arbeit auch nach der Wahl fortzusetzen.Ein Scherbengericht
Schon am Vortag hatte der EVP-Fraktionsvorsitzende im Straßburger Europarlament, der Franzose Joseph Daul, B.s Beschluss zum Sturz der Regierung Monti einen „schweren Fehler“ genannt. Als er Donnerstag hinzufügte, dass sich die EVP „von allen Formen des Populismus und antieuropäischen Positionen distanziert“ und „nicht auf der Seite derer steht, die ihren Bürgern die Unwahrheit sagen, in der Hoffnung, für leere populistische Versprechen Stimmen einzuheimsen“, wusste jeder, wer damit gemeint war. Nun wurden auch die deutschen CDU-Politiker gesprächig: Schäuble urteilte, dass die Regierung Monti im Vergleich zu ihrem Vorgänger (Berlusconi) „besser“ gewesen sei. Und Angela Merkel betonte nicht nur ihre Unterstützung von Montis Reformkurs, sondern gab auch ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich die italienischen Wähler bei der bevorstehenden Wahl für den „richtigen Weg“ entscheiden werden, was nur heißen konnte: gegen Berlusconi. Was schon an Wahleinmischung grenzt. Ihren Außenminister in Berlin ließ sie erklären, „Deutschland“ verbitte es sich, zum „Gegenstand einer populistischen Wahlkampagne zu werden“.
Was macht den Unterschied?
Jetzt also das Scherbengericht über B. Bemerkenswert ist eigentlich nur der Umstand, dass es erst jetzt stattfindet. Ziemlich genau vor drei Jahren hatte Berlusconi seinen großen Auftritt auf dem Bonner EVP-Kongress (wir berichteten am 11. 12. 09 unter „EVP muss Farbe bekennen“), den er nutzte, um gegen die eigene Justiz, die eigene Verfassung und den eigenen Staatspräsidenten vom Leder zu ziehen. Obwohl schon damals klar war, wohin die Reise mit Berlusconi gehen sollte: ein korruptes und populistisches Herrschaftssystem, in dem alle demokratischen Gegengewichte, von den Medien bis zur Justiz, gleichgeschaltet werden sollten, gab es keinen Widerspruch. Im Gegenteil: Der Kongress klatschte Beifall – die CDU/CSU-Honoratioren eingeschlossen. Es war der Moment, in dem sich ein Peter Hintze zur Erklärung hinreißen ließ, B. sei einfach „großartig“, ein echter „Kämpfer gegen die europäische Linke“.
Warum damals so, warum heute anders? Es muss einen Unterschied geben, aber der populistische Angriff auf eine Demokratie macht ihn offenbar nicht – nicht nur Berlusconis PdL, sondern auch Orbans ungarische Fidesz-Partei gehören weiterhin zur EVP-Fraktion. Den Unterschied macht der Euro – seitdem B. für diesen zur Gefahr wird, rafft sich die EVP und mit ihr die deutsche CDU/CSU zur Distanzierung auf (sogar von B.s „Rausschmiss“ aus der EVP ist nun die Rede). Das „Europa“, das die EVP schon im Namen beschwört und verteidigt, ist offenbar nicht das Europa der Demokratie, sondern das Europa des Geldes. Erst da hört für die Parteien mit dem Etikett „Christlich“ die Gemütlichkeit auf. Armes Europa. Dein Antlitz ist das runde Mondgesicht eines Geldstücks, sonst offenbar nichts.
Übrigens: Der einzige, der sich in Brüssel wieder auf B.s Seite stellte, war Viktor Orban. B. sei und bleibe sein „Freund“. Das passt.