Frischer Wind und alte Ängste
An den guten Heinrich Heine fühlt man sich häufig erinnert, wenn man einige Reaktionen auf den Erfolg des ‚Movimento 5 Stelle’ bei den jüngsten Parlamentswahlen in Italien zur Kenntnis nimmt. „Lasst mich nicht“, so schrieb Heine einmal, „ ein alter Polterer werden, der aus Neid die jüngeren Geister ankläfft, oder ein matter Jammermensch, der über die gute alte Zeit beständig flennt.“ Poltern, Kläffen, Jammern sind keine Verhaltensweisen, wenn man versucht, neue politische Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen und zu verstehen. Und die Oberflächlichkeit, mit der in der deutschen Öffentlichkeit das Phänomen der von Beppe Grillo massgeblich angefachten ‚Wut gegen die da oben’, gegen ‚die Politiker’ , die ‚Casta politica’ wahrgenommen wird, ist es wirklich wert, kritisiert zu werden. Ob aber Elogen auf das ‚Movimento 5 Stelle’ wie die von Michael Schlicht in diesem Blog oder auch von Petra Reski über den „Mann, dem das Lachen verging“ (Tagesspiegel 4. 3. 2013) zu einem tieferen Verständnis dieser angeblich aus dem Nichts entstandenen ‚Bewegung eines Clowns’ (Steinbrück) führen, wage ich vorsichtig zu bezweifeln.
Dass die Wahlerfolge des ‚Movimento 5 Stelle‘ sehr differenziert zur Kenntnis genommen werden sollten, habe ich inzwischen auch gelernt. Für lange Zeit hatte auch ich ein nur mangelhaftes Wissen über die Szene und den Teil der italienischen Gesellschaft, der mit großer Zustimmung und Begeisterung den Solo-Auftritten von Beppe Grillo folgte. Aber in Bologna und auch in Ferrara gab es auch schon früh eine auffallende Dissidenz gegen den schwer erträglichen Autoritarismus dieser „Non-Partito“-Partei. Und wenn man einige Exponenten des ‚Movimento 5 Stelle‘ (in Ferrara) kennt, dann hält sich das Interesse gegenüber dem neuen Phänomen in Grenzen. Trotzdem kann man es mit dem Verweis auf lokale Besonderheiten natürlich nicht nur als komödiantischen Populismus denunzieren. Da steckt mehr dahinter, und einige Gründe hat der Autor Schlicht ja auch aufgeführt.
Die Schwierigkeiten einer Grundsatzdiskussion mit der 5 Sterne-Bewegung
Angesichts des aktuellen Parteienzerfalls in Italien (und weiß Gott nicht nur dort) wäre es spannend, über die Krise des traditionellen Parteityps und seiner spürbar gewordenen Schwierigkeiten, gesellschaftliche Interessen in die politischen Institutionen einer ‚bürgerlichen Demokratie‘ zu integrieren, eine Debatte zu führen.
Aber wie will man mit Repräsentanten und einem Großteil der Wähler von „5 Stelle“ über diese fundamentalen und brennend aktuellen Fragen diskutieren, wenn bei ihnen – jedenfalls derzeit – nur Generalisierungen über ‚die Politiker‘, ‚die politische Kaste‘ und ‚das korrupte System‘ als legitime Meinung akzeptiert werden?! Wirft man diese Fragen auf, befindet man sich sofort in der Falle, doch nur ein Promoter des ‚alten Systems’ zu sein. Norberto Bobbio hat seinerzeit in der Auseinandersetzung mit den ‚Sessantottini‘ (68er, A. d. R.) immer wieder auf der Frage beharrt, welche Alternativen zum ‚repräsentativen demokratischen System‘ seine damaligen ‚extrem linken Kontrahenten‘ auf dem Campus der Turiner Universität denn anbieten könnten. Und außer Slogans und wenig durchdachten bis naiven ‚Rätemodellen‘ hat er auch keine Antwort auf sein hartnäckiges Nachfragen erhalten. Bobbio war wohl der letzte, den man über die ‚Poteri occulti‘ in der italienischen Gesellschaft aufklären musste. Und er wusste sehr genau, wie wenig dem Willen großer Teile der ‚italienischen Elite’ zu trauen war, das demokratische System Italiens zu verteidigen. Trotzdem beharrte er auf den Errungenschaften einer mehr schlecht als recht, aber immerhin funktionierenden Demokratie, zu der er keine überzeugenden Alternativen im Angebot konkurrierender Systeme fand.Diese Diskussion würde man heute – unter veränderten Bedingungen und unter den Pressionen einer wesentlich verschärften sozialen Krise – gerne mit Repräsentanten und Fans der „5 Stelle“ einmal führen. Wie lassen sich etwa Emotionen wie Wut und Empörung in politische Projekte übersetzen, die dann auch in einem demokratischen Prozess zu Entscheidungen nach dem Mehrheits- und Minderheitsprinzip führen? Wie kann man politische, das heißt durch demokratische Wahlen legitimierte Institutionen gegen den illegitimen Druck der ‚Finanzmärkte‘ schützen und stärken? Wie kann man demokratische Errungenschaften des vereinten Europas (ja, die gibt es !) gegen eine Welle populistisch vorgetragener nationaler und regionaler Eigeninteressen verteidigen? Auffallend ist es jedenfalls, wie sehr man sich in den bekannt gewordenen Stellungnahmen aus dem Umfeld des ‚Movimento 5 Stelle’ einzig auf das Territorium Italien bezieht, als gäbe es weder eine globale noch eine europäische Einbindung Italiens. Einzig eine Internet-Abstimmung über den Euro zu fordern, kann es ja wohl nicht sein …
Für Grillo gehören die Journalisten zur ‚Casta‘
Wenn aus dem Umfeld von Grillo zu vernehmen ist, dass mit einer „100 %-Mehrheit“ im kommenden Parlament zu rechnen ist, sollten seine heutigen Maximal-Forderungen nicht akzeptiert werden, dann möchte man doch schon gerne wissen, wie ein ‚alternatives politisches Entscheidungsmodell‘ zum heute ‚durch und durch korrupten System‘ denn aussieht. Diese Frage nur zu stellen, heißt natürlich in der Sicht vieler Wähler und ‚Anti-Politiker‘ des ‚Movimento 5Stelle‘, Teil und Profiteur der ‚Casta‘ zu sein. Nun ja…
Zur ‚Casta‘ gehören nach diesem einfachen manichäischen Weltbild natürlich auch die Journalisten, die es wagen, auch einmal ‚Offline‘ Fragen an die ‚Grillini‘ zu stellen, die es bislang nur gewohnt sind, ‚Online’ unter sich zu kommunizieren. Setzt sich der bisherige Umgang von Grillo und seinen Fans mit Journalisten aus ihnen nicht von vornherein wohlgesonnenen Verlagen und Medien fort, dann dürfte sich das Ansehen Italiens zum Beispiel im jährlichen Ranking der ‚Reporter sans Frontiers‘ noch weiter verschlechtern, als es ohnehin schon in Berlusconis Regierungszeit gesunken war. Damit soll die oft ruppige Jagd nach einem Scoop durch viele Journalisten und deren Redaktionen nicht entschuldigt werden. Der ‚Berlusconismus’ hat auch hier seine Spuren hinterlassen, die dem Journalismus leider nicht immer zur Ehre gereichen. Aber man fragt sich doch, welchen Berufsstand zum Beispiel die in deutschen Feuilletons umworbene „Italien-Expertin“ Petra Reski vertritt, wenn sie den Sieg von Grillo gleichzeitig zur größten Niederlage ‚der Journalisten‘ erklärt. Die bisher bekannten Umgangsformen einiger Führungsfiguren der ‚Nicht-Partei’ von Grillo abwärts zeigen jedenfalls alles andere als eine souveräne und professionelle Verteidigung des fundamentalen Freiheitsrechts auf ‚Presse- und Meinungsfreiheit’.
Dass sich der „frische Wind, den das ‚Movimento 5 Stelle‘ in das Parlament trägt, nur positiv auf Italien auswirkt“ (Michael Schlicht), kann man für Italien (und Europa!) derzeit nur hoffen. Aber dass bei den „meist jungen Leuten“ (Schlicht) und deren ‚Windmachern‘ im Hintergrund auch Positionen zur Demokratie vertreten werden, die einen schaudern lassen, nicht nur über das zukünftige Italien, sondern auch über Europa, also von uns allen, soll nicht unerwähnt bleiben. Mit dem notorisch-trotzigen Verweis auf das ‚korrupte System‘ und seine ‚dekadenten Politiker‘ sollte man doch in Italien wie auch in Deutschland schon einige historische Erfahrungen gemacht haben. Gut war diese ‚alte Zeit’ (Heine) ganz gewiss nicht.