Ein zweischneidiger Kompromiss
Am Mittwochabend hat die Regierung Letta eine Frage entschieden, von der viele erwarteten, dass sie an ihr scheitern würde: das Schicksal der Immobiliensteuer IMU. Im Ministerrat kam es zur überraschenden Einigung. Dabei deutete in den vergangenen Wochen vieles daraufhin, dass sich der juristisch angeschlagene B. dadurch retten wollte, dass er den Konflikt um die IMU auf die Spitze trieb. Mit der Folge Regierungskrise und schnelle Neuwahlen, in denen er die Abschaffung der IMU zu seinem Trumpf-Ass machen würde. Nun werden die Karten neu gemischt, und die Regierung könnte noch eine Weile im Amt bleiben.
Dauerbrenner SteuernB. ist schlau genug, um zu wissen, dass die Opferrolle allein zum Gewinn der nächsten Wahl nicht ausreicht. Deshalb ist seine zweite Lieblingsrolle die des heiligen St. Georg, der das Volk vom Steuer-Drachen befreit. In diesem Fall sollte es die IMU sein, die Monti vor einem Jahr (mit Unterstützung auch von B.) einführte, um wieder den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Jetzt hat B. ihre Wiederabschaffung auf seine Fahne geschrieben, koste es, was es wolle. B. hat nicht vergessen, dass er mit einem ähnlichen Versprechen schon einmal einen Wahlkampf gewann, nämlich den von 2008, als ihn 14 Millionen Italiener wählten. Im Wahlkampf des Frühjahrs 2013 versuchte er es wieder, mit einem zusätzlichen Theatercoup: Er schickte einen Brief in alle italienischen Haushalte, in dem er nicht nur die Abschaffung der Steuer, sondern im Falle seines Wahlsiegs auch die Rückzahlung der im Jahr 2012 entrichteten Wohnungssteuer versprach. Zwar wählten ihn diesmal nicht 14, sondern nur 8 Millionen, aber immerhin: Nachdem er wenige Monate zuvor in den Umfragen noch hoffnungslos zurücklag, zog er nun mit der PD fast wieder gleich.
Jetzt, im Herbst, wo ihm das Wasser bis zum Hals steht, wollte er es damit noch einmal versuchen. B. betrachtet die 14 Millionen von 2008 als „sein“ Wählerreservoir, das er nur genügend mobilisieren muss. Und wenn er es schafft, wieder einen solchen Erdrutschsieg wie 2008 hinzubekommen, wer wollte es dann noch wagen, ihn von der politischen Bühne verschwinden zu lassen? B.s Ober-Amazone, Daniela Santanché, hatte die Grabrede auf die Regierung Letta schon formuliert: „Die PdL repräsentiert weder die Partei der Handschellen noch die Partei der Steuern, und ich habe meine Schwierigkeiten damit, in einer Regierung der Steuern und der Handschellen zu bleiben“. Mit diesem probaten Mittel wollte B. auch den nächsten Wahlkampf bestreiten. Die IMU als Schmiermittel gegen Handschellen. Auf ein paar Millionen offene Ohren würde er damit schon stoßen.
Das soziale Gegenkonzept der PD
In der PD und bei denjenigen, die in der Regierung Letta ökonomischen Sachverstand verkörpern, gab es Bedenken gegen die ersatzlose Abschaffung der IMU. Zunächst wegen der Knappheit der Mittel: Die Abschaffung würde dem Staatshaushalt 8 Mrd. Euro kosten (für die Kommunen, an die die Hälfte geht, nicht zu bewältigende 4 Mrd.). Woher nehmen, wenn auf den Staat eigentlich noch wichtigere Aufgaben zukommen: marodes Schulwesen, wachsendes Heer der Arbeitslosen, dringend notwendige Investitions- und Beschäftigungsanreize? Und auch eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer vermieden werden soll? Höchste Priorität habe nicht die Abschaffung der IMU (die es in den meisten europäischen Ländern gibt, in Deutschland als „Grundsteuer“), sondern die Beschäftigungsförderung. Zumal die ersatzlose Abschaffung der IMU auch sozial ungerecht wäre, denn davon würden vor allem die Besitzer von Luxusvillen profitieren.
So war die PD nicht für Abschaffung, sondern für eine Reform der IMU „mit sozialer Komponente“, z. B. durch eine Erhöhung des jährlichen Freibetrags von 200 auf 500 €, was die meisten Familien von ihrer Zahlung befreit hätte, und dafür eine stärkere Progression für Besserverdienende und Reiche. Was für den Staat immer noch einen Einnahmeverlust bedeuten würde, aber in eher zu bewältigender Größenordnung.
Kompromiss mit Schlagseite
Am Mittwochabend kam es in der Ministerrunde zu folgender Einigung:
- 2013 wird auf die Erhebung der IMU für die Erstwohnung vollständig verzichtet. Ein Finanzausgleich für den Ausfall der ersten Rate, die eigentlich Anfang Juni fällig war (aber ausgesetzt wurde), ist angeblich gesichert. Der Finanzausgleich für die im Dezember fällige zweite Rate wird angestrebt.
- Ab 2014 wird die IMU durch eine neue Steuer ersetzt, die von den Kommunen festgesetzt wird und außer einer Immobiliensteuer auch die Gebühren für die kommunalen Dienstleistungen (inklus. Müllentsorgung) umfassen soll – mit dem schönen Namen ‚Service tax’.
Es ist ein Kompromiss mit Pferdefüßen:
- Die Deckung der Steuerausfälle ist nicht einmal für das Jahr 2013 gesichert, sondern wird teilweise nur durch eine politische Absichtserklärung ersetzt.
- Zu Lasten welcher sonstigen Aufgaben – Investitions- und Beschäftigungsförderung, Bildungswesen – dieser Verzicht geht, wird nicht spezifiziert.
- Das eigentliche Problem, nämlich ob die Immobilien weiter besteuert werden sollen, wird auf das Jahr 2014 verschoben.
- Es ist ein klassischer Kompromiss zu Lasten Dritter, nämlich der Kommunen, die sich ab 2014 mit der heißen Kartoffel ‚Service tax’ herumärgern dürfen, deren Höhe noch manche lokale Überraschung (und Revolte) bergen dürfte.
Ebenso zweischneidig ist die politische Bewertung dieser ökonomisch nicht gerade optimalen Einigung. B. verbucht sie lauthals als „Sieg“ – die Vorschläge der PD blieben (zumindest für 2013) erst einmal auf der Strecke, und damit auch jede „soziale Komponente“. Andererseits nimmt es B. Wind aus dem nächsten Wahlkampf. Die Regierung Letta bleibt erst einmal im Amt – mit welchem Nutzen für Italien, wird sich noch erweisen. Auf jeden Fall wird B. jetzt etwas mehr Vorsicht walten lassen müssen, ihren vorzeitigen Bruch zu provozieren – sonst könnte man es ihm anlasten, dass die Dezemberrate der IMU doch noch gezahlt werden muss. Seinen Kampf gegen die „Handschellen“ wird er weiter führen, aber in Kombination mit einem anderen Thema als der IMU. Es wird sich schon finden.