Der Alptraum ist Wirklichkeit

Das vorläufige Wahlergebnis (Stand: 26. Februar, vormittags):

Abgeordneten-Kammer 

Senat
Sitze  % Sitze
Mittelinks (PD, SEL und sonst.)  29,5 340 31,6 120
Rechts (PdL, Lega und sonst.) 29,1 124 30,7  117
Grillos 5-Sterne-Bewegung 25,5 108 23,8 54
Bündnis Monti 10,5  45  9,1 18

Italien ist unregierbar geworden

Diese Zahlen sagen: Italien ist unregierbar geworden. Das Bündnis PD-SEL hat zwar sowohl bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer als auch zum Senat gegenüber den Prognosen deutlich verloren, aber immer noch eine äußerst knappe (relative) Mehrheit der Stimmen erhalten, mit der sie in der Abgeordnetenkammer sogar eine komfortable absolute Mehrheit der Sitze bekam. Aber das Wahlgesetz, das ihr hier dieses nicht gerade sehr demokratische Geschenk in den Schoß legt, nimmt es ihr im Senat wieder weg: Denn dort verteilt es seine „Mehrheitsprämien“ nicht auf der Grundlage der nationalen, sondern der regionalen Mehrheitsverhältnisse. Mit dem Ergebnis, dass sich das Bündnis PD-SEL im Senat in der Minderheit befindet. Dort stehen ihm mit dem Berlusconi-Lega-Bündnis und Grillos 5-Sterne-Bewegung zwei feindliche Lager gegenüber, mit denen unter „normalen“ Umständen keine gemeinsame Regierungsbildung möglich ist. Auch die kleine Gruppe von Montis Zentrum, die im Senat überwintert, wird bei weitem nicht ausreichen, um diese Mehrheit zu erreichen. Da der italienische Senat für das Gesetzgebungsverfahren genauso wichtig ist wie die Abgeordneten-Kammer („perfekter Bikameralismus“), kann dies totale Blockade bedeuten.

Aber auch bei einem reinen Verhältniswahlrecht wäre das Land unregierbar. Denn die Italiener haben auf Anhieb Grillos 5-Sterne-Bewegung („Movimento 5 Stelle“, M5S), die bisher vor allem als Protestpartei wahrgenommen wurde, zur stärksten Partei Italiens hochgewählt – ein Zehntel Prozent mehr sogar noch als die PD. So dass es jetzt in der politischen Landschaft Italiens drei etwa gleich große Lager mit jeweils etwa 25 – 30 % gibt: Mittelinks (PD und SEL), Rechts (PdL und Lega) und Grillos M5S. Wobei es jedem Beobachter der Szene absolut schleierhaft sein muss, wie zwei von ihnen das übernehmen könnten, was man gemeinhin „gemeinsame Regierungsverantwortung“ nennt. Klar ist seit dieser Wahl nur, dass das kleinere Lager um Monti, das auf etwa 10 % kommt und auf das die PD als Bündnispartner hoffte, dafür zu schwach ist.

Blockade

Blockade

Der gefährdete Reformkurs

Was in Italien auf dem Spiel steht, ist der Reformkurs. Das eine Jahr unter Monti war noch keine ökonomische Rosskur, aber ihr Beginn. Auf diesem Gebiet müssen die Reformen weitergehen, aber in Zukunft so austariert, dass der Patient am bisher eingeleiteten Sparkurs nicht zugrunde geht. Die politischen Akteure, die dafür von nun zur Verfügung stehen, sind Berlusconi, Bersani und Grillo. Schon allein diese Aufzählung – in alphabetischer Reihenfolge – macht schaudern. Bersani kann man unterstellen, dass er ungefähr weiß, in welcher Richtung der Reformkurs fortgesetzt werden müsste: sozial abgefederter, weniger wachstumshemmend. Überfällig ist auch die Justizreform. Berlusconis Rezeptur weist in die entgegengesetzte Richtung: Rückkehr zum alten Schlendrian, zu Steuerhinterziehung und Korruption ad Personam (aber was heißt bei B. „Rückkehr“?). Wie sich Grillo zu den hier anstehenden Fragen verhält, scheint noch unklar.

Es geht auch um Europa

Das Thema Reformen verquickt sich mit dem Thema Europa. Bersani steht für das Festhalten am europäischen Projekt. Berlusconi stellt es in Frage. Grillo verhält sich zu dieser Frage bisher noch wie der Wanderer zwischen zwei Welten. Leider geht es hier nicht nur um die Frage, ob Italien in der EU und im Euro-Raum bleibt. Sondern auch darum, ob bei dieser Gelegenheit auch das ganze europäische Projekt in den Abgrund gerissen wird.

Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. Bersani beteuert allgemein, dass er und seine Koalition „mit Verantwortungsgefühl im Interesse Italiens“ handeln werden, legt sich also noch nicht fest. Berlusconi signalisiert gegenüber der PD Gesprächsbereitschaft, denn „Italien hat es nicht verdient, nicht regiert zu werden“, will sagen, er will Neuwahlen aus Furcht vor Grillo vermeiden und bei dieser Gelegenheit noch seinen Deal machen. Grillo selbst schließt jegliches Bündnis mit den anderen Lagern aus und prophezeit ein Regierungsbündnis von PD und PdL, das aber nur von kurzer Dauer sein werde (7-8 Monate). Dann gebe es Neuwahlen, aus denen seine Bewegung nochmals verstärkt hervorgehen werde. Vendola und Bersani sind sich darin einig, dass ein Bündnis mit Berlusconi nicht akzeptabel ist und den endgültigen Triumph Grillos bedeuten würde. Wobei einem gleich einfällt: zum Beispiel bei der Justizreform müsste hier eine Zusammenarbeit möglich sein.

Inzwischen stieg der Spread schon um 100 Punkte und stürzte die Börse um 4 bis 5 Punkte ab. Weshalb die Neigung von Staatspräsident Napolitano – dessen Mandat im Mai endet -, den Weg für Neuwahlen frei zu machen, gering zu sein scheint.

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