Nach dem Ruby-Urteil
Im sog. Ruby-Prozess hat das zuständige Mailänder Gericht jetzt das Urteil gesprochen: Wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger soll B. sieben Jahre (ein Jahr länger, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte) ins Gefängnis und darf lebenslang kein politisches Amt mehr bekleiden. Das ist „nur“ das Ergebnis der ersten Instanz, natürlich legt die Verteidigung Berufung ein und wird damit – wenn das Urteil auch in zweiter Instanz bestätigt wird – bis vor das oberste (Kassations-)Gericht gehen. Das heißt, dass bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils noch Jahre vergehen.
Und das, nachdem wenige Wochen zuvor das italienische Verfassungsgericht das vorletzte Hindernis aus dem Weg räumte, welches noch der Rechtskraft des Mediaset-Urteils im Wege stand, wo B. schon in zweiter Instanz zu 4 Jahren Gefängnis und 5 Jahren politischem Betätigungsverbot verurteilt worden ist. In der Summe bedeutet dies, dass es für B. nun knüppeldick gekommen ist und seine Chancen sinken, durch ein paar Korrekturen am italienischen Strafrecht vielleicht doch noch seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.Erste Reaktionen…
Auf dem Platz vor dem Mailänder Justizpalast war nach der Urteilsverkündung einiges los: ein Quintett älterer Damen, dem etwas die Übung fehlte, stimmte mit brüchiger Stimme erst die Nationalhymne und dann „Bella Ciao“ an. Wobei es öfters den Faden verlor, weil sich unmittelbar daneben ein älterer Mann darauf kaprizierte, immer wieder aus Leibeskräften „Hip Hip Hurra!“ zu schreien. Während B.s Chefwalküre und Vertraute Santanchè einem Pulk von Reportern erklärte: Nein, sie bedaure nicht, der Staatsanwältin Boccassini nicht im Gerichtssaal begegnet zu sein (die oberste Hassfigur des Berlusconi-Lagers ist in den Ferien), „die ist mir in letzter Zeit sowieso zu aufgequollen und fett geworden“.
B.s Propagandamaschine hat es immerhin geschafft, dass es für die zeitliche Koinzidenz beider Urteile zwei ganz verschiedene Interpretationen gibt. Für die einen bestätigt sich erneut: Hier der Wohltäter Italiens und in Not geratener Menschen, das edle Wild, dort die hinter ihm herhechelnde Meute kommunistischer Richter. Dass seine Chefanklägerin eine Frau war, überdies mit roten Haaren (die „rote Ilda“), und auch das verurteilende Gericht aus (drei) Frauen bestand, gibt dieser Erklärung die pikante Zusatznote eines weiblichen Rachefeldzugs. Die alternative Erklärung ist prosaischer: B. hat sein milliardenschweres Imperium mit kriminellen Machenschaften (Steuerhinterziehung, Richterbestechung, Bilanzfälschung) aufgebaut und diese Karriere auch nach seinem Einstieg in die Politik fortgesetzt, indem er beispielsweise sein Amt missbrauchte, um Menschen, die ihn wegen seines Lebensstils belasten könnten, dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Da er dabei allzu oft die rote Linie überschritt, geriet er gleich mehrfach ins Fadenkreuz der Justiz.
…und Drohungen
Beide Erklärungsmuster sind unvereinbar, und der Vorsitzende der PdL-Fraktion, Brunetta, hat dann auch gleich erklärt, dass es sich bei Ruby-Urteil um einen „Staatsstreich“ handele. Ich will nicht darüber spekulieren, in welchem Staat Brunetta lebt, in dem eine Verurteilung seines Chefs wegen Amtsmissbrauchs zum „Staatsstreich“ wird. Auf jeden Fall macht er mit dieser Einschätzung im eigenen Lager Schule: Ein „Staatsstreich“ erzeugt bekanntlich einen Notstand, in dem jede Widerstandshandlung gerechtfertigt ist. Der PdL-Vertreter (und ehemalige Minister unter B.) Rotondi prophezeite denn auch, dass „die politische Antwort (auf das Urteil) sehr stark sein“ werde, um dann sibyllinisch hinzuzusetzen: „Aber vielleicht sind weder die PdL noch Forza Italia (deren Neugründung B. erwägt, A.H.H.) das richtige Instrument, um sich dem Staatsstreich entgegenzustellen“. Denkt er stattdessen an das im Aufbau befindliche „Heer von Silvio“? Schon vor Jahren schlug Rotondi vor, sich beim Umgang mit Staatsanwälten an das Motto der Roten Brigaden zu halten: „Einen treffen, um Hunderte von ihnen zu erziehen“. Über die Drohungen, die in der letzten Zeit wieder bei der Boccassini eingehen, berichteten wir bereits.