Berufungsgericht verurteilt Berlusconi
Vier Jahre Haft, fünf Jahre Ausschluss aus öffentlichen Ämtern wegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug: das Mailänder Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil gegen B. in vollem Umfang bestätigt. „Mit ausgeprägter krimineller Energie“ – so das Gericht – habe B. in den 80er und 90er Jahren mit Hilfe von ca. 30 Offshore-Gesellschaften (auf den Bahamas, Jungfern- und Kanalinseln und weiß der Teufel wo noch) betrügerische Transaktionen zum Erwerb amerikanischer TV- und Filmrechte für sein Medienunternehmen getätigt. Dabei wurden Preise fiktiv aufgebläht, um die Steuern zu senken und das „gesparte“ Geld in schwarze Kassen zu leiten. Das Gericht spricht von einem „systematisch und wissenschaftlich betriebenen Mechanismus von Steuerbetrug und -hinterziehung“ mit einem Gesamtvolumen von ca. 370 Mio. Dollar. Die Summe, die Prozessgegenstand ist, beträgt allerdings „nur“ noch 7,3 Mio. Euro, weil 1) ein Teil der betrügerischen Transaktionen inzwischen verjährt ist und 2) die Straftat der Bilanzfälschung entfiel, da sie B. seinerzeit durch ein passendes Gesetz „ad personam“ abschaffte.
Vergeblich hatten B.s Advokaten versucht, diesen Prozess mit immer neuen Tricks zu verzögern, um ihn verjähren zu lassen. Zuletzt versuchten sie noch eine Verlagerung des Verfahrens von Mailand (wo bekanntlich alle Richter und Staatsanwälte „Kommunisten“ und daher befangen sind) nach Brescia zu erreichen. Das Kassationsgericht benötigte nicht mal 15 Minuten, um den Antrag abzulehnen.Das Verfolgungsmärchen
Jetzt jaulen PdL und B.s Medien wieder, ihr Boss sei Opfer einer „Richterverschwörung“, einer „hemmungslosen juristischen Verfolgung“, um ihn politisch zu vernichten.
Das muss schon eine toll eingefädelte Verschwörung sein, von Mailand bis Neapel. Immerhin handelt es sich um 17 Prozesse in 24 Jahren mit (bisher) folgendem Ausgang: eine Verurteilung in zweiter Instanz, eine in erster Instanz, viermal Wegfall des Straftatbestands (zweimal durch Amnestie und zweimal, weil der Angeklagte die fragliche Straftat qua Gesetz abschaffte), vier Freisprüche (meist wegen unzureichender Beweise), sechs Verjährungen, ein laufendes erstinstanzliches Verfahren („Ruby“). Die B. angelasteten Straftaten: Korruption, Steuerhinterziehung, Steuerbetrug, Bilanzfälschung, Preisgabe von Amtsgeheimnissen, Amtsmissbrauch, Förderung der Prostitution Minderjähriger. Jetzt wurde gegen ihn gerade noch ein neues Verfahren wegen Abgeordnetenkaufs auf den Weg gebracht. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.
Am heutigen Samstag findet in Brescia eine Protestkundgebung statt. „Toll! War ja auch Zeit!“ werden Sie rufen, in der Annahme, der Protest richte sich gegen die Schande, dass eine solche Person jahrelang Regierungschef war, immer noch die größte rechte Partei Italiens leitet, als Senator im Parlament sitzt und jeden zweiten Tag droht, „der Regierung den Stecker rauszuziehen“, wenn sie nicht spurt, wie er will. Doch weit gefehlt: Die Kundgebung richtet sich nicht gegen B., sondern gegen die Richter und die Justiz und dient der Bezeugung inniger Zuneigung und unverbrüchlicher Solidarität mit dem Verfolgten. „Sie wollen mich tot sehen! Die politisierten Richter sind der Krebs der Demokratie“ ruft er erbost und fügt dann hinzu: „Doch aus Verantwortungsgefühl werden wir deswegen nicht die Koalition aufkündigen!“.
Berlusconis zweigleisige Strategie
Der „große Korruptor“ (Massimo Giannini in der „Repubblica“ vom 10. 5.) fährt zweigleisig: Einerseits ruft er seine Anhänger zum Widerstand gegen die Justiz auf, andererseits will er Strippenzieher der Letta-Alfano-Regierung bleiben. Und sich auf diesem Weg doch noch ein institutionelles Amt sichern, das ihn schwer angreifbar macht: z. B. Senator auf Lebenszeit von Napolitanos Gnaden. Bevor womöglich das Kassationsgericht, das er natürlich anrufen wird, das Urteil bestätigt, das ihn für die Dauer von 5 Jahren von allen öffentlichen Ämtern ausschließt. Er weiß genau, dass es für ihn – zurzeit – nichts Besseres geben kann als ein Bündnis mit der PD, das es dieser ja auch erschwert, zu seiner Verurteilung mit der nötigen Schärfe Stellung zu nehmen.
Und tatsächlich: Von der PD-Führung ist bisher nur Schweigen oder Halbherziges zu hören. Es klingt fast verlegen, wenn sogar Fassina, ein Exponent des linken PD-Flügels, der gerade stellvertretender Finanzminister geworden ist, erklärt: „Noch ist kein letztinstanzliches Urteil gesprochen, bis dahin ist alles offen …“.
Jesus, Maria und Josef! „Bis dahin ist alles offen“?? Formalrechtlich ja (das Kassationsgericht hat nur über mögliche Formfehler, nicht mehr in der Sache zu entscheiden), politisch und moralisch nicht. Der Vorsitzende einer großen Volkspartei, jahrelanger Ministerpräsident und derzeit Mitglied des Senats wird in zweiter Instanz zu 4 Jahren Haft und 5 Jahren Ausschluss von allen öffentlichen Ämtern verurteilt, und das reicht nicht, um ihn zum sofortigen Rücktritt von seinen Funktionen aufzufordern? Hätte die PD ebenso reagiert, wenn sie nicht mit B. in einer Regierung säße? Natürlich nicht.
Das Versöhnungsmärchen
(Auch) hier zeigt sich, wohin die „Notregierung“ von PdL und PD führen kann. Alltäglich faseln die PdL und die ihr wohlgesonnenen Medien (auch der „bürgerliche“ Corriere della Sera) von „Pacificazione“: „Italien ist in Not, Italien braucht Versöhnung! Schluss mit den alten, sterilen Feindschaften zwischen Rechts und Links, zwischen Berlusconismus und Antiberlusconismus! Alle einig zur Rettung des Vaterlandes!“. Dafür vergiss die blöden Gesetze, den Rechtsstaat, die Grundsätze der politischen Moral.
Als ob Italien durch Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie „gerettet“ werden könnte. Im Gegenteil. Wirtschaftlich, politisch, moralisch, kulturell kann es nur gesunden, wenn es gegen Korruption, Aushöhlung der demokratischen Institutionen und Machtmissbrauch unerbittlich vorgeht. Werden im Namen der „Versöhnung“ die Ursachen der Krankheit verewigt, wird diese lebensbedrohlich.