Das Demokratieverständnis der Parteien
Am 24. und am 25. Februar werden die Italiener ihr neues Parlament und ihren neuen Senat wählen – einige Wochen früher als vorgesehen und nach einem Wahlkampf, dessen Härte sich schon jetzt absehen lässt. Was zur Wahl steht, sind nicht nur Regierungsprogramme, Koalitionen und ihre Leader. Sondern diesmal auch – mehr als früher – unterschiedliche Konzepte des politischen Handelns, der Rolle der Parteien und letztlich auch der Demokratie.
B.s Telekratie
Der Schöpfer der Unternehmenspartei PdL machte schon im Dezember klar, dass er sich den Wählern mit altbekanntem Rüstzeug präsentiert: mit einer fiktiven Partei, die er nach seinem Bilde erschuf, ohne jene – aus B.s Sicht – überflüssigen Schnörkel wie Leitungsorgane, aber mit vielen unkritischen Halleluja-Schreiern. Von Vorwahlen oder Beratungen unter den eingeschriebenen Mitgliedern will er nichts hören. Auch wenn B. diesmal ankündigte, sich des Webs als Propaganda-Instrument zu bedienen, kann man darauf wetten, dass sein wichtigstes Mittel wieder das Fernsehen ist. So wie B. die Welt sieht, ist das, was zählt, die eindimensionale Botschaft, die er den Massen per Fernsehen übermittelt: vor allem der Monolog, der möglichst noch durch die servile Präsenz von Moderatoren unterstützt wird, deren Rolle das Stellen vorher abgesprochener Fragen ist. Wie der Clown im alten Varieté, der in den Mittelpunkt gehört und einen Stichwortgeber braucht, um daran seine Witze und Effekte aufzuhängen. Diese Art des Wahlkampfs gefällt B. so gut, dass er zunächst sogar versuchte, den formellen Rücktritt der Regierung Monti mit Verfahrenstricks hinauszuzögern – je später ihr Rücktritt, so sein Kalkül, desto mehr Auftritte hat er auf den Bildschirmen.
Für B. ist die Politik eine ewige Show, deren Adressaten, die Wähler, er immer wieder anruft, ohne dass sie jemals präsent sind. Allein dem Kandidaten kommt es zu, ihre Stimmung über die Meinungsumfragen zu erkunden und ihnen über den Bildschirm zu sagen, was sie von den sie Regierenden erwarten. Wirkliche Journalisten braucht B. nicht: Im Fernsehen ist er sich selbst genug, denn wie er die Fragen stellt, gibt er auch die Antworten, ohne kritische Filter, die nur stören.
Grillos Webkratie
Es scheint paradox, aber Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung, die sich gern als Bruch mit dem traditionellen politischen System darstellt, hat mit B.s Politikkonzept vieles gemein: ein absoluter Leader, der nicht gewählt wurde, sondern sich selbst ernannte, und Gefolgsleute, die ihm gläubig-blinden Gehorsam entgegenbringen; eine vertikale „leichte“ Organisation ohne Apparat und partizipative Organe (mit der einzigen Ausnahme von Volksversammlungen, die halbjährlich stattfinden und die Arbeit der gewählten Vertreter kontrollieren sollen). Mit dem Netzvolk, einer strukturlosen Masse von Anhängern, die wie im Meer nur kleine harmlose Wellen schlagen können, auf dem einen Pol. Und auf dem anderen Pol ER, der Komiker-Guru und höchste Garant des kollektiven Willens. Auch in diesem Fall ist es nur ein Subjekt, das die Marschrichtung festlegt, proklamiert und verteidigt, nämlich Beppe Grillo. Oder genauer: er und sein faktischer Kommunikationsberater, Casaleggio. Wie B. Sendekanäle, Zeitschriften und Tageszeitungen besitzt und kontrolliert, so verfügen Grillo und Casaleggio über den Blog mit dem Symbol M5S (Fünf-Sterne-Bewegung), einen der meistbesuchten der Welt. Was ihnen eine Macht gibt, die noch absoluter ist als die von B.So war der kürzliche Rausschmiss zweier Dissidenten für Grillo die leichteste Übung. Es genügten 20 in seinen Blog geschriebene Worte, um mitzuteilen, dass es ihnen von nun an verboten ist, den Namen und die Symbole der Bewegung zu benutzen. Und das gebrüllte „Ihr geht mir auf den Sack“, per Video nachgeliefert.
Die Glaubensherrschaft der Lega
Die Lega Nord, die nach dem faktischen Ausscheiden von Umberto Bossi B.s ehemaliger Innenminister Maroni führt, scheint im Vergleich dazu eine eher traditionelle Partei. Aber auch hier ist es der Glaube an die großen Leader, der Führung und Basis zusammenschweißt, wie es teilweise auch bei der alten KPI der Fall war. Wobei die Basis allerdings immer noch von der Krise geschockt ist, welche die Lega im letzten Jahr erfasste, aufgrund der Skandale um den Schatzmeister der Lega oder die Vizepräsidentin des Senats, Rosi Mauro, oder auch um Bossi selbst und dessen Sohn.
Die anderen demokratischen Optionen
Alle anderen politischen Kräfte, von Vendolas SEL über die PD (als größte Partei) bis zu Casinis Zentrum und Finis FLI, haben die Strukturen, die wir üblicherweise mit Parteien verbinden: zentrale und dezentrale Führungsorgane, hinreichend klare Partizipationsregeln und eine einigermaßen funktionierende interne Debatte. Im Vergleich zu den vorher dargestellten politischen Organisationsmustern sind sie oft widerständiger gegenüber schnellen Richtungsänderungen und aufgrund ihrer internen Demokratie auch schwerfälliger bei der Konsensfindung.
Ein Gesetz über die politischen Parteien gibt es in Italien (leider noch) nicht, während es (leider noch) ein Wahlgesetz gibt, das die Macht der Parteiführer stärkt, indem es allein ihnen die Aufgabe zuweist, die Liste der Kandidaten für die Wahl aufzustellen. Vor diesem Hintergrund haben die PD und teilweise auch die SEL beschlossen, trotz des Zeitdrucks zur Kandidatenauswahl Vorwahlen durchzuführen, an denen sich auch Nichtmitglieder beteiligen können. Eine Neuerung, die von der Basis begrüßt wird, wenn sich auch die Begeisterung der ausscheidenden Abgeordneten und einiger Führungsmitglieder in Grenzen hält. Eine wichtige Entscheidung, welche den Unterschied zwischen Mittelinks und Populisten markiert.