Der Kandidat betritt die Arena
Matteo Renzi, der jugendlich lässige Bürgermeister von Florenz, ist der einzige, der für Mittelinks die nächste Wahl gewinnen kann, sagten bis vor kurzem die Umfragen. Spätestens seitdem Letta seine Vertrauensabstimmung gewann, steigen auch dessen Aktien. Aber das Argument „Umfragekönig“ hat noch genügend Gewicht, um Renzi bei der am 8. Dezember anstehenden Wahl des neuen PD-Generalsekretärs zum Favoriten zu machen, zumal Letta, dessen Nachfolger Renzi werden möchte, als amtierender Regierungschef nicht auch in diesen Ring steigen kann. Gewählt wird in offener Wahl (Primarie), an der nicht nur PD-Mitglieder teilnehmen können, sondern jeder, der zwei Euro bezahlt und sich mit den Zielen der PD schriftlich einverstanden erklärt.
Der Auftritt in BariAm 12. Oktober eröffnete Renzi seinen Wahlkampf mit einer Kundgebung in Bari. Sein Auftritt wurde mit Spannung erwartet, weil er hier endlich ein „Programm“ präsentieren musste. Worin seine Gegner, von denen es in der PD-Führung einige gibt, seine schwache Seite sehen – vielen erscheint er immer noch als der Sprücheklopfer, der inhaltliche Leere mit Frechheiten vom Schlage Haut-die-Alten-weg überdeckt (was nicht ganz ungeschickt wäre, denn Renzi positioniert sich damit als Mann außerhalb der etablierten Parteiapparate).
Nun also sein Auftritt in Bari. Zunächst die Form, die ein wenig an Steinbrück bei seinen letzten Wahlkampfauftritten erinnert: Allein auf einem Podest in der Hallenmitte wandert er im Scheinwerferlicht umher, mit dem Mikrofon in der Hand. Er scheint völlig frei zu sprechen, sein leichtes Lispeln macht ihn eher sympathisch. Die von ihm erwarteten Spitzen gegen das PD-Establishment liefert er wohldosiert und verbunden mit Elogen an die Partei (die „einzige Kraft, die Italien verändern kann“).
Magere Inhalte
Beim Inhalt wird es schwieriger. Er streift viele Themen, lässt sie wieder fallen, geht selten in die Tiefe: Europa, Arbeitsmarkt, Bipolarismus, Wahlgesetz, das Bossi-Fini-Gesetz, PD.
Beispiel Wahlgesetz: Er sei für den Bipolarismus und kündigt noch für November den Entwurf eines neuen Wahlgesetzes nach dem Muster italienischer Bürgermeisterwahlen an, „bei dem man sofort weiß, wer gewonnen hat“. Klingt lösungsorientiert, aber überspielt das Problem. Denn zum einen müsste dafür zunächst das italienische Zweikammersystem außer Kraft gesetzt werden. Zum anderen ist die politische Landschaft Italiens nicht mehr bi-, sondern tripolar. Und hier ein Wahlgesetz einzuführen, dass noch am Wahlabend Gewissheit über den Wahlsieger bringt, wäre nur mit einer Gewaltkur möglich, etwa in Form eines Mehrheitswahlrechts nach englischem Vorbild. Wie Renzi dafür die nötige Mehrheit finden will, z. B. in dem tripolaren Senat, darüber redet er nicht.
Beispiel Europapolitik: Italien müsse wieder von Europas Schüler, der vor allem „seine Hausaufgaben machen“ soll (Merkel lässt grüßen), zu Europas Lehrmeister werden, der gleiche Regeln durchsetze, vom Arbeitsmarkt bis zur Verteidigung, und dem Europa in Fällen wie Lampedusa zu Hilfe komme. Fromme Wünsche, bei denen ebenfalls offen bleibt, wie sie z.B. gegen Deutschland durchgesetzt werden sollen.
Weichspülen, undeutlich bleiben, gezielt anecken
Beispiel Bossi-Fini-Gesetz, das die Einwanderung erschwert bzw. kriminalisiert und vor allem in den letzten Wochen durch die Lampedusa-Toten in Verruf geriet. Renzi sagt, das Gesetz habe „nicht funktioniert“. Klingt so, als ob er auch dagegen sei. Aber die Frage, in welche Richtung es zu verändern sei – eine liberalere Immigrationspolitik oder eine noch perfektere Abschottung -, bleibt offen.
Beispiel Arbeitsmarktpolitik: Bei der Einstellung neuer Arbeitskräfte müsse es weniger Vorschriften und Bürokratie geben und die Digitalisierung gefördert werden (zwei Tage später, bei einem Auftritt vor Unternehmern in Verona, steht das im Mittelpunkt). Die eigentliche „heiße“ Frage umgeht er: Sollen auch Entlassungen erleichtert werden, wie es Brüssel fordert?
Beispiel Amnestiegesetz, das eben Napolitano mit Nachdruck auf die Tagesordnung gesetzt hat: wegen menschenunwürdiger Zustände in den überfüllten Gefängnissen eine kurzfristige Amnestie, die Platz schafft. Ein Konflikt zwischen Legalismus und Menschenwürde, in dem sich Renzi überraschend eindeutig auf die Seite des Legalismus stellt, gegen Napolitano und einen Teil der eigenen Partei. Mit dem Verweis darauf, dass es eine solche Amnestie schon vor 7 Jahren gab, trifft er den wunden Punkt ihrer Befürworter. Aber er kennt offenbar auch die Umfragen, denen zufolge eine Mehrheit gegen die Amnestie ist.
Wenig zur PD
Und schließlich das Thema PD, von der viele (zu Recht) sagen, dass sie „reformiert“ werden müsse und für die er als Generalsekretär verantwortlich wäre. Hier scheint seine Diagnose auf den ersten Blick schonungslos: Die PD sei zu einer Partei der Rentner und des Öffentlichen Dienstes geworden. Aber sein Therapievorschlag fällt eher enttäuschend aus: Man müsse – auch in der PD – die Lehrer aufwerten. um ihnen „ihre Würde zurückzugeben“. Nicht falsch, aber als Antwort auf die Probleme der Partei – bürokratische Verkrustung, Abkapselung von den Bewegungen, nicht überall gegen Korruption gefeit – zu wenig.
Es sind die Umrisse eines Programms, in dem in Bari noch einiges fehlt (z.B. das Thema Steuern). Das Rezept scheint von Marketing-Fachleuten zu stammen: 1) Sich als Macher im Mainstream der öffentlichen Meinung präsentieren. 2) Ausweichen, wo man anecken könnte (Bossi-Fini). 3) Gelegentlich mal „Kante zeigen“, um sich gegen das Establishment zu profilieren, ohne aber den Mainstream zu verlassen (Amnestie). Erneuert das die PD?