Streit ums Haushaltsgesetz
Rechtzeitig zum Jahresende hat die Regierung Letta dem Parlament einen Entwurf für den Haushalt 2014 vorgelegt – unter den gegebenen Umständen ist es fast ein Wunder, dass er überhaupt zustande kam. Denn sofern sie nicht neutrale „Experten“ sind, gehören die Minister, die ihn erarbeiteten, überwiegend Parteien mit gegensätzlichen Programmen an. Die PD will durch steuerliche Entlastung Wachstum und Beschäftigung fördern und die sozialen Lasten durch ihre Umverteilung „nach oben“ gerechter verteilen. Die PdL will möglichst überhaupt alle Steuern abschaffen, gerade auch „oben“. Und der Steinerne Gast am Verhandlungstisch fordert: Die Neuverschuldung müsse unter der 3 %-Grenze bleiben. Wenn es beim Entwurf einen Gewinner gibt, dann ist es die EU.
Der Entwurf: Stabilität …Denn abgesehen davon, dass er diese Vorgabe einhält, ist der Entwurf ein Flickenteppich, der möglichst vielen möglichst wenig weh tut, aber auch nichts wirklich voranbringt. Beginnend mit dem Punkt, den viele Beobachter in der gegenwärtigen Krise für den dringlichsten halten: die steuerliche Entlastung der Lohnempfänger und der sie einstellenden Betriebe (Ankurbelung des Konsums und der Beschäftigung). Für beides macht der Entwurf ein paar Milliarden locker, aber in so mikroskopischem Ausmaß (10 Mrd., verteilt über drei Jahre), dass davon kein realer Wachstumsimpuls ausgehen kann – bei einem Bruttosozialprodukt, das in den letzten 5 Jahren um 9 % sank, und einer Jugendarbeitslosigkeit von inzwischen über 40 %.
Die Abschaffung der Wohnungssteuer IMU, aus der Berlusconi einen populistischen Glaubenskrieg machte, hat er im laufenden Jahr 2013 weitgehend durchgesetzt, auch für Besserverdienende, die ihm besonders am Herzen liegen. Was die Finanzmittel, die für andere Aufgaben verfügbar sind, drastisch reduziert hat. Aber wenn B. diesen Haushalt nicht noch im Parlament zu Fall bringt (was ihm zuzutrauen ist), wird es auch für ihn nur ein Pyrrhus-Sieg. Denn 2014 wird die IMU wieder auferstehen, wenn auch unter anderem Namen. Andererseits wird es auch die von der PD gewünschte Umverteilung der Steuerlasten nach „oben“ nur spurenweise geben: Beziehern von Luxusrenten soll ein Solidaritätsbeitrag, Besitzern von Wertpapier-Depots eine erhöhte Gebühr abverlangt werden. Aber auch weiterhin werden die Steuern auf Kapital halb so hoch sein wie die Steuern auf Arbeit.
… auf niedrigem Niveau
Vermieden wurde ein weiterer finanzieller Kahlschlag im Gesundheitswesen, das unter den linearen Kürzungen, welche Berlusconi in diesem Bereich vornahm, schon genug gelitten hat. Stattdessen weitere Einsparungen im Öffentlichen Dienst: erneute tarifliche Nullrunden und Abbau der Überstundenzuschläge. Und zwar ohne sonst irgendwelche Strukturveränderungen ins Auge zu fassen, die gerade in diesem Bereich zugunsten einer besseren Effizienz nötig wären. Auch die dringend erforderliche Reform des Sozialstaats unterbleibt. Stattdessen wird die finanzielle Ausstattung einiger sozialer Fonds verbessert, z. B. für die Pflege. Für den Fonds „Cassa integrazione in deroga“, der staatliche Hilfe bei Arbeitslosigkeit leistet, sind 330 Mio. € vorgesehen. Angesichts der Krise wären Milliarden nötig.
Fazit: Für seine Verteidiger ist es ein Haushalt der „Stabilität“, für seine Kritiker der Stagnation, auf gegebenem niedrigem Niveau und ohne reale Entwicklungsimpulse. Die Staatsschuld verharrt bei 135 % des BSP. Aber Brüssel und die Finanzmärkte scheinen vorerst zufrieden, der Spread sank auf einen neuen Tiefstand von 230 %, und Obama erteilte Letta ein Sonderlob. Aber Italien hat sich verpflichtet, ab 2015 mit dem Abbau der Staatsschulden zu beginnen. Niemand weiß, wie das gelingen soll.
Protestdemonstration in Rom mit Zwischenfällen
Am gestrigen Samstag hat in Rom eine zentrale Demonstration gegen die Politik der Austerity stattgefunden, an der schätzungsweise 70.000 – 100.000 Menschen teilnahmen. Der Protestzug war bunt gemischt: Arbeitslose und prekär Beschäftigte, Schüler und Studenten, Migrantenverbände, autonome Gewerkschaften, Bürgerinitiativen für das Recht auf Wohnung und gegen Großprojekte wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke in Piemont marschierten überwiegend friedlich durch die Hauptstadt. Aber die „schwarzen Blocks“ hängten sich wieder dran, trotz aller Versuche, sie von der Demonstration abzudrängen. Und eroberten die Schlagzeilen. Ungefähr 100 Vermummte prügelten sich mit der Polizei und bewarfen Ministerien und Bankgebäude mit Knallkörpern. Es kam zu ca. 15 Festnahmen, acht Polizisten wurden verletzt. Nach der Demonstration schlugen einige Dutzende auf dem Platz Porta Pia Zelte auf, sie wollen dort bis auf Weiteres bleiben. Hier verhält sich die Polizei noch abwartend.