Rechts und Links verlieren ihr Volk

Lasst, die ihr eintretet, alle Gewissheit fahren – so könnte man Dante paraphrasieren, wenn man die italienischen Wahlergebnisse zu analysieren versucht. In Prozentzahlen sieht nach Ilvo Diamanti („Repubblica“ vom 11. März) der Befund der Wahlforscher so aus:

  Arbeiter Techn., Angest.,
Beamte
Selbständige,
Unternehmer
Studenten Haus-
frauen
Arbeits-
lose
Rent-
ner
(2008)  2013 (2008) 2013 (2008) 2013 2013 2013 2013 2013
Mittelinks
(Bersani, Ingroia)
(39,1) 25,3 (47,4) 35,0 (23,2) 16,4 29,5 26,1 22,2 41,7
Rechte
(Berlusc.)
(52,8) 25,8 (42,6) 21,2 (68,1) 34,6 26,1 43,3 23,7 32,2
Zentrum
(Monti)
(5,9) 6,6 (4,4) 13,0 (4,2) 5,8 12,4 7,5 9,5 12,3
M5S
(Grillo)
  40,1   27,1   40,2 29,1 20,0 42,7 11,5

 

Was diese Zahlen besagen

  1. Der Einschlag des Meteoriten Grillo in die soziale und politische Landschaft Italiens wird hier plastisch: Jeweils gut 40 % der Arbeiter, der Arbeitslosen, der Selbständigen und Unternehmer stimmten für Grillo. Und immerhin knapp 30 % der Angestellten, Beamten und Techniker. Seine 5-Sterne-Bewegung ist ab sofort eine Volkspartei (wenn wir uns denn erlauben, sie gegen Grillos Verbot „Partei“ zu nennen).
  2. Womit er der Rechten von Berlusconi in diesen drei Bevölkerungskategorien auf einen Schlag die Hälfte ihrer Stimmenbasis entzog – und dem anderen Pol, der Linken, ungefähr ein Drittel.
  3. Diamanti schreibt: „Rechts und Links verlieren ihr Volk“. Berlusconi predigt freies Unternehmertum, und 2008 konnte man noch meinen, dass die „kleinen Selbständigen“ zu seiner Basis gehören. Diese Basis ist ihm weggebrochen, ihm folgt nur noch ein Drittel von ihnen. Der Linken geht es nicht besser, ihre Erosion begann nur früher. Obwohl auf der Fahne der PD „soziale Gerechtigkeit“ steht, wurde sie schon 2008 von nur noch knapp 40 % der Arbeiter gewählt, während damals mehr als 50 % den Verheißungen Berlusconis folgte (und 47 % der Arbeitslosen, wie aus einer anderen Untersuchung hervorgeht). Heute ist es Grillo, der bei den Arbeitern und Arbeitslosen unangefochten an der Spitze liegt – den noch verbleibenden Rest teilen sich Bersani und Berlusconi mehr oder minder brüderlich. Im produktiven Sektor hat die PD nur noch bei der sog. „Technischen Intelligenz“ ein relatives Übergewicht. Das blieb von der „Arbeiterklasse“, den ihr einst Urmutter KPI vererbt hatte.
  4. Ein klares Übergewicht haben sowohl B.s Rechte als auch Bersanis Linke nur noch im außerproduktiven Bereich: Berlusconi bei den Hausfrauen, und die PD – die Feststellung tut schon ein wenig weh – bei den Rentnern.

Kein einmaliger Pendelausschlag

Ilvo Diamanti, Politologe und Publizist

Ilvo Diamanti, Politologe und Publizist

Obwohl es sich sicherlich auch um eine Protestwahl handelte, gibt es Indizien dafür, dass die Ergebnisse nicht nur einen flüchtigen Übergang darstellen. Die PdL zerfällt wie jede populistische Partei, die nur das – vergehende – Charisma einer Führungsfigur zusammenhält. Die Erosion der sozialen Basis der PD begann schon vor 2008, und nichts spricht dafür, dass ihr gegenwärtiges Wahlergebnis nur der Ausschlag eines bald wieder umkehrenden Pendels ist. Diejenigen, die sich von der längerfristigen Bindung an eine Partei gelöst haben, scheinen in Italien noch stärker als in anderen europäischen Ländern zum bestimmenden Element der Wahlen zu werden. Und schließlich ist die 5-Sterne-Bewegung in den Kommunen und Regionen zu gut verankert, als dass man den „Tsunami“, den sie jetzt auf nationaler Ebene auslöste, nur als kurzlebige Protestaufwallung abtun könnte.

Ergebnis: Wenn Italien eine Demokratie bleibt, wird es in der jetzt absehbaren Zukunft nicht mehr von zwei, sondern zumindest drei Blöcken repräsentiert sein. Soll es reformfähig bleiben und nicht im Chaos versinken, wird es auf die Zusammenarbeit der beiden Blöcke Mittelinks und 5-Sterne-Bewegung angewiesen sein.

Es ist die einzige Hoffnung. Nicht nur im Interesse Italiens, sondern auch – und das würde ich gerne einigen unserer Leser und Kommentatoren ans Herz legen, weil es im gegenwärtigen italienischen Schlachtenlärm unterzugehen droht – im Interesse Europas. Bei dem es aus meiner Sicht immer noch etwas zu verlieren, oder besser: zu verteidigen gibt.

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