Konflikt um Ilva-Taranto spitzt sich zu
Das Drama um den Stahlkoloss Ilva in Taranto hat einen neuen Höhepunkt erreicht.
Im Sommer (wir berichteten) hatte die Staatsanwaltschaft die Verhaftung des Ilva-Chefs Riva und weiterer Führungskräfte wegen Verursachung einer Umweltkatastrophe und mehrfachen Totschlags angeordnet und besonders umwelt- und gesundheitsschädliche Abteilungen unter Zwangsverwaltung gestellt. Seitdem schwanken die verzweifelten Ilva-Arbeiter und Bürger Tarantos zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust und lebensgefährlichen Erkrankungen.
Krebsfälle häufen sich
Die Untersuchungen der vergangenen Monate haben die Folgen von 50 Jahren giftiger Stahlproduktion und kriminellen Versäumnisse des Ilva-Managements auf erschreckende Weise bestätigt. In Taranto liegt die Häufigkeit von Krebserkrankungen um 30 % höher als in der umgebenden Provinz, bei bestimmten Krebsformen noch viel höher – bei Magenkrebs sogar um 100 %. Atemwegserkrankungen sind um 211 % häufiger als sonst in Apulien. Frauen und Kinder sind besonders betroffen. Bei Neugeborenen wurden schon in den ersten vier Lebenstagen bösartige Tumore festgestellt. „Ein klarer Beweis für eine genotoxische Schädigung“ (d. h. für eine pränatale Schädigung des Erbmaterials, A. d. R.), so der Chefarzt der Pädiatrie in Taranto.Im schwierigen Spagat zwischen Arbeitsplatz- und Gesundheitsschutz hatte die Regierung Sanierungsauflagen beschlossen und auf dieser Grundlage eine Wiederaufnahme der Produktion erreicht. Doch vor kurzem ordnete die Staatsanwaltschaft erneut Verhaftungen und die Schließung von sechs Abteilungen an: es gebe weitere belastende Erkenntnisse, sowohl die Verantwortung der Unternehmensleitung als auch die Gesundheit der Bevölkerung betreffend. Und es gebe Belege dafür, dass die Ilva-Führung Sanierungsauflagen bewusst umgangen hätte.
Getreu dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ reagierte diese prompt mit der Schließung der gesamten Werks in Taranto. Die Belegschaft sah darin zu Recht einen Erpressungsversuch und antwortete mit Betriebsbesetzung. Die Arbeiter der Ilva-Werke in Genua und Novi Ligure, deren Arbeitsplätze durch die Schließung des Hauptwerks in Taranto mitgefährdet sind, schlossen sich dem Protest an.
Umstrittenes Regierungsdekret
In dieser angespannten Lage verabschiedete die Regierung eilig ein Dekret, mit dem die im Oktober beschlossene „Autorizzazione Integrata Ambientale/AIA“ („Integrierte Umweltauflage“, A. d. R.) Gesetzesrang erhält. Die AIA setzt dem Unternehmen eine zweijährige Frist für Sanierungsmaßnahmen (Kosten: 2,5 – 3,5 Milliarden), deren Umsetzung durch einen externen Garanten kontrolliert wird. Missachtet die Unternehmensleitung die Auflagen, sind Sanktionen bis zur Werksenteignung mit staatlicher Übernahme vorgesehen.
Das Dekret mit sofortiger Wirkung (das allerdings noch innerhalb von 60 Tagen vom Parlament bestätigt werden muss, andernfalls verfällt es) ist umstritten, denn es greift in die Kompetenz der Justiz ein, indem es die von ihr entschiedene Teilschließung außer Kraft setzt. Monti, der Ilva zur Chefsache erklärte, unterstreicht die „prioritäre Bedeutung des Schutzes von Umwelt und Gesundheit“, bescheinigt der Ilva-Stahlproduktion jedoch auch „strategischen Rang“ für die Ökonomie Italiens und rechtfertigt damit die Intervention. Das Ilva-Dekret gehört – mit den Stabilitäts- und Haushaltsgesetzen – zum Gesetzespaket, das Monti noch durchs Parlament bringen will, bevor er offiziell als Regierungschef zurücktritt.
Doch die Justizbehörde von Taranto gibt sich nicht geschlagen. Sie bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit des Dekrets und will das Verfassungsgericht anrufen. Und die – für ihre harte Linie bekannte – Untersuchungsrichterin Patrizia Todisco hat für eine neue Eskalation des Konflikts mit der Regierung gesorgt, indem sie die Weiterverarbeitung von 1,7 Mio. Tonnen verseuchten Stahls, die vor dem Inkrafttreten des Dekrets produziert worden waren, untersagte. Was für etwa tausend norditalienische Ilva-Beschäftigte Kurzarbeit bedeutet. Doch Todisco argumentiert, illegal produziertes, giftiges Material könne nicht einfach rückwirkend durch ein Regierungsdekret „legalisiert“ werden. Was logisch klingt.
Vor allem die unmittelbar betroffenen Bürger Tarantos reagieren gespalten. Während der Großteil der Ilva-Belegschaft die Wiederaufnahme der Produktion begrüßt, befürchten diejenigen, die nicht an eine so schnelle und radikale Sanierung der hochgiftigen Anlagen glauben, weitere Gesundheitsschädigungen. Das sind vor allem die Menschen in den besonders stark belasteten Stadtteilen in der Nähe des Ilva-Werks. „Wie viel BSP-Punkte mehr ist das Leben unserer Kinder wert?“ fragen sie verbittert auf ihren Protestplakaten.
Eine Frage, die nie gestellt werden dürfte. Und doch gestellt werden muss, wenn das Primat der Wirtschaft droht, über Leben und Tod zu entscheiden.