Italien ist immer noch ein Rechtsstaat

Seit dem letztinstanzlichen Urteil des obersten italienischen Kassationsgerichts, das am 31. Juli abends um 19 Uhr 30 verkündet wurde, dürfen wir den Satz endlich sagen und schreiben, ohne ein „Vielleicht“ oder „Angeblich“ davor zu setzen:

Silvio Berlusconi, Vorsitzender der PdL, früherer italienischer Ministerpräsident, Mitglied der Europäischen Volkspartei, ist ein Steuerbetrüger.

Rechtskräftig verurteilt zu 4 Jahren Gefängnis und einer noch nicht endgültig bestimmten Anzahl von Jahren, in denen er kein öffentliches Amt ausüben darf. Zwar wird B. von den 4 Jahren Gefängnis keines absitzen müssen, weil er unter eine Amnestie fällt, die aufgrund überfüllter Gefängnisse 3 Jahre von der ausgesprochenen Strafe erlässt. Auch das verbliebene Jahr wird er aufgrund seines Alters nicht im Gefängnis verbringen müssen, sondern entweder unter Hausarrest (er muss sich dafür eine seiner vielen Luxusvillen aussuchen) oder mit „gesellschaftlich nützlicher Arbeit“ (was in seinem Leben eine späte Premiere sein dürfte). Nur die Frage, wie lange er kein politisches Amt ausüben darf, hat die Kassation noch einmal an das Berufungsgericht zurückverwiesen, ihr scheinen 5 Jahre zuviel zu sein. So wird diese Frist wahrscheinlich reduziert werden, vermutlich auf 3 Jahre, aber das wird erst in ein paar Monaten entschieden. Ob B. solange noch seinen Sitz im Senat behält, ist allerdings fraglich. Denn zu den Hinterlassenschaften der Monti-Regierung gehört ein Dekret, dass sechs Jahre lang „niemand zu Wahlen kandidieren oder das Amt eines Abgeordneten oder Senators bekleiden darf, der rechtskräftig für Straftaten, für die bis zu 4 Jahren Haft vorgesehen sind, zu einer Haftstrafe von mehr als 2 Jahren verurteilt wurde“. Die zuständige Kammer – der Senat, in den sich B. wählen ließ – muss den Mandatsverlust auf jeden Fall noch bestätigen, damit sie wirksam wird. Aber das dürfte eigentlich (!) nur Formsache sein.

Die PdL zwischen Drohung und Paranoia

Was haben B. und seine Anhänger nicht alles versucht, um das Kassationsgericht unter Druck zu setzen! Und dabei noch einmal gezeigt, welches Verständnis sie von der Rolle des Rechts in einer Demokratie haben: Für sie ist es keine unabhängige Gewalt, sondern sollte sich politischer Opportunität unterwerfen. Sie drohten: Wenn B. verurteilt werde, würden alle PdL-Abgeordneten ihr Mandat niederlegen und die Regierung wäre am Ende, sie besetzten das Mailänder Justizgebäude, und ein neuformiertes „Heer von Berlusconi“, das ihn gegen die Justiz beschützen will, marschierte am Tag des Urteils vor seiner römischen Villa auf. Aber das Kassationsgericht hielt dem Druck stand. Es ließ sich Zeit, aber kam nach einigen Stunden zu einer definitiven Entscheidung.

Und wie reagieren B. und seine Anhänger jetzt? Wenige Stunden nach der Urteilsverkündung äußerte sich Berlusconi per Video. Wenn er selbst glaubt, was er sagt, bricht seine Paranoia nun voll durch. Alle 15 Richter, die ihn im Mediaset-Verfahren über drei Instanzen hinweg verurteilten, wurden von „Kommunisten“ ferngesteuert, sogar die alten Herren vom Kassationsgericht, deren konservative Neigung sprichwörtlich ist. Natürlich bleibt er auf der politischen Bühne, „aus Liebe zu Italien“ und als Leader der Forza Italia, die er im Herbst wiederbeleben will. Die Frage ist müßig, ob seine Partei, die gegenwärtig noch PdL heißt, wirklich so verkommen ist, dass sie sich weiter von einem rechtskräftig verurteilten Steuerbetrüger führen lässt. Sie ist es. Die PdL-Vertreter überschlagen sich mit Treueschwüren, Liebesbezeugungen, Elogen für den „Mut und das Verantwortungsbewusstsein“ des Steuerbetrügers.

Die offizielle PD-Position: Augen zu und durch

Auch für die PD ist damit das Regierungsbündnis mit der PdL nicht gerade leichter geworden. Denn ihr Koalitionspartner horcht auf das Kommando eines Mannes, der vorbestraft ist und deshalb auch keine öffentlichen Ämter mehr ausüben darf. Letta und andere PD-Führer versuchen die Zweifler in den eigenen Reihen mit dem Mantra zum Schweigen zu bringen, dass man im übergeordneten Interesse des Landes die persönlichen juristischen Probleme B.s von denen der Regierung und ihrem politischen Auftrag trennen müsse. Als ob das möglich wäre – B.s „persönliche“ Angelegenheiten prägen das politische Schicksal Italiens seit zwanzig Jahren, und sie tun es auch jetzt noch. Der Herbst wird noch heißer werden als der Sommer, in Italien.

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