Francescos erste Reise
„Seit 1988 verloren etwa 19.000 Menschen, mehr als zwei am Tag, ihr Leben im Mittelmeer. Allein im Jahr 2011 gab es mehr als 2000 Opfer. Im Jahr 2012 waren es 500, in den ersten Monaten von 2013 etwa 200. Und die Sommermonate kündigen neue Tragödien an“, so der PD-Abgeordnete Luigi Manconi, Vorsitzender der Sonderkommission des Senats zum Schutz der Menschenrechte, bei der Präsentation eines Untersuchungsberichts über die Lage von illegalen Flüchtlingen in Italien, die – meist übers das Meer, in überfüllten und unsicheren Booten – Italien als Tor zu Europa zu erreichen suchen. Unter den Tausenden, die es nicht schaffen, sind vor allem Kinder, Frauen und Alte. Von den Schleppern auf hoher See zurückgelassen, verdurstet, verhungert, ertrunken.
Einer dieser Vorposten an der italienischen Küste ist die Insel Lampedusa. Im Laufe des Jahres 2011 landeten dort über 50.000 Menschen, in den ersten Monaten dieses Jahres waren es ca. 4500, seit Juni steigen die Zahlen drastisch. Manchmal kommen 500, manchmal 1000 pro Tag. Im Erstaufnahmezentrum, das Platz für 300 Leute hat, drängen sich derzeit 540 Flüchtlinge. Vor einigen Tagen gab es wieder 7 Opfer, ertrunken bei dem Versuch, sich an ein tunesisches Fischerboot zu klammern, von den Fischern ins Meer zurückgestoßen.
Rassismus ist keine Randerscheinung
Man müsse auf die Flüchtlingsboote „mit Kanonen schießen“, befand Bossi, der ehemalige Führer der Lega Nord, als er noch Minister in der Berlusconi-Regierung war. Gewählte Lega-Vertreter empfehlen, „bei den Immigranten die gleiche Methode wie die SS anzuwenden: zehn bestrafen für jeden unserer Bürger, dem Schaden zugefügt wurde“ (Giorgio Bietti, Ratsherr in Treviso). „Man müsste ihre Häuser anzünden – aber dann wäre der Rauch ja giftig, weil sie Sch… sind“ (Rossella Colombo, Ratsfrau in der Nähe von Cremona). „Irgendjemand müsste doch die Kyenge (die Integrationsministerin, M.H.) vergewaltigen, damit sie merkt, was das bedeutet“ (Dolores Valandro, Ratsfrau in Padua, nach öffentlichen Protesten inzwischen aus der Lega ausgeschlossen). „Es müsste in der Metro Wagen nur für Mailänder geben“ (Matteo Salvini, Chef der Lega in Mailand). Das ist nur eine winzige Auswahl der öffentlichen Äußerungen (wenn man die Ergüsse so bezeichnen kann) von Lega-Vertretern. Doch der offene Rassismus der Lega und der extremen Rechten sind nur die Spitze des Eisbergs. Ein wirkliches Bild des ganz alltäglichen Rassismus und der Hetze, der Migranten und Flüchtlinge ausgesetzt sind, würde den Raum dieses Blogs sprengen. Sicher gibt es auch „das andere Italien“, zu dem das Heer der Ehrenamtlichen, Priester, Sozialarbeiter, Journalisten und vieler anderer gehören, die tagtäglich, mutig und unermüdlich für ein tolerantes, offenes und menschliches Miteinander arbeiten. Dennoch ist Rassismus in weiten Teilen der italienischen Gesellschaft tief verwurzelt. Das unsägliche Bündnis von Berlusconismo und Lega, das in Italien jahrzehntelang das Sagen hatte – und teilweise immer noch hat –, trug auch in dieser Hinsicht (faule) Früchte.
Der Papst setzt ein ZeichenUm so wichtiger ist das Signal, das Papst Franziskus bei der Wahl seines ersten Reiseziels setzt. Der Papst, „der vom Ende der Welt“ kommt, fährt als erstes nicht nach Südamerika, nicht nach Asien oder Afrika und schon gar nicht zu den (so genannten) Großen in Europa oder Amerika. Er fährt zur Insel Lampedusa und besucht dort die Bootsflüchtlinge und Inselbewohner. Er will keine Honorationen treffen und von keinen begleitet werden. „Der Besuch soll in möglichst diskreter Form stattfinden, auch was die Präsenz der Bischöfe und der staatlichen Autoritäten der Region betrifft“ heißt es unmissverständlich in der Pressemitteilung aus dem Vatikan. „Papst Franziskus möchte für die Opfer, die im Meer ihr Leben verloren haben, beten. Er möchte die Flüchtlinge treffen, den Bewohnern Mut sprechen und an die Verantwortung aller appellieren, sich der Sorgen dieser Schwestern und Brüder anzunehmen“. Stolzierende Promis in seinem Gefolge und deren öffentlichkeitswirksamen Devotionsbekundungen scheint der Papst dabei (gottlob, möchte man passenderweise rufen) als entbehrlich zu betrachten .
Franziskus wird kommenden Montag in Lampedusa ankommen. Er wird in ein Boot steigen, aufs offene Meer fahren und dort einen Blumenkranz zum Gedenken an die Opfer ins Wasser werfen. Dann wird er mit dem Boot die Punta Favarolo erreichen, wo die meisten Flüchtlinge landen, und dort Bewohner und Migranten treffen. Anschließend wird er in der Nähe der Flüchtlingsboote eine Messe zelebrieren. In der Nähe jener Boote, die Umberto Bossi „mit Kanonen beschießen“ wollte.
Ob man katholisch, evangelisch, muslimisch oder nichtgläubig ist: diese erste Reise des Papstes ist nicht nur eine frohe, sondern eine starke Botschaft.
Benvenuto a Lampedusa, Francesco!