Grillos Wege
Aufgrund des Wahlausgangs scheint Italien unregierbar. Das Bündnis Bersani – Berlusconi, das letzterer anbietet, wäre eine Katastrophe für Italien und das Ende der Linken. Aber auch Grillo lehnt jedes Bündnis mit Bersani ab. Gibt es etwas, worauf man noch hoffen kann? Seine 5-Sterne-Bewegung hat verschiedene Facetten. Ihre Massenwirksamkeit hat ein anderes Fundament als die von B. Während B. der klassisch-„moderne“ Mediokrat ist, der seine Botschaften direkt in die Wohnzimmer des Landes schickt, geht Grillo andere Wege. Es sind (1) die öffentlichen Plätze, auf denen Grillo seine Auftritte inszeniert, (2) seine lokalen Ableger („Meetups“) und (3) das Web. Mit unterschiedlichen Adressaten.
Weg 1: der Marktplatz
Es gibt einen Adressaten, den er vor allem auf den Marktplätzen anspricht. Hier ist er der Demagoge, der alle Tabus des zwischenmenschlichen Umgangs bedenkenlos überspitzend und entmenschend außer Kraft setzt (gerade erklärte er Bersani wieder einmal zum „Toten“ und stellte ihn im Blog als Leiche aus). Manchmal mag so etwas heilsam sein – wenn es aber unterschiedslos auf alles und jedes angewandt wird, das nicht zum eigenen Lager gehört, bedient es eine Mentalität, die in Italien im Übermaß vorhanden ist (und bei uns an den „Stammtischen“ gezüchtet wird): den Viktimismus derer, die sich sowieso immer beschissen fühlen, samt blindem Hass auf die „da oben“.
Ich las kürzlich ein Interview mit dem Politologen Roberto Biorcia, der ein Buch über Grillos 5-Sterne-Bewegung geschrieben hat. Er gesteht ein, dass zu Grillos Anhängern Leute gehören, „die sich in anderen Ländern Le Pen oder Alba Dorata (rechtsextreme griechische Partei, A.d.R.) angeschlossen hätten“. Diesen Typ von Grillo-Anhängern gibt es tatsächlich: unartikuliertes Ressentiment gegenüber aller Politik – und allen Politikern –, aber dank Grillo mit Selbstbewusstsein. Wofür es zwei Lesarten gibt. Für Biorcia ist es immer noch besser, wenn diese Leute in Grillos 5-Sterne-Bewegung statt in Alba Dorata eingebunden werden. Die andere Lesart sieht eher die Gefahr, dass die Bewegung in ihr Schlepptau gerät. Wenn Grillo höhnt, seine Bewegung würde niemals einer Bersani-Regierung das Vertrauen aussprechen, egal was sie vorschlägt, bedient er vor allem diese Klientel.
Aber der Grillismus hat auch eine andere, „modernere“ Seite. B.s Botschaften zielen auf die Manipulation passiver TV-Zuschauer. Grillo setzt auf Interaktivität – und damit auf ein Bedürfnis, das bei vielen Jüngeren, vor allem den Gebildeteren unter ihnen, lange brach lag und in den letzten Jahren nicht nur in Italien zu unerwarteten Mobilisierungen führte. Die Interaktivität beginnt bei Grillos Auftritten, wenn er das Publikum einbezieht, wie ein Rockstar über ausgestreckte Arme schwimmt oder alle in Verhöhnung seiner Kritiker „Siamo Po-pu-li-sti!“ schreien lässt. Das geht nur auf Marktplätzen. Wird es im Fernsehen nachgestellt, wirkt es fingiert.
Weg 2: Die „Meetups“
Die Interaktivität, die Grillo anbietet, geht weiter. Die M5S ist eine Graswurzelbewegung. In Tausenden von Städten gibt es „Meetups“, in denen sich Anhänger zum Meinungsaustausch treffen und aus denen die Aktivisten hervorgehen, die sich in der kommunalen, in der regionalen und zuletzt auch nationalen Politik engagieren. Und dabei, wie berichtet wird, „gute Arbeit leisten“. Für die Wahlen wurde ihr Programm noch einmal gebündelt, und es erscheint attraktiv und fortschrittlich: gegen Korruption und gegen die politische Kandidatur strafrechtlich Verurteilter, für eine ökologische Energie- und Verkehrspolitik, Verbilligung und Entbürokratisierung von Staat und Politik, Transparenz öffentlicher Meinungsbildungsprozesse, Stärkung des öffentlichen Gesundheits- und Schulwesens, regionale Verwurzelung der Wirtschaft, Kontrolle der Finanz- und Aktiengesellschaften, Begrenzung von Managergehältern zugunsten eines garantierten Arbeitslosengeldes. Inwieweit ein solches Programm den Problemen standhält, die heute die europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik lösen muss, wird sich noch erweisen.
Weg 3: das Web
Der dritte Weg zur Meinungsführerschaft ist das Web – Grillos Blog gehört zu den weltweit am häufigsten besuchten. Das Web ist Grillos Modernitätsausweis, den sein Guru Casaleggio sofort ins Esoterische überhöht: In 20 Jahren, so prophezeit dieser kraft seines höheren Wissens, wird das Web alle Parteien überflüssig machen und in 40 Jahren die Weltregierung übernehmen. Was unter anderem heißen soll: Wer heute die Parteien bekämpft, hat die Weltgeschichte auf seiner Seite. Allerdings zeigt Grillos Blog eine sehr irdische Ambivalenz: es ist Forum einer breiten Diskussion, aber mit Grillo als letzter Entscheidungsinstanz. Wer Aktivist seiner Bewegung sein will, muss es aushalten, einerseits aktiv, diskussionsfreudig, uneigennützig und transparent zu sein – und andererseits auch zum jederzeitigen Kotau bereit. Sonst droht Ausschluss. Grillo zeigt Symptome von Verfolgungswahn: Als es jetzt einen kleinen Aufstand im Web gegen seine Direktive gab, auf keinen Fall einer PD-Regierung das Vertrauen auszusprechen, erklärte Grillo, die Wortführer des Aufstands seien von „Feinden“ seiner Bewegung „infiltriert“ worden.Wenn man etwas sucht, auf das man bei der 5-Sterne-Bewegung Hoffnungen setzen könnte, dann sind es diese Widersprüche. Erstens der Widerspruch in seinem Publikum: hier ein intellektuelles Lumpenproletariat, das seine Demagogie aufsaugt, dort seine anders sozialisierten Aktivisten (die in seiner Demagogie vorrangig den Appell ans Selbsttun sehen). Zweitens der Widerspruch bei den Aktivisten: zwischen zivilgesellschaftlicher Eigeninitiative und Unterwerfung. Widersprüche, die bisher nur zu kleinen Rissen führten, welche jetzt vielleicht größer werden. Wer als unverbesserlicher Optimist – der ich gern wäre – noch auf die Regierbarkeit Italiens hofft, muss auf zwei Wunder hoffen: In der 5-Sterne-Bewegung und auch beim Leader siegt Verantwortungsgefühl über Sektierertum und Ressentiment. Aber wie sagte angeblich Ben Gurion: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.
Einige Beobachter nennen Italien ein „Laboratorium“. Es ist aber leider ein Laboratorium, in dem ein Experiment stattfindet, von dessen Ausgang das Schicksal Europas abhängt.
Letzte Meldung (4, März, abends): Grillo hat seinen in Rom versammelten Abgeordneten noch einmal jede Koalition verboten.
Ein Artikel, der (im Gegensatz zu dem, was in SZ, FAZ, Spiegel etc. zu Grillo erscheint) im Ansatz auch das Wahlprogramm der M5S beleuchtet. Was ich nicht verstehe: Sie kennen Grillos Blog. Wie kann es sein, dass Sie eine Meldung von ORF.at (5.3.13 – „Hoffen auf rasche Regierungsbildung…“) unter „Neues aus Italien“ verlinken, in der behauptet wird, die M5S werde eine „technische Regierung“ möglicherweise stützen, wenn dies zur gleichen Zeit im Blog ganz klar verneint wird?
„Neues aus Italien“ macht aufmerksam auf Artikel zum Thema Italien. Es handelt sich um einen Google-Dienst. Wir können (und wollen) keine Auswahl vornehmen.
Italien ist weder unregierbar noch un-reformierbar.
Bersani hat ja seine 8 Punkte vorgelegt.
Als Alternative möchte ich MEINE 8 Punkte vorstellen:
Italien ist m.W. der einzige europäische Staat, in dem die Zahlen der Schattenwirtschaft als Schätzung ganz hochoffiziell in das normale staatliche Brutto-Inlandsprodukt einfliessen.
Und die Schattenwirtschaft funktioniert prächtig.
Machen wir also aus der Not eine Tugend.
Punkt 1: Stellen wir in Italien die GESAMTE Wirtschaft auf „Schatten“ um.
2. Schaffen wir Polizei, Justiz, Finanzämter ab. Das ergäbe einen billigen, schlanken Staat ohne Reibungsverluste.
3. Ersetzen wir die Funktion des „presidente del consiglio“ durch den Titel „padrino“. Die Regierung wäre dementsprechend seine Familie.
4. Bitten wir Toto Riina, seine staatsbürgerliche Verantwortung wahrzunehmen und seinen Alterssitz zu verlassen, damit er diesen schweren Posten in Rom übernehmen kann.
5. Al Pacino wird Präsident, Marlon Brando weilt ja nicht mehr unter den Lebenden.
6. Berlusconi wird Papst. Innerhalb kürzester Zeit könnten wir uns an einer Riege junger, hübscher Kardinälinnen erfreuen.
7. Wenn Riina keine Mehrheit bekommt, könnte eine Auswahl an jetzigen Politikern unter der Ägide des Präsidenten eine Experten-Regierung der Schattenbewirtschaftung bilden – sie sind darin wahre Meister.
8. Senken wir den Spread mit dem Mittel der Überzeugung. Sollten die Finanzmärkte nicht einsichtig sein, machen wir ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können.
– Sie sehen, übermässiger Pessimismus ist nicht angebracht.
Umore Nero?? È meglio di umore Caligula.
Was bleibt einem denn noch anderes als Galgenhumor?