Staatsanwältin: „Prostitutionssystem zu Berlusconis Vergnügen“

„Die Mädchen, die an den Festabenden teilnahmen, waren Teil eines Prostitutionssystems, das zur Befriedigung des sexuellen Vergnügens von Silvio Berlusconi diente“, so die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini in ihrer Anklagerede zu Wochenbeginn. Im sog. „Ruby-Prozess“ steht Berlusconi wegen Amtsmissbrauch und der Förderung der Prostitution von Minderjährigen vor Gericht. Er soll erstens die damals noch minderjährige Karima El Mahroug – „Künstlername“ Ruby Rubacuori – für Sex bezahlt haben, und zweitens nach deren Festnahme wegen eines Diebstahlsdelikts Druck auf die Polizeibeamten ausgeübt haben, um ihre Freilassung zu erwirken (B. war damals Ministerpräsident).

Karima El Mahroug alias "Ruby Rubacuori"

Karima El Mahroug alias „Ruby Rubacuori“

B.s Version: Er habe dem armen Mädchen, das vor ihrem gewalttätigen Vater geflohen war, aus purem Mitleid Geld gegeben (das Mitleid muss immens gewesen sein, denn Ruby erhielt von ihm insgesamt 4,5 Millionen Euro). Und bei ihrer Festnahme sei er nur interveniert, weil er überzeugt war, dass Ruby „die Nichte von Mubarak“ war, weshalb er „einen diplomatischen Eklat“ befürchtete.

6 Jahre und lebenslangen Ausschluss von öffentlichen Ämtern gefordert

Diese Märchen bezeichnete die Staatsanwältin als „lachhaft“ und belegte mit Zeugenaussagen und Abhörprotokollen den tatsächlichen Charakter der Abende in der Arcore-Villa und besonders der Beziehung von „Ruby“ zu B. Sie sei damals „die Favoritin“ und „an allen kalendarischen Feiertagen“ Tag und Nacht Gast in Arcore gewesen. Es bestehe kein Zweifel, dass Karima – schon vor der Bekanntschaft mit B. – der Prostitution nachgegangen sei. Das belegen Zeugenaussagen, „eindeutige“ Nachrichten auf ihrem Handy und nicht zuletzt die horrenden Summen, die das – eigentlich arbeitslose – Mädchen für Kleidung, Taschen etc. in Mailänder Nobelgeschäften (die zu den teuersten in Europa zählen) ausgegeben habe, oft mit 500-Euro-Scheinen.

Die massive Intervention B.s zur Verhinderung von Karimas Festnahme sei einzig in seiner Angst begründet gewesen, das Mädchen könne reden und ihn damit in Gefahr bringen, zumal er kurze Zeit davor schon einmal wegen seiner Beziehung zu einem minderjährigen Mädchen (der „Noemi-Fall“) in die Schlagzeilen geraten war. Er erreichte, dass Ruby nicht in eine Gemeinschaftseinrichtung für Jugendliche kam, wie es die zuständige Jugendrichterin vorgeschlagen hatte, sondern freigelassen und dem „Schutz“ der PdL-Regionalrätin Nicole Minetti anvertraut wurde. Deren zweiter Job war, „Managerin“ des Mädchenringes zu sein, der an den „eleganten Festabenden“ in Arcore teilnahm und von B. finanziell ausgehalten wurde. Schutzpatronin Minetti sorgte auch gleich für Rubys Unterkunft, und zwar bei einer (ebenfalls mit B. befreundeten) Prostituierten aus Brasilien. Eine bessere jugendgerechte Lösung für eine auf die schiefe Bahn geratene Minderjährige kann man sich ja kaum vorstellen…

Boccassini forderte schließlich für B. sechs Jahre Haft und den lebenslangen Ausschluss von öffentlichen Ämtern, also noch mehr als die Strafe, die kurze Zeit zuvor das Berufungsgericht im Mediaset-Prozess verhängt hatte. Auch diesmal lautete die Reaktion von PdL und B.s Medien: „Politisch motivierte Verfolgung B.s durch die Richter“.

Am Abend vor Boccassinis Plädoyer hatte B. in seinem Fernsehsender „Canale 5“ eine lange Reportage über seine eigene Version des Ruby-Falls bringen lassen. Eine rührselige Geschichte im Stil einer Seifenoper, mit Ruby in der Rolle der vom bösen muslimischen Vater Misshandelten (weil sie zum katholischen Glauben konvertiert war), und mit B. als gütigem Wohltäter, dem das Herz angesichts dieses traurigen Schicksals brach, weswegen er das arme Kind unter seine Fittiche nahm. Zumal er doch glaubte, sie sei die Nichte von Mubarak … Natürlich kam in der Sendung kein Belastungszeuge zu Wort und wurde auch keines der eindeutigen Abhörprotokolle zitiert. Dafür etliche „Arcore-Mädchen“ (denen B. Unterkunft und Unterhalt nachweislich weiter zahlt) und andere Gäste, die beteuerten, wie unschuldig fröhlich die Festabende verlaufen seien. Das Interesse der Zuschauer hielt sich – trotz bester Sendezeit – mit ca. 6% Einschaltquote (etwa 1 Million) in Grenzen.

Berlusconis „Rettungsplan“

Die Verteidigung wird am 3. Juni ihr Plädoyer halten, das Urteil für den 24. Juni erwartet. Vor Jahresende wird voraussichtlich das definitive Kassationsurteil im Mediaset-Prozess gesprochen (4 Jahre Haft und 5 Jahre Ausschluss von öffentlichen Ämtern in der Berufung). Wenn es das Berufungsurteil bestätigen sollte, müsste noch das Parlament dem Ausschluss von den öffentlichen Ämtern zustimmen, damit er wirksam wird.
Es mehren sich Gerüchte, aber auch konkrete Anzeichen, dass B. nun folgenden „Rettungsplan“ hat: 1) Verhinderung der Änderung des „Porcellum“-Wahlgesetzes (die eigentlich zu den Regierungsprioritäten gehört), weil die PdL laut Umfragen vorne liegt und B. bei Neuwahlen und unverändertem Wahlgesetz mit einer satten Parlamentsmehrheit rechnen kann; 2) vor Verkündung des Kassationsurteils Bruch der Koalition und Fall der Letta-Regierung, um so den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Und nach seinem (wahrscheinlichen) Wahlsieg dann Blockierung des – möglicherweise – negativen Kassations-Urteils durch das Parlament.

Sollte der Plan aufgehen, würde er einen noch nie da gewesenen institutionellen Konflikt bedeuten, bei dem die Legislative eine höchstinstanzliche Entscheidung der Judikative außer Kraft setzt. Ein präzedenzloser Vorgang, der Italien in eine politische Krise mit nicht absehbaren Folgen stürzen würde. B., der sich derzeit gern als „verantwortungsvoller Staatsmann“ gebärdet, interessiert das – wie immer – einen Dreck.

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