Nach dem Erdbeben
„Am Mittwoch ging die politische Ära von zwanzig Jahren Berlusconismus zuende. Berlusconi forderte und versuchte den Sturz der Regierung. Ohne Erfolg …Nun beginnt definitiv ein neues Kapitel…Alfano hat auf starke und markante Weise die Führung übernommen.“
(Enrico Letta, 6. 10.)„Wir akzeptieren keine Einmischung in die freie Auseinandersetzung unserer Bewegung. Das gilt auch für den Ministerpräsidenten…Es sind nicht unsere Gegner, die über das Ende des politischen Zyklus von Berlusconi zu befinden haben, in dem das Volk weiterhin den Führer einer großen Partei und einer Koalition sieht, die immer noch siegen kann.“
(Angelino Alfano, 6. 10.)
Was am Mittwoch vor 9 Tagen in beiden italienischen Kammern geschah, war auch für italienische Verhältnisse kein business as usual. Aber dass Letta nun schon das Ende Berlusconis (oder gar des Berlusconismus) heraufbeschwört, könnte voreilig sein. Die Antwort seines Stellvertreters Alfano ist eine kalte Dusche. Auch wenn sie vor allem taktische Gründe hat (nach seinem Sieg über B. muss Alfano, der PdL- Generalsekretär, als Einiger der Partei auftreten), ist sie realistisch: B. ist noch lange nicht aus dem Spiel.
Das Epizentrum des Bebens auf der Rechten
Dass Alfano B. zwang, am 6. Oktober in aller Öffentlichkeit den Regierungssturz abzublasen, löste in der Rechten erst einmal ein Erdbeben aus. Dem Versuch des Sturzes ging ein gewaltiger Anlauf voraus: Rücktritt aller PdL-Abgeordneten, dann der PdL-Minister, um auf irgendeine Weise B.s Mandatsverlust hinauszuzögern. Aber als Letta die Vertrauensfrage stellte, verließen B. die Kräfte, d. h. ungefähr die Hälfte seiner Gefolgschaft (die genaue Zahl ist unbekannt). Damit erwies sich seine Drohkulisse als Potemkinsches Dorf, und für B. zeichnete sich eine gigantische Niederlage ab: kein Sturz Lettas, kein Aufschub von B.s Mandatverlust, eine sich auflösende PdL.
Es spricht für B.s Machtinstinkt, dass er im letzten Moment das Steuer herumriss und selbst das „Ja“ der PdL zur Vertrauensfrage ankündigte. Er gab damit preis, was für ihn sowieso unerreichbar war: sofortige Neuwahlen. Aber er blieb im Spiel und rettete den Rest an Macht und Prestige, über den er noch in der auf ihn fixierten Partei verfügt. Nicht umsonst hatte sich Alfano, als er sich zuletzt gegen B. stellte, nur als „diversamente berlusconiano“ definiert, als „andersartigen Berlusconianer“, der seinen eigenen Kurs immer noch damit rechtfertigen musste, dass er auch im wohlverstandenen Interesse von B. liege.Trotzdem haben sich die Gewichte in der PdL verschoben: B. ist nicht mehr der unbestrittene Alleinherrscher, sondern muss sich mit Alfano arrangieren, der nun zum eigenständigen Machtzentrum geworden ist. Dies hat für B. einen Preis: Er muss einige Scharfmacher aus seinem Hofstaat (z. B. Santanchè) opfern, und er muss etwas vorsichtiger mit seinen Versuchen sein, die Regierung Letta für seine persönlichen Interessen zu instrumentalisieren. Er wird es weiter versuchen. Was geschehen ist, war alles in allem ein Erdbeben mittlerer Stärke: keine flächendeckenden Zerstörungen, aber Risse, die bleiben.
Die Regierung Letta lebt länger
Ende September gaben Realisten der Regierung Letta höchstens noch ein paar Wochen. Seit dem 6. Oktober hat sich diese Perspektive gründlich verändert. Nun scheint es möglich, sogar bis zur zweiten Jahreshälfte 2014 zu planen, in der Italien die EU-Präsidentschaft übernimmt. Also Neuwahlen frühestens Anfang 2015. Damit hätte Letta theoretisch Zeit, um die von ihm angekündigten Reformen in Angriff zu nehmen. Wie das allerdings bei der Gegensätzlichkeit der beiden großen Parteien gehen soll, die die Regierung tragen, steht in den Sternen. Schon der Haushaltsplan für 2014, im Schraubstock zwischen Rezession und Schuldenbremse, wirft fast unlösbare Probleme auf: Die PD will die Steuerlast im Namen der sozialen Gerechtigkeit nach oben umverteilen, die PdL will sie auch für Reiche und Besserverdienende verringern. Ganz zu schweigen von der Reform des Wahlgesetzes, die vor allem Napolitano ganz oben auf die Agenda setzt und bei der ebenfalls keine Kompromisslinie in Sicht ist. Da Grillo mit niemandem ein Bündnis eingehen will und inzwischen sogar die Attraktivität des „Porcellum“ entdeckte, ist es ihre Alternativlosigkeit, welche die Regierung vorerst am Leben erhält.
Auch die PD steht vor einer neuen Situation
Das Regierungsbündnis mit der PdL, das schon mit der Regierung Monti begann, strapaziert die Glaubwürdigkeit der PD bei ihrer Wählerschaft. Das erste halbe Jahr Letta konnte noch als Notbündnis auf Zeit betrachtet werden. Verlängert sich diese Perspektive, verstärkt sich auch das Glaubwürdigkeitsproblem. Weitere Wähler können ins Lager der Nichtwähler oder Grillini abwandern. Viel wird davon abhängen, ob es der PD gelingt, der Regierungspolitik – auch in Sachen Europa – ihren Stempel aufzudrücken und das Land aus seiner gegenwärtigen Krise herauszuführen. Vertieft sich die Krise weiter, sieht es auch düster für die Zukunft der italienischen Demokratie aus.
Der Kampf um die Führung der PD, in dem Matteo Renzi der Angreifer ist, findet ab sofort unter anderen Rahmenbedingungen statt. Renzi geht es vor allem um die Kandidatur für den nächsten Ministerpräsidenten, die bevorstehenden Vorwahlen für den Posten des PD-Generalsekretärs sieht sollte nur eine Zwischenetappe sein. Dass er die Vorwahlen zum Generalsekretär gewinnt, ist wahrscheinlich, auch wenn man mit Fug und Recht zweifeln kann, ob er dafür der richtige Mann ist. Aber wie wird er sich als Generalsekretär verhalten, wenn Letta keine Anstalten macht, vor 2015 abzudanken?
Ein längeres Leben der Regierung Letta wird die Linke innerhalb der PD marginalisieren und Vendolas SEL noch weiter von der PD entfernen. Ob dies der SEL Auftrieb gibt oder sie von der Konkurrenz der 5-Sterne-Bewegung zerrieben wird, ist nicht abzusehen.
Risse im rechten Lager, aber nicht B.s Abschied, eine längere Perspektive für die Regierung Letta und Gewichtsverlagerungen auf der Linken, das sind die vorerst absehbaren Folgen der von Letta gewonnenen Vertrauensabstimmung am Mittwoch vor 9 Tagen.
das italienische problem konnte entstehen, da seit dem krieg die regierungen im durchschnitt nach 3/4 jahren stuerzten.
das ganze system, parteien, die keine parteien in unserem sinn sind, die koalitionen bilden, um gewaehlt zu werden, bonus erhalten, sobald sie regieren, sich sie eigenstaendige parteien verhalten, untereinander zwangslaeufig um den rechten weg streiten, sonst koennten sie sich gleich aufgeben.
es ist eben alles verquer. ein politisches system, das sich selber reformiert? sehr schwierig.
die italienische krankheit. was tun?