Schwerer Rohrkrepierer
Heute stellte Letta die Vertrauensfrage, nachdem Berlusconi, dessen PdL bisher die Regierung mittrug, die Regierungskrise eröffnet hatte. Letta hat sie in beiden Kammern mit satter Mehrheit gewonnen. Spannend war insbesondere die Abstimmung im Senat, denn hier verfügt die PD nicht, wie in der Abgeordneten-Kammer, über die absolute Mehrheit der Stimmen. Da abzusehen war, dass die Grillo-Truppe, SEL und Lega geschlossen gegen das Vertrauen stimmen würde, musste hier Letta auf „Überläufer“ aus der PdL hoffen. Zum Schluss lief die gesamte PdL-Fraktion über – und es war B. selbst, der dies ankündigen musste. Mit dem Ergebnis, dass im Senat 235 für und 70 gegen Letta stimmten (niemand enthielt sich). Es war vor allem B.s Niederlage. Seine Kehrtwende im letzten Moment schlug wie eine Bombe ein. Aber diesmal konnte B. seinen Theatercoup nicht genießen. Stattdessen sackte er hinterher heulend auf seinem Senatorenstuhl zusammen.
Das Pokerspiel
Um seine Haut vor der Justiz (und dem Verlust seines politischen Mandats) zu retten, spielte er fünf Tage lang Vabanque. Indem er zunächst die PdL-Abgeordneten beider Kammern zum Massenrücktritt und dann auch die PdL-Minister zum Rücktritt zwang, um die Regierungskrise vom Zaun zu brechen. Vor allem ging es ihm um die sofortige parlamentarische Handlungsunfähigkeit, denn damit hoffte er, seine Amtsenthebung bis zu Neuwahlen hinausschieben zu können.
Aber auch Letta ist kein politischer Waisenknabe. In Absprache mit Napolitano kündigte er daraufhin an, in beiden Kammern die Vertrauensfrage zu stellen, und zwar schon an diesem Mittwoch. Worauf B. seinerseits ankündigte, dass „seine“ PdL-Abgeordneten dagegen stimmen würden. In deren Reihen es nun aber plötzlich Widerstand gab, an dessen Spitze sich PdL-Generalsekretär Alfano stellte, der in der Letta-Regierung nicht nur Minister, sondern auch stellvertretender Ministerpräsident ist. Die anderen vier PdL-Minister schlossen sich ihm an. Und auch in den Fraktionen artikulierte sich Widerstand, bis zu dem Punkt, dass im Senat mehr als 20 PdL-Abgeordnete nicht nur offiziell erklärten, gegen B.s Direktive für Letta stimmen zu wollen, sondern auch eine eigene parlamentarische Gruppe zu bilden (sogar der Name kursierte schon: „Nuova Italia“, Neues Italien). Der Kristallisationspunkt dieser Gruppe war eine „Katholische Connection“, die es auch in der PdL gibt und die sich in der letzten Zeit von B. zu emanzipieren begann.
Die PdL zerfleischt sich
Am Vorabend der Abstimmung brach die Hölle los. B.s Familienblatt, der „Giornale“, verkündete mit Balkenüberschrift „Verräter Alfano“, und in einer Talkshow beschimpften sich bisherige PdL-Größen wechselseitig als „Feiglinge“ und „Stalinisten“. In der Nacht zum Mittwoch rief B., so Zeugen, noch einmal alle 91 PdL-Senatoren persönlich an. Ein letzter Bearbeitungsversuch, bei dem er, das darf man nicht vergessen, über viele Druckmittel verfügt, vor allem über eines: Käme es jetzt zu Neuwahlen, könnte B. aufgrund des geltenden Wahlgesetzes allein entscheiden, wer nächstes Mal für die PdL oder deren voraussichtlichen Nachfolger, die neu augelegte „Forza Italia“, überhaupt kandidieren darf. Wer ihn jetzt „verriet“, der oder die konnte sicher sein, dann chancenlos zu sein.
Aber zum ersten Mal in seiner politischen Karriere scheint B. für seine eigene Kreatur, die PdL, nicht die nötige Überzeugungskraft gehabt zu haben. Als er am Mittwochmorgen mit verquollenem Gesicht (wegen seiner nächtlichen Telefonaktion) im Senat erschien, verkündete er ein weiteres Mal, man werde Letta natürlich nicht das Vertrauen aussprechen. Aber als dann die bereits formierte Dissidentengruppe erklärte, dem nicht zu folgen, und als B. in einem letzten Treffen mit seiner Restfraktion erfahren musste, dass sie damit nicht allein standen, war er mit seinem bis dahin gefahrenen Kurs gescheitert. Denn nun war klar, dass ein konsistenter Teil der PdL Letta gegen B.s erklärten Willen über die Hürden helfen und sein ganzes Manöver eine gespaltene PdL hinterlassen würde.Ein letzter Dreh
B. ist immer noch wendig genug, um nun zu tun, was in dieser Situation am schlauesten war: Unter einem Vorwand, dessen Fadenscheinigkeit unübersehbar war (Letta sei ja nun doch auf ein paar PdL-Forderungen eingegangen), erklärte er plötzlich, dass nun die Fraktion, wenn auch „schweren Herzens“, Letta das Vertrauen aussprechen werde. Um zumindest äußerlich den Anschein zu erwecken, dass er noch Herr der Lage sei und eine ungespaltene PdL hinter sich hat. Und um zu versuchen, sich noch einen Rest von Einfluss auf die Regierung zu erhalten, deren Weiterexistenz er vorerst nicht verhindern kann. Dass er eine schwere Niederlage einstecken musste, ist nicht zu vertuschen. B.s Abstieg hat – vielleicht – wirklich begonnen.
Über die weiteren Ereignisse werden wir berichten. Am Freitag steht die nächste wichtige Entscheidung an: die Abstimmung in der Senatskommission über den Verlust seines Mandats. Genau das, was er mit seinem Manöver eigentlich verhindern oder zumindest hinauszögern wollte. Seine Tränen sind echt.