Wählerbewegungen zu Grillo
Meine Frau behauptet seit Jahren, das italienische Wahlvolk stehe eher „rechts“ als „links“. B.s Anhänger meinen, dass es B. zu verdanken sei, dies durch die Einigung der Rechten endlich ans Licht gebracht zu haben. Eine Einschätzung, welche verschiedene Wahlen seit 1994 scheinbar bestätigen. Wie sieht es damit jetzt aus?
Diesmal wurden 34 Millionen Stimmen abgegeben, was einer Wahlbeteiligung von 75 % entspricht. In das Rechts-Links-Schema passen davon 20 Millionen: gut 10 gingen an Mittelinks (Bersani und Vendola), knapp 10 nach Rechts (Berlusconi, Lega und Co.). Und auch die 3,6 Millionen, die für Monti stimmten, passen noch halbwegs ins Bild, denn wo es Rechts und Links gibt, da gibt es – manchmal – auch ein Zentrum.
Woher kommen die „Grillini“?
Was nicht ins Schema passt, sind die 8,7 Millionen, die für Grillos 5-Sterne-Bewegung stimmten. Zumindest wenn man ernst nimmt, was Grillo selbst sagt: Seine Bewegung sei weder links noch rechts, das sei alles „Ideologie“. Nun gibt es zwar den bekannten Spruch, dass immer nur Rechte behaupten, weder rechts noch links zu sein. Aber wir wollen es uns nicht so leicht machen. Und fragen deshalb, woher die 8,7 Millionen Menschen kommen, die plötzlich aus dem Nichts heraus ihr Kreuz bei Grillo machten.
Der Meinungsforscher Renato Mannheimer beantwortet diese Frage (im „Corriere della Sera“) wie folgt: Etwa 16 % dieser 8,7 Millionen sind jugendliche Erstwähler, 20 % kommen aus dem Lager derer, die sich bei der letzten Wahl (2008) der Stimme enthielten, und der Rest verteilt sich etwa gleichmäßig auf ehemalige Links- (Pd) oder Rechtswähler (PdL, Lega). Dem stehen massive Stimmenverluste aller etablierten Parteien gegenüber, auch wenn sie nicht alle mit der Abwanderung zu Grillo zu erklären sind (teilweise gingen sie auch in die Enthaltung, 2008 lag die Wahlbeteiligung noch bei 80,5 %). Die Wählerschaft der PdL hat sich fast halbiert (sie verlor 6 Millionen), die der Lega sogar mehr als das (von 3 auf 1,4 Millionen), und die PD verlor immerhin fast 4 Millionen. Das 2008 von Casini und jetzt von Monti geführte Zentrum wuchs zwar von 2 auf 3,5 Millionen Stimmen an und zog dabei sowohl von Rechts als auch von Links Stimmen auf sich. Aber gemessen an den Hoffnungen, die sich europaweit an Montis Einstieg in die Politik knüpften, ist dies wenig. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Senat wird es nicht Monti, sondern Grillo sein, der neben der PD über das Schicksal der nächsten Regierung entscheidet.
Widersprüche in Grillos Lager
Aber zurück zur Frage, was Grillos Durchbruch in beiden italienischen Kammern für das klassische Links-Rechts-Schema bedeutet: Mit der politischen Herkunft seiner Wähler ist diese Frage also nicht zu beantworten, denn er fischte sich seine Anhängerschaft aus beiden Lagern zusammen. Man muss also differenzieren. Und zwar beginnend damit, dass man die Wähler der 5-Sterne-Bewegung von ihren Aktivisten unterscheidet: Während bei Grillos Wählern der Anteil derer stark ist, die sich von seiner Demagogie („alle Politiker sind Verbrecher“) angezogen fühlen und in Deutschland eher an (rechten) Stammtischen sitzen, scheint bei den Aktivisten der Anteil jugendlicher (linker) Idealisten zu überwiegen, die auf lokaler Ebene für durchaus ehrenwerte Ziele kämpfen (z. B. Wasser als öffentliches Gut, Umweltschutz, gegen die Korruption). Bisher gelang es Grillo, den darin enthaltenen potenziellen Widerspruch unter Kontrolle zu halten – unter anderem damit, dass er ein generelles Verbot für politische Bündnisse verhängte. Aber dies könnte sich jetzt ändern, wenn über 100 Abgeordnete der 5-Sterne-Bewegung ins Parlament und über 50 in den Senat einziehen. Die plötzlich vor der Frage stehen, ob sie zum Beispiel zulassen oder verhindern wollen, dass sich überhaupt eine handlungsfähige Regierung konstituiert. Womit die 5-Sterne-Bewegung zu einem Experiment mit ungewissem Ausgang wird, das aber leider nicht im Labor, sondern in der Realität stattfindet. Und von dem nicht nur das italienische, sondern auch das europäische Schicksal abhängt
Mir ist klar, dass damit über das Phänomen Grillo noch wenig gesagt ist. Wir werden auf diesem Feld tiefer graben müssen – wie übrigens auch bei der Frage, was die erstaunliche Wiedergeburt Berlusconis ermöglicht hat.
Steinbrück und die „Clowns“
Ein Nachwort aus aktuellem Anlass: Peer Steinbrück sorgte gegenüber dem italienischen Staatspräsidenten Napolitano, der gerade Berlin besucht, für einen Eklat, indem er erklärte, in Italien hätten zwei „Clowns“ gesiegt. Nun kann man zwar sagen, dass zumindest der eine von ihnen, Berlusconi, über die deutsche Kanzlerin schon viel Schlimmeres, Widerlicheres sagte. Aber sollte man sich auf einen solchen Wettbewerb überhaupt einlassen? Vor allem aber zeugt Steinbrücks Äußerung von Ignoranz. In mehrfacher Hinsicht: Erstens verharmlost er die dramatischen Veränderungen, die sich gegenwärtig in Italien abspielen, einmal mehr zur Folklore. Zweitens scheint man ihm nicht erklärt zu haben, dass sein Fraktionsfreund Bersani in den kommenden Tagen versuchen muss, sich mit einem der beiden „Clowns“ – mit Grillo – auf irgendetwas zu einigen, um Italien überhaupt regierbar zu machen. Und drittens scheint es Steinbrück zu überfordern, sich in die Lage Napolitanos hineinzuversetzen, mit dem er sich zum Abendessen verabredet hatte (das dieser dann absagte). Bei den jetzt anstehenden Sondierungsgesprächen, die Napolitano als italienischer Staatspräsident zu führen hat, muss er sich mit beiden „Clowns“ – mit dem einen nur pflichtgemäß, wie wir hoffen, mit dem anderen ernsthaft – persönlich zusammensetzen. Was der Hauptgrund für seine demonstrativ heftige Reaktion auf Steinbrücks Tirade gewesen sein dürfte. Er habe nur „Klartext“ geredet, sagt Steinbrück? Er hat Mist geredet, und dabei leider auch Ignoranz – in der Sache, gegenüber der Situation – gezeigt. Für einen deutschen Kanzlerkandidaten mit europäischer Verantwortung keine Empfehlung.