Was will eigentlich Renzi?
„Wir verlieren nur Zeit … Das Wichtigste ist es, sich schnell zu entscheiden … Ich sage nur: Spielt, wie ihr wollt, aber spielt endlich!“. So und ähnlich meldet sich Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz und Hauptkontrahent Bersanis, in einem Interview mit dem „Corriere della Sera“ in die politische Diskussion zurück. Die Botschaft lautet also: „Egal ob Bündnis mit Berlusconi oder schnellstmögliche Neuwahlen. Hauptsache, Ihr macht etwas“. Den Versuch Bersanis, Grillos 5-Sterne-Bewegung für eine „Regierung der Veränderung“ zu gewinnen, kritisiert er scharf als „reine Zeitverschwendung“ und „demütigende Bettelei“ gegenüber „arroganten und unverschämten Personen“. Bleibt also für ihn nur die Alternative: „Große Koalition von PD und PdL oder schnell Neuwahlen“. Das ist genau das, was auch Berlusconi fordert, dessen Motive offensichtlich sind: Er muss im Spiel bleiben (auch wenn er unmittelbar keine Regierungsfunktion bekommt), um seine Schäfchen (sein Unternehmen, seine Prozesse) ins Trockene zu bringen. Das geht am besten bei einem „Governissimo“ mit der PD. Die zweitbeste Möglichkeit wäre ein schneller Urnengang, weil er in den Umfragen derzeit aufholt. Was aber sind Renzis Beweggründe?
„Hauptsache, es tut sich was“Ich bin mir darüber nicht ganz im Klaren. Seine Hauptantriebskraft scheint mir starker persönlicher Ehrgeiz zu sein. Er will Regierungschef werden. Und mein Eindruck ist, dass der Weg dahin und auch das politische Projekt für ihn von sekundärer Bedeutung sind. Im Corriere-Interview lautet seine sibyllinische Antwort auf die Frage, ob die PD mit der PdL koalieren sollte: „Die PD muss sich entscheiden: Entweder ist Berlusconi der Chef der ‚Nicht-Präsentierfähigen‘ und dann sollten wir gleich wählen; oder er ist ein Ansprechpartner, weil er 10 Millionen Stimmen bekommen hat“. Die PD muss sich entscheiden, wohlgemerkt. Wie er sich entscheiden würde, sagt er nicht. Reicht ihm die Tatsache, dass B. „10 Millionen Stimmen“ (zusammen mit der Lega, eigentlich waren es „nur“ 8,6) bekommen hat, um B. zu einem glaubwürdigen politischen Ansprechpartner, gar Bündnispartner zu machen? Ich meine nein. Es gibt in der Geschichte genügend Beispiele von breiter Wählerzustimmung für Antidemokraten. In Italien, Deutschland und anderswo. Als Kriterium zur Auswahl von Bündnispartnern taugt das kaum. Und auch Renzi dürfte die „Konditionen“ kennen, die Berlusconi für die Bildung einer großen Koalition stellt: Einigung auf einen Staatspräsidenten, der ihm Schutz vor Strafverfahren garantiert, Gängelung der Justiz, Verzicht auf wirksame Gesetze gegen Interessenkonflikt und Korruption. Und wenn Renzi im gleichen Interview erklärt: „Ich will nicht, dass Berlusconi ins Gefängnis geht, ich will, dass er in Rente geht“, begeht er einen fatalen Fehler. Ob Berlusconi ins Gefängnis geht oder nicht, hängt nicht vom Wunsch Renzis oder anderer Politiker ab und ist nicht Gegenstand politischer Verhandlungen – hoffentlich. Das haben allein unabhängige Richter zu entscheiden. Dass Renzi das anders sieht, zeigt, dass der Berlusconismus auch bei ihm seine Spuren hinterlassen hat.
Renzi läuft sich warm
Im Fall eines sofortigen Bündnisses mit der PdL – mit oder ohne Berlusconi – würde Renzi sich vermutlich aus dem Regierungsgeschäft raushalten (die Drecksarbeit also anderen überlassen) und versuchen, zunächst an die Parteispitze zu kommen, um dann bei den nächsten (vermutlich bald stattfindenden) Wahlen „unverbraucht“ anzutreten. Wenn hingegen der „Governissimo“ scheitert, der neue Staatspräsident das Parlament auflöst und schon im Sommer oder Herbst gewählt wird, wird er sofort bereitstehen. Zumal die Umfragen für ihn noch günstiger sind als für Berlusconi.: Er könnte angeblich mit 38 % der Stimmen rechnen und damit sowohl diesen (31 %) als auch Grillo (24 %) hinter sich lassen. Renzi erklärt offen, dass er auf Stimmen aus dem rechten Lager zielt, und es wird ihm zugetraut, dass er sie auch bekommen kann. Direkt aus der PdL, aber auch aus dem rechten Wählerpotenzial von Grillo. Für beide wäre er sicherlich der gefährlichere Konkurrent. Aber wäre er auch der richtige Regierungschef für Italien, um in einer so dramatischen Situation die dringend notwendigen Veränderungen einzuleiten, im wirtschaftlichen und sozialen Bereich und für eine politische und moralische Erneuerung? Ich habe Zweifel.
Spaltungstendenzen in der PD
Sicher ist: Renzis frontaler Angriff auf Bersanis Führung und auf dessen Öffnungsversuch gegenüber Grillo verstärkt die Spaltungstendenzen innerhalb der PD. Zwischen denjenigen, die – wie Bersani – ein Zusammengehen mit Berlusconi als „politischen und moralischen Selbstmord“ ablehnen, und denjenigen, die – wie der ehemalige Fraktionschef Franceschini – meinen, die Rechte in Italien sei nun mal identisch mit Berlusconi, weshalb man notfalls auch mit ihm regieren müsse. Aber auch unter den „Bersaniani“ gibt es inzwischen einige, die in Renzi den künftigen Hoffnungsträger sehen. Gleichzeitig meldet sich von „links“ Vendola zu Wort, um die Perspektive einer möglichen (Wieder)Vereinigung seiner „Sinistra Ecologia e Libertà“ mit der PD zur Diskussion zu stellen. Was wiederum – sollte es dazu kommen – höchstwahrscheinlich eine Abspaltung des „rechten“ PD-Flügels bewirken würde. Die Turbulenzen im Mittelinks-Lager werden heftiger, das Profil der PD diffuser. Und – wie unser Leser Werner Bläser in einem Kommentar neulich bemerkte – es ist nicht mal auszuschließen, dass Renzi im Fall eines Scheiterns seiner Strategie in der PD auch bereit wäre, sich bei Neuwahlen an die Spitze einer neuen „Bewegung“ zu setzen.