Sieg der „Falken“
Begnadigung durch den Staatspräsidenten; keine Anwendung des Gesetzes, das vorbestraften Abgeordneten das Mandat entzieht (das „Severino-Gesetz“, dem Montis ehemalige Justizministerin den Namen gab); Amnestie für alle, damit sich einer retten kann … Seit Tagen und Wochen sind Berlusconi und die gesamte PdL – Abgeordnete, Minister, Staatssekretäre – mit nichts anderem beschäftigt, als über trickreiche Auswege zu brüten, die B. seiner Strafe entziehen. Diesem obersten Ziel ordnet sie auch die Frage unter, ob eine Regierungskrise und Neuwahlen herbeigeführt werden sollen.
Bei dieser frenetischen Suche hatten – bisher – mal die „Falken“, mal die „Tauben“ in B.s Lager die Oberhand.
„Falken“ und „Tauben“
Die ersten drängen auf Bruch der Koalition und Neuwahlen, sie wollen B. zum großen Märtyrer hochstilisieren und einen Wahlkampf führen, der den frontalen Angriff gegen Rechtsstaat und Justiz mit einer demagogischen Kampagne gegen die Steuern verbindet. Zur Auslösung der Regierungskrise sollen zwei Anlässe dienen: wenn sich 1) die zuständige Senatskommission aufgrund des „Severino-Gesetzes“ mehrheitlich für B.s Mandatsverlust ausspricht (rechtlich geboten) und wenn 2) das Kabinett die von der PdL geforderte vollständige Abschaffung der Immobiliensteuer ablehnt (aus Gründen der Finanzierbarkeit geboten).
Die „Tauben“ gaben hingegen zu bedenken, dass sowohl eine Regierungskrise als auch zu schnelle Neuwahlen, bei denen B. womöglich wegen seines Mandatsverbots nicht kandidieren dürfe, riskant seien. Eine Regierungskrise könne dazu führen, dass Napolitano erneut Letta beauftragt und dieser nach neuen Mehrheiten sucht (die auch einige abtrünnige „Grillini“ einschließen könnten). Sollte das scheitern – was wahrscheinlich ist –, wird Napolitano zurücktreten und den Weg frei machen für einen neuen Staatspräsidenten. Auch das eine gefährliche Sache, denn es könnte auf jemanden hinauslaufen, den B. noch mehr fürchten muss als Napolitano. Auch schnelle Neuwahlen – ohne B. als Spitzenkandidaten und möglicherweise mit Matteo Renzi als Kontrahenten – sind für die PdL riskant. Zwar liegt die PdL in den derzeitigen Umfragen noch leicht vor der PD, aber nach dem Mandatsverlust B.s würden die Karten neu gemischt werden.
Die Tage der Regierung sind gezählt
Nun scheinen aber nach einem fünfstündigen „PdL-Gipfeltreffen“ in Arcore die Würfel zugunsten der „Falken“ gefallen zu sein. B. geht auf volle Konfrontation, die Argumente der Bedenkenträger wurden barsch zurückgewiesen. Generalsekretär Alfano (Lettas Vizepremier) erklärte nach dem Treffen, ein Mandatsverlust B.s sei „inakzeptabel und verfassungswidrig“ und eine Fortsetzung der Koalition in diesem Fall unmöglich. „Verfassungswidrig“, weil das „Severino-Gesetz“ nach Meinung der PdL nicht für Straftaten gelten dürfe, die vor der Verkündung des Gesetzes (2012) liegen. Sie will deswegen das Verfassungsgericht anrufen (womit B. ein gutes halbes Jahr Zeit gewinnen könnte). B. ist und bleibt ein Abenteurer. Erst recht, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt. „Après moi le déluge“.
Dass sich Napolitanos Wunsch erfüllt, die Regierung der „larghe intese“ („des breiten Konsenses“) noch eine Weile am Leben zu halten, wird immer unwahrscheinlicher. Während Alfano erklärt, der Mandatsverlust von B. sei „undenkbar“, erklärt die PD, es sei „undenkbar, rechtskräftige Urteile nicht umzusetzen“. Von „breitem Konsens“ keine Spur. Was auch nicht anders sein kann, wenn ein Koalitionspartner den Rechtsbruch zur obersten Maxime macht.