Aus für Berlusconi?
Das italienische Verfassungsgericht benötigte am 19. Juni anderthalb Stunden, um eine Entscheidung mit vielleicht weitreichenden Folgen zu fällen. Es ging um die Frage, ob das Gericht, das im Mediaset-Verfahren vor drei Jahren in erster Instanz gegen B.
verhandelte, einen für den 1. März 2010 geplanten Verhandlungstermin hätte stornieren müssen, weil B. wieder einmal seine „Legitime Verhinderung“ geltend gemacht hatte. Die Verteidigung, die auf Prozessverschleppung setzte, hatte damals geltend gemacht, zum gleichen Zeitpunkt finde eine Sitzung des Ministerrats statt, von der B. unabkömmlich sei, und das Gericht hatte dies nicht anerkannt. Das Verfassungsgericht befand nun, dass sich das Mailänder Gericht damals rechtmäßig verhalten habe, da es nicht „zwingend notwendig“ war, die Ministerratsitzung genau auf diesen Tag zu legen.Nun geht es um alles
B.s Anwälte gingen mit dieser Frage bis vors Verfassungsgericht, weil es für B. um viel geht. Der Mediaset-Prozess endete auch in der Berufung damit, dass B. wegen Steuerbetrugs und millionenfacher Steuerhinterziehung zu vier Jahren Knast und fünf Jahren Ausschluss von politischen Ämtern verurteilt wird (wir berichteten am 11. Mai). Auch wenn fraglich ist, ob B. jemals ein Gefängnis von innen sieht (er ist 76), würde es wahrscheinlich das Ende seiner politischen Karriere sein – und damit auch sein Wirtschaftsimperium gefährden. Ob es B. gelingen kann, seine Partei von außen zusammen zu halten, wie es derzeit Grillo versucht, ist fraglich.
Bevor das Mediaset-Urteil rechtskräftig wird, muss es noch vom Kassationsgericht bestätigt werden, auf das die Verteidigung die letzte Hoffnung setzte. Da es nur noch prüft, ob in den davor liegenden Instanzen formal alles mit rechten Dingen zuging, hoffte die Verteidigung, einen Revisionsgrund in der versagten „Legitimen Verhinderung“ zu finden. Diese Hoffnung ist jetzt geplatzt, und es ist wahrscheinlich, dass das Kassationsgericht das Urteil bestätigt. Ein paar Monate Zeit bleiben B. noch – der Spruch des Kassationsgerichts wird für „November oder einige Monate später“ erwartet.
Silvios Heer
Obwohl sich seine Gefolgsleute mit Treue-Bezeugungen überbieten – Maurizio Gasparri meinte, aus Protest sollten alle PdL-Abgeordneten zurücktreten -, reagiert B. vorerst erstaunlich verhalten. Abgesehen von der scheinbar resignierten Äußerung, dass „die Richter keine Ruhe geben, bis sie mich von der politischen Bühne eliminiert haben“, verkündet er, die Regierung Letta weiterhin arbeiten lassen zu wollen. Auf höhere Einsicht ist dies sicherlich nicht zurückzuführen, denn er hat häufig genug bewiesen, dass er für seine persönlichen Interessen auch eine Staatskrise vom Zaun brechen würde.
Aber bei der Einschätzung der Justiz ist er Realist. Sein Familienblatt „Giornale“ berichtet, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts mit 11 zu 4 Stimmten gefällt wurde. Worin sich auch Bedauern äußert, dass seine jahrelangen Bemühungen, die entscheidenden Positionen im Justizapparat mit willfährigen Leuten zu besetzen, leider nicht das erhoffte Gesamtergebnis brachten.
Dass B. auch mit dem Plan spielt, die Straße gegen seine Prozesse zu mobilisieren, bewies er, als er die PdL-Parlamentarier gegen den Mailänder Justizpalast in Marsch setzte. Aber das war wohl nur eine Übergangslösung. Angeblich ohne sein Zutun formiert sich gegenwärtig „aus der Mitte des Volkes“ eine neue Organisation, die nur ein Ziel hat: seine Schutztruppe zu sein. Sie nennt sich „Heer von Silvio“ und zählte Anfang Juni 516 Gruppen und 17 000 Mitglieder, meist 19 bis 25 Jahre alt. Wer eintritt, unterschreibt: „Ich, der Unterzeichnete, erkläre hiermit, dass ich dem Heer von Silvio beitrete, um Präsident Berlusconi zu verteidigen und an seiner Seite den 20-jährigen Krieg zu führen. Ich erkläre, dass ich mich mit ihm, seinen Gedanken und seinen Idealen identifiziere. Und jederzeit zur Teilnahme an Events oder Kundgebungen zu seiner Unterstützung bereit bin“. („20-jähriger Krieg“ heißt die TV-Schmonzette, die B. kürzlich von seinen Fernsehsendern ausstrahlen ließ und die seinen jahrzehntelangen Einsatz für das Gute, z. B. Ruby, und gegen das Böse, also Richter und Kommunisten darstellt). Vor allem soll B. gegen die Justiz verteidigt werden. Chef des Unternehmens ist ein „Comandante“ Furlan, ein Hotelier aus Padua, der bisher dadurch bekannt wurde, dass er dort eine Selbstschutztruppe von Geschäftsleuten gegen Banken und Steuerbehörde betrieb.
Alles nur Folklore? Drücken wir es so aus: B. hält sich verschiedene Optionen offen.
Postskriptum: Wenn das Kassationsgericht das Urteil gegen B. bestätigen sollte, gibt es für B.s politisches Ende nach den Parlamentsregeln eine allerletzte Hürde: Eine Mehrheit des Senats (dem B. angehört) müsste dem Ausschluss zustimmen. Also auch die PD. Angesichts des Gerichtsurteils eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn dann B. mit dem Ende der Regierung droht? Eine erste Äußerung von PD-Generalsekretär Epifani klingt so, als ob er sich in dieser Frage ein Hintertürchen offen hält. B.s Ankündigung, er wolle die Regierung Letta weiter arbeiten lassen, bekommt auf jeden Fall einen neuen Sinn: Er behält ein Druckmittel. Die PD-Fraktion könnte sich wieder einmal spalten – wäre ja nicht das erste Mal.