Napolitanos Überraschungsei
Am vergangenen Freitag unterrichtete Bersani den Staatspräsidenten über das Scheitern seiner Sondierungen zur Regierungsbildung. Wegen des grundsätzlichen „Neins“ von Grillos 5-Sterne-Bewegung und weil eine Allianz mit Berlusconi für Mittelinks nicht in Frage kommt.
Napolitano nahm sich Bedenkzeit. Über die Ergebnisse des präsidentiellen Grübelns wurde heftig spekuliert. Würde er vorzeitig zurücktreten, um eine raschere Wahl seines Nachfolgers zu ermöglichen, der – anders als er selbst, der am Ende seines Mandats steht – über die Druckmittel Parlamentsauflösung und Neuwahlen verfügt ? Oder würde er eine „Regierung des Präsidenten“ beauftragen, mit einem „überparteilichen“ Ministerpräsidenten an der Spitze?
Monti bleibt, die „Weisen“ kommenNichts von alledem. Am Samstag präsentierte Napolitano der versammelten Presse folgende Osterüberraschung: 1. denke er nicht daran, vorzeitig zurückzutreten, sondern werde im Interesse des Landes bis zum letzten Tag sein Mandat trotz eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten (da er das Parlament nicht auflösen darf) ausüben. Und 2. werde er zwei Kommissionen von „Weisen“ einsetzen, die programmatische Empfehlungen über die dringendsten Reformen im politisch-institutionellen und im wirtschaftlich-sozialen Bereich ausarbeiten sollen, um sie seinem Nachfolger und den Parteien vorzulegen. Im Übrigen stelle er gegenüber der italienischen wie internationalen Öffentlichkeit klar, dass Italien sehr wohl über eine handlungsfähige Regierung (Monti) verfüge.
„Wenn ich nicht weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“ war mein erster Gedanke. Doch der Gedanke verflog schnell. Napolitano ist nicht der Typ, der aus Hilflosigkeit handelt. Seine Entscheidung ist zielgerichtet und hat es in sich. Sie stärkt erheblich die Position des Staatspräsidenten, der damit direkt politisch initiativ wird und – zumindest vorerst – den Parteien die Beobachterrolle zuweist. Schauen wir uns die Kernpunkte an.
Der Präsident übernimmt die Regie
- Dem schon zurückgetretenen Monti, der vom neuen Parlament keinen politischen Auftrag hat und nur geschäftsführend im Amt ist, bescheinigt er „volle Handlungsfähigkeit“ und erklärt – hier im Einklang mit Grillo -, er könne erst einmal weitermachen. Das ist zwar formal möglich, aber politisch problematisch. Denn sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene fehlt einer solchen Regierung die politische Autorität, die zur „vollen Handlungsfähigkeit“ gehört. Die Autorität muss sich die „lahme Ente“ Monti in gewisser Weise vom Staatspräsidenten leihen.
- Die Kommissionen der „Weisen“ sind nicht – wie sonst üblich – Beratergremien, die der Regierung und dem Parlament zuarbeiten, sondern … ja, was? Eine Art „Hilfstruppe“ des Präsidenten, welche die Grundzüge der Politik der künftigen Regierung vorab ausarbeiten soll. Und wer legitimiert sie, diese äußerst delikate Aufgabe zu übernehmen? Nicht die Regierung, nicht das Parlament. Sondern der Staatspräsident.
- Wenn man sich die Profile der 10 „Weisen“ anschaut, stellt man fest: einerseits altbekannte Parteienvertreter, andererseits Repräsentanten von Institutionen (Nationalbank, Institut für Statistik, Universitäten), auch sie schön nach politischer Zugehörigkeit verteilt. Alles übrigens (ältere) Männer. Frauen und Jugend fehlt wohl die nötige Weisheit. Dass Napolitano sie stattdessen bei Leuten wie z. B. dem PdL-Senator Quagliariello erkannt haben will, ist schon erstaunlich. Da war ihm wohl der Parteienproporz wichtiger als intellektuelle Weitsicht. Ebenfalls erstaunlich: Als einzige politische Gruppe ist Grillos Bewegung in den Kommissionen nicht vertreten. Unabhängig davon, was man von dieser Truppe und v. a. von ihrem Chef halten mag: Angesichts des Wahlergebnisses ist das nicht vertretbar. Selbst wenn man davon ausgehen musste, dass sich die „Grillini“ auch in diesem Fall verweigert hätten.
Vorarbeiten für „Große Koalition“
Napolitano hat also eine weitreichende Entscheidung getroffen, welche die Parteien zwar nicht aus der Verantwortung entlässt, aber zunächst in Wartestellung bringt (für wie lange, ist unklar, denn der Auftrag der „Weisen“ ist nicht terminiert). Zwei Aspekte haben ihn wohl dazu bewegt: einerseits wollte er vermeiden, mit einem vorzeitigen Rücktritt die institutionelle Krise auf die Spitze zu treiben und die Märkte zusätzlich zu verunsichern; andererseits erhofft er sich von seinen „Weisen“, dass sie die Plattform vorbereiten, auf der anschließend die neue Regierung aufgebaut werden kann. Womit auch der Pferdefuß des ganzen Vorhabens zum Vorschein kommt: Da eine solche Plattform nur vom kleinsten gemeinsamen Nenner getragen werden kann, dient sie faktisch der Vorbereitung der von ihm favorisierten „Großen Koalition“ (PD, PDL/Lega, Monti). Ein echtes Reformprogramm rückt damit in weite Ferne. Doch die Bildung einer vermeintlich „stabilen“ Regierung scheint ihm wichtiger zu sein.
Trotz formaler Zustimmung zeigen sich alle Parteien – außer Montis „Scelta Civica“ – irritiert bis kritisch, aus unterschiedlichen Motiven. Die PdL möchte auf Grund ihres gegenwärtigen Aufwinds, den ihr die Umfragen bescheinigen, keine Wahlgesetzänderung und befürchtet zudem, dass eine zeitliche Verzögerung der PD Gelegenheit bietet, sich neu zu ordnen, um dann den von ihr gefürchteten Renzi ins Rennen zu schicken. Der Mehrheit der PD kann es kaum gefallen, dass sie in die Arme Berlusconis gedrängt wird. Grillo gefällt zwar, dass die Regierung politisch gelähmt bleibt, aber er lehnt die „Weisen“ als Vertreter der „Kaste“ ab.
Wenn es zu einer „Großen Koalition“ kommt, würden letztlich vor allem Berlusconi und Grillo davon profitieren. Berlusconi, weil er dadurch wieder voll im Spiel ist und hofft, seinen Gerichtsverfahren zu entkommen. Grillo, weil er sich dann der lästigen Frage nach der Übernahme politischer Verantwortung entledigen und weiter damit begnügen kann, den Protest zu bedienen. Die PD hingegen würde ihre politische Glaubwürdigkeit und den Zusammenhalt der Partei aufs Spiel setzen.