Der Sumpf wird tiefer

Das Bündnis von PD und PdL, das ab Herbst 2011 ein Jahr lang die Regierung Monti trug, erschien den Anhängern der Linken „seltsam“ und „widernatürlich“. Dass es trotzdem viele (nicht alle) von ihnen hinnahmen, lag am erklärten Ausnahmecharakter: ein Notstand, den eine aus dem Ruder laufende Staatsschuldenkrise ausgelöst hatte und der nicht einmal sofortige Neuwahlen zu erlauben schien; eine Regierung von „Technikern“, die durch eine Vollbremsung den Staatshaushalt provisorisch wieder in Ordnung bringen sollte; ein enger Zeithorizont, denn im Frühjahr 2013 standen sowieso Neuwahlen an. Danach, so die Hoffnung, wäre der Weg frei, um das Land vom Berlusconismus zu befreien und die eigentlichen Reformen auf den Weg zu bringen.

Es kam anders, die Wahlen bescherten der Linken nur eine relative Mehrheit. Nachdem die PD 50 Tage lang hinter der Illusion eines Reformbündnisses mit den Grillini hergelaufen war und dabei ihren Generalsekretär verlor, musste sie sich schließlich wieder auf ein Bündnis mit der Rechten einlassen, um überhaupt eine Regierung zustande zu bringen. Diesmal hatte sie nicht einmal mehr die Freiheit, in die Opposition zu gehen, da das Wahlgesetz ihr in der Abgeordnetenkammer (nicht im Senat) die absolute Mehrheit bescherte. Für viele Wähler, welche die Ära Monti nur widerstrebend überstanden hatten und denen die PD – nun aber! – die große „Veränderung“ versprochen hatte, wurde sie damit endgültig wortbrüchig. Denn jetzt bildet sie mit der PdL eine „politische“ Regierung, von der alle wissen, dass sie keine Reformregierung sein kann, aber möglicherweise mit einer ganzen Legislaturperiode als Zeithorizont (wenn ihr nicht B. vorher bei günstiger Gelegenheit „den Stecker rauszieht“).

Letta und Alfano (Spitzname: "Cip e Ciop")

Letta und Alfano (Spitzname: „Cip e Ciop“)

Die Proporzfalle

Wer meint, die PD könne auch bei diesem erneuten Bündnis mit der PdL das Profil einer Kämpferin gegen die „Anomalie B.“ behalten, ist blauäugig. Es beginnt schon bei der Regierungsbildung. Zwar gelang es Letta, die korruptesten Figuren der PdL aus seiner Ministerriege herauszuhalten, angefangen mit B. selbst. Aber bei der Besetzung der Staatssekretäre und parlamentarischen Kommissionsvorsitzenden galt Parteienproporz, mit „schmutzigen“ Kompromissen. Im Ministerium für Öffentliche Verwaltung wurde über die PdL der Führer des zwielichtigen süditalienischen „Grande Sud“ und Dell’Utri-Vertraute Gianfranco Miccichè Staatssekretär. Roberto Formigoni (PdL), gegen den ein Korruptionsverfahren läuft, sitzt der Landwirtschaftskommission vor. Wenigstens etwas Widerstand zeigte die PD bei der Wahl des Vorsitzenden der (wichtigen!) Senatskommission für Justiz, welcher nach Proporz der PdL zusteht. B. wollte Francesco Nitti Palma auf diesem Posten, einen ehemaligen Antimafia-Staatsanwalt, der zu Berlusconi überlief (auch das gibt es!) und ihm schon als Justizminister diente. Man kann es den PD-Senatoren in der Justizkommission zugute halten, dass sie bei seiner Wahl in allen Wahlgängen wenigstens weiße Stimmzettel abgaben. Aber sie taten es im Wissen, dass er spätestens im vierten Wahlgang trotzdem gewählt sein würde, weil dann die einfache Stimmenmehrheit genügt. Der Eklat wurde vermieden, B. hatte seinen Willen und die PD-Senatoren die „weiße Weste“ derer, die sich enthalten haben. Und Nitti Palma, der Cosentino-Freund, der zuletzt den Sturm der PdL-Parlamentarier auf den Mailänder Justizpalast unterstützte, in dem gegen B. verhandelt wird, ist nun Vorsitzender der Senatskommission für Justiz.

Komplizität

Auch in B.s persönlichen Kampf gegen die Justiz droht die PD hineingezogen zu werden. Am 11. Mai zog er in Brescia eine neuerliche Kundgebung gegen seine Prozesse durch. Es war eine Kundgebung gegen die Unabhängigkeit der Justiz: Das Volk will mich, also Schluss mit meiner Strafverfolgung. Die PdL-Minister, mit Alfano an der Spitze, die sich noch wenige Tage zuvor auf die Verfassung vereidigen ließen, waren demonstrativ dabei. Anschließend gingen sie mit Enrico Letta in Klausur, um die gemeinsame Regierungsarbeit vorzubereiten.

Letta wusste, in welche Falle er gerät, wenn er dies schweigend hinnimmt. Also setzte er eine Art Verhaltenskodex für seine Regierungsmitglieder durch, allerdings nur bis zu den (bevorstehenden) Kommunalwahlen: keine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, sofern es sich dabei nicht um die Angelegenheiten des eigenen Ministeriums geht. Eine schwache Antwort auf das Problem, das sich ihm und seinen PD-Ministern stellt: Hätten sie sich nicht längst schützend vor die Justiz stellen müssen? Und was bedeutet es, wenn sie weiterhin als Zuschauer dabei sitzen, während B. die Straße gegen die Justiz mobilisiert?

Vorboten einer neuen Normalität?

Beunruhigender Gedanke: Was ist, wenn man mit den lange gehegten Reformhoffnungen nur einer Chimäre hinterherläuft? Könnte, was noch „widernatürlich“ scheint, aber auf Samtpfoten der „Pacificazione“ daherkommt, der Vorbote einer neuen Normalität sein? Einer Normalität, die von den Italienern immer wieder herbeigewählt wird? Barbara Spinelli schreibt: „Die regierende Linke ist nicht mehr links, sie verkauft ihre Seele“. Und B. verkündet („Corriere della Sera“, 6. 5.): „Wenn Letta sich hält und wir eine große Sammlungsbewegung der Moderaten zustande bringen, wird Mitterechts auch in den kommenden 20 Jahren Italien regieren“. Wenn beide Recht behielten? Mit Italien, mit Europa könnte es auch so weitergehen, irgendwie. Ein schauerlicher Gedanke.

Manche Deutsche werden jetzt gelangweilt sagen: Große Koalitionen hatten wir auch schon bei uns, und vieles spricht dafür, dass wir demnächst wieder eine haben. Viele wären damit sogar zufrieden. Wer so redet, kennt die italienische Rechte nicht. Ich meine damit keine Rechte, wie sie vielleicht in den Lehrbüchern unter dem Stichwort „Konservativ“ beschrieben wird. Sondern die Rechte, wie sie heute in Italien leibt und lebt.

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