Linke Reifeprüfung
„Berlusconi ist keine konkrete Gefahr, er hat keine Chance. Monti ist gefährlicher“
(Antonio Ingroia, Anfang Januar)
„Monti ist gefährlicher als B., denn von B. wissen wir, dass er unser Gegner ist. Von Monti wissen wir, dass er im Vergleich zu B. international unvergleichlich mehr Autorität hat und eine Person von hoher Kompetenz und Seriosität ist. Aber hier geht es nicht um die Person, sondern um Inhalte…“
(Ingroia am 17. 1. im Radio)
Ingroia, eben noch bekannter Antimafia-Staatsanwalt in Palermo, geht in die Politik. Zum Jahreswechsel gründete er die Bürgerliste „Zivile Revolution“, um sich im Rahmen der von den Bürgermeistern De Magistris und Orlando geführten „Orangenen Bewegung“ an den Wahlen zu beteiligen. Der politische Newcomer gilt als integer, seiner Bewegung traut man den Einzug ins Parlament und vielleicht sogar in den Senat zu. Aber er weigert sich, mit dem Wahlbündnis PD / SEL irgendwelche Absprachen zu treffen. Begründung oben.
Ingroias „Zivile Revolution“
Schon der Name besagt, was Ingroia anstrebt: die Fortsetzung des zivilgesellschaftlichen Aufbruchs, der Italien seit zwei Jahren erfasst hat. Ein Aufbruch, der auch bisher politikferne Menschen dazu bringt, sich ohne den Umweg über eine Partei in die öffentlichen Angelegenheiten einzumischen. Den reformorientierten Parteien müsste es recht sein. Weil sie auf diesem Weg neue Bündnispartner gewinnen und nur so die in Italien überfällige „Kulturrevolution von unten“ in Gang zu bringen ist.Warum gelingt es keiner Seite, sich wechselseitig als positive Ergänzung zu sehen? Zunächst wegen eines Wahlgesetzes, das dem Bündnis mit den meisten Stimmen zwar im Parlament die Mehrheit sichert, sie ihm aber im Senat aufgrund der regionalen Mehrheitsprämien auch wieder entziehen kann. Da gegenwärtig in den wichtigsten Regionen (Lombardei, Venetien, Kampanien, Sizilien) die Abstände zwischen Mittelinks und Rechts knapp sind, kann eine neue Liste, welche die Linke zersplittert, der Rechten im Senat zu den Mehrheitsprämien verhelfen, die alles wieder auf den Kopf stellen.
Hinzu kommt die Neigung, in der jeweils anderen Liste nur den Konkurrenten, wenn nicht gar den Feind zu sehen, mit dem man keine Absprachen trifft. Was vor allem zwei Gründe hat: hier ein Sektierertum, dem „Reinheit“ wichtiger ist als politische Veränderung, dort der Egoismus der großen Organisation. In einem Wort: politische Unreife.
Sektierertum hier …
Eigentlich wäre das Problem des wechselseitigen Stimmenklaus in den Schlüsselregionen einfach zu lösen: Wäre Ingroias „Zivile Revolution“ in das Mittelinks-Wahlbündnis eingetreten, ohne ihr eigenes Profil aufzugeben, dann wären die Stimmen für jede Liste auch Stimmen für das ganze Bündnis, ohne dass man Gefahr liefe, die relative Mehrheit und damit die Mehrheitsprämie aufs Spiel zu setzen. Aber dem steht ein Dissens im Weg, der alles blockiert: Darf man, wenn es im Senat nicht zur eigenen Mehrheit reicht, auch eine Koalition mit Montis Zentrum eingehen? Die PD sagt ja, Ingroia sagt nein. Als Realist hält sich Bersani die Möglichkeit einer solchen Koalition offen. Deshalb nennt er als Ziel der nächsten Regierung nicht den totalen Bruch mit Montis Politik, sondern mit ihr nur „über Monti hinaus zu gehen“. Ein subtiler Unterschied, der Manövrierraum in jeder Richtung lässt und an dem das gegenwärtige Linksbündnis nicht unbedingt scheitern müsste.
Warum will aber Ingroias „Zivile Revolution“ den Bruch um jeden Preis – auch wenn er damit nicht nur die Einheit, sondern auch die Regierungsfähigkeit der Linken aufs Spiel setzt? Weil sein Projekt janusköpfig ist: Einerseits zielt es auf zivilgesellschaftliche Mobilisierung, andererseits sammeln sich in ihm jene Splittergruppen, die bei der Sozialdemokratisierung der KPI auf der Strecke blieben und in Monti nur den Klassenfeind sehen.
Und in B., wie auch Ingroia sagt (s. o.), keine Gefahr. Angesichts der Aufholjagd, die B. veranstaltet, und des Wahlgesetzes, das ihm im Senat noch eine Chance gibt, möglicherweise eine fatale Illusion. Aber nicht zum ersten Mal neigt ein Teil der Linken dazu, die Frage der Demokratie gering zu schätzen und den Hauptgegner nicht bei den Antidemokraten, sondern in der Mitte zu suchen. Für diese Linke sind alle, die rechts von ihr stehen, sowieso gleich. Oder in der Variante Ingroia: Der Unterschied zwischen dem konservativen Monti und dem Antidemokraten B. ist nur eine Frage der „Person“, nicht des „Inhalts“.
… Organisationsegoismus dort
Aber nicht nur Sektierertum spaltet die Linke. Ingroia beklagt, die PD habe seine Vorschläge, noch vor den Wahlen ins Gespräch zu kommen, unbeantwortet gelassen. Eine Klage, mit der er vielleicht sogar recht hat, denn die PD-Führung scheint sich in den letzten Monaten wenig um die Mobilisierung der Zivilgesellschaft zu kümmern. Als ob sie mit den Vorwahlen alle derartigen Pflichten schon erfüllt habe. Woran liegt es – am Organisationsegoismus der großen Partei? Auch bei den anderen großen Umwälzungen der letzten Jahre (Referenden und Kommunalwahlen) musste die PD eher zum Jagen getragen werden. Dieser Fehler könnte sich jetzt wiederholen. So schaukeln sich Bürokratismus und Sektierertum gegenseitig hoch, zum Schaden der Reformbewegung insgesamt.
Noch ist nicht entschieden, in welchem Ausmaß dies wirklich den Wahlausgang beeinflussen wird. Aber B. lässt die freiwillige Selbstzerlegung der Linken zumindest wieder hoffen. Die Chance zu einem Wandel ist da, und es wäre schade, wenn sie verspielt wird. Bei den Wahlen in vier Wochen geht es nicht nur um eine Reifeprüfung für die italienischen Wähler im Allgemeinen. Sondern auch für die Linke im Besonderen.