Unwählbar?
Es wäre ganz einfach, Berlusconi los zu werden, sagen die Grillini und einige Linke. Man müsse nur ein längst bestehendes Gesetz (Dekret 361 von 1957) anwenden, welches besagt, dass niemand ein politisches Wahlamt bekleiden darf, „der selbst oder als legaler Vertreter von privaten Gesellschaften oder Unternehmen mit dem Staat durch vereinbarte Aufträge, Leistungen, Konzessionen oder Genehmigungen von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht verbunden ist.“
Es ist ein Grundprinzip der Demokratie, die freie Konkurrenz zu schützen: Wem der Staat eine Konzession erteilt, z. B. zum Betrieb von Fernsehsendern, gehört nicht in die Politik, weil er sonst zum Verhandlungs- und Vertragspartner mit sich selbst würde – im Fall der Fernsehrechte beispielsweise auch zum Schaden des Pluralismus der Kommunikation. Da sich in beiden Kammern gerade die Kommissionen konstituieren, die u. a. darüber zu berichten haben, ob bei der Wahl jedes Parlamentsmitglied wählbar war, warum nicht feststellen: B. mit seinem Medienkonzern ist ein Konzessionsnehmer vom Staat, und zwar großen Stils, ergo „unwählbar“?Der Vorstoß der Grillini
Die Grillini werden in der (für B. zuständigen) Senatskommission für Immunität und Wahlen den entsprechenden Beschlussantrag einbringen, zu dem sich nun die anderen Mitglieder zu verhalten haben. Dies betrifft vor allem die PD, die mit den Grillini und dem SEL-Vertreter in der Kommission über eine Mehrheit verfügt. Gemeinsam könnten sie in den Bericht an den Senat hineinschreiben, dass B. im Sinne des Dekrets 361 „unwählbar“ ist. Die definitive Entscheidung läge dann beim Senat, was eigentlich kein Problem sein sollte, denn dort verfügen Grillini, PD und SEL fast über eine Zweidrittelmehrheit. Und B. wäre weg vom Fenster, hurra.
Wobei die Grillini gleich hinzufügen : Wenn sich die PD darauf nicht einlässt, zeigt sie erneut, dass sie mit B. „unter einer Decke steckt“, womit sie sich bei ihren Wählern, so Grillos Kalkül, noch weiter demontieren würde. Das ist gut gezielt, die PD ist sich uneinig und windet sich. Einige PD-Vertreter meinen, ein solcher Beschluss sei überfällig, zumal B. gerade wieder versucht, Einfluss auf das öffentliche Fernsehen zu nehmen.
Die Gründe dagegen
Andere sind dagegen, und es sind nicht nur Berlusconi-Anhänger. Ebenfalls mit Gründen:
- Der Hauptgrund ist realpolitischer Natur: Da die PD eben ein Regierungsbündnis mit der PdL eingegangen ist, um dringende Reformen zu beschließen, kann sie nicht im gleichen Atemzug deren Anführer für „unwählbar“ erklären, auch wenn es rechtlich geboten wäre. Nicht B.s politischer Status, sondern die Arbeitslosigkeit sei jetzt prioritär. Was die PdL mit der Ankündigung bekräftigt, dass für sie das Bündnis natürlich in dem Moment beendet sei, in dem eine Mehrheit B. aus dem Senat werfen sollte.
- Beschämender ist der zweite Grund: Seitdem B. 1994 in die Politik ging, stand die PD (bzw. ihre Vorgänger-Partei) schon öfter vor der Frage, ob sie ihn für unwählbar erklären sollte. Sie sagte jedes Mal „Nein“ – wohl vor allem deshalb, weil sie die von B. ausgehende Gefahr unterschätzte. Dies holt sie jetzt wieder ein: Wenn sie B. in den vergangenen zwei Jahrzehnten fünfmal für „wählbar“ erklärte, warum entscheidet sie sich jetzt plötzlich – bei unveränderter Faktenlage – für das Gegenteil?
- Es gibt auch rechtliche Zweifel. Der Wortlaut des Gesetzes von 1957 hat eine Hintertür, denn er erkennt nur demjenigen die Wählbarkeit ab, der „selbst oder als legaler Vertreter“ des Konzessionsnehmers in einen Interessenkonflikt geraten könnte. Schon 1994, als zum ersten Mal B.s Wählbarkeit zur Debatte stand (und positiv entschieden wurde), konnte B. darauf verweisen, dass sein Konzern formal nicht ihm gehört (sondern Familienangehörigen oder Dritten), obwohl er selbst als Mehrheitsaktionär weiterhin der eigentliche Boss ist. Eine Hintertür, die im Widerspruch zum Geist des Gesetzes von 1957 steht, aber durch die seitdem alle gingen, die B.s Wählbarkeit befürworten, auch die PD. Weshalb bis heute versäumt wurde, durch eine kleine Änderung des Dekrets 361 diese Hintertür zu schließen (z. B. durch schlichtes Hinzufügen des Wörtchens „Mehrheitsaktionär“).
Diese Vorgeschichte kommt ins Spiel, wenn jetzt versucht wird, B. aufgrund des Gesetzes von 1957 für „unwählbar“ zu erklären. Denn heute kann jeder Verteidiger von B. sagen: Offenbar ist das Gesetz so oder so zu interpretieren, und es nun plötzlich zur Waffe gegen B. zu machen, wäre ein Winkelzug „ad Personam“ – also das, was man früher immer (andersherum) B. vorwarf. Zumal B. sowieso auf allen Großkundgebungen verkündet: Was sie mit dem Stimmzettel nicht geschafft haben, nämlich mich auszuschalten, das versuchen sie jetzt mit juristischen Tricks.
Die Unwählbarkeit muss das Ziel bleiben
B.s Interessenkonflikt ist eine der großen offenen Wunden der italienischen Demokratie. Ihre Heilung ist notwendig, aber auf Grillos Weg wird es nicht gehen. Sie wird nur so möglich sein: 1) Die vorhandene Regierung bleibt ein paar Monate im Amt, um die dringendsten ökonomischen Maßnahmen und ein neues Wahlgesetz auf den Weg zu bringen. Solange bleibt auch B. Senator. 2) Dann Neuwahlen, zu deren Themen u. a. die Frage gehören müsste, ob eine Figur wie B. mit seinen Prozessen und Interessenkonflikten weiterhin wählbar sein soll und ob nicht das Gesetz von 1957 der heutigen Realität anzupassen ist. 3) Auch wenn B. jetzt 10 Millionen Wähler finden sollte, ist zu erwarten, dass doppelt so viele gegen ihn stimmen werden. Auf dieser Grundlage wäre es nicht nur rechtlich möglich, sondern auch politisch legitim, ihn für unwählbar zu erklären.
Bleibt allerdings die Frage, ob die PD zu einer solchen Politik überhaupt fähig ist. Vielleicht nimmt ihr die Justiz die Hauptarbeit ab, indem sie B. auch letztinstanzlich, wie jetzt im Fall Mediaset geschehen, für viele Jahre die bürgerlichen Ehrenrechte aberkennt. Für Italien wäre auch das noch nicht die Befreiung – Grillo zeigt, dass man seine Leute auch „von außen“ lenken kann. Politisch wird B. nur mit dem Stimmzettel zu überwinden sein.