„Vergogna!“

Als der Senat vergangenen Mittwoch die Aufhebung von B.s Abgeordneten-Mandat beschloss, war es für Berlusconis Fraktion (früher PdL, heute Forza Italia) die Stunde der Bewährung. Eine Stunde, in der ihr General sie allein ließ.

Fünf seiner Senatorinnen waren, das Ergebnis vorwegnehmend, in Schwarz erschienen. Zunächst hatte ihre Fraktion das Wort. Einer nach dem anderen legte dar: Erstens sie das Severino-Gesetz, die Grundlage des Mandatsentzugs, verfassungswidrig (die PdL hatte es vor einem Jahr mitbeschlossen); zweitens könne man es nicht rückwirkend anwenden; drittens solle man wenigstens erst ein Urteil des europäischen Gerichtshofs abwarten. Und viertens, wenn das alles nichts nützt: Die Abstimmung müsse geheim sein.

Rundumschläge

Der Senatspräsident, der die Diskussion leitete, dankte höflich für jeden Beitrag, der Nächste bitte. Business as usual, zu wenig für diesen ungeheuerlichen Moment. Als der Vorsitzende des Immunitätsausschusses nochmals vorträgt, warum sich dieser für B.s Mandatsverlust entschied, wird es lebendig. Sandro Bondi schreit: „Das reicht jetzt, Sie Azzeccagarbugli“. Bondi gilt als B.s kulturelles Schwergewicht, er kennt immerhin Manzoni, der in den „Verlobten“ das Wort „Azzeccagarbugli“ benutzt, was ungefähr Knäuel-Entwirrer bedeutet und jemanden bezeichnet, der bei uns „Winkeladvokat“ heißt.

Alessandra Mussolini meldet sich, die Enkelin des Duce (dafür bekannt, dass sie weder auf ihren Großvater noch auf B. etwas kommen lässt). Sie redet von „Verrat“ und nennt auch gleich Ross und Reiter: die „Sesselkleber“ um Alfano, die B. in der Mandatsfrage nur aus „Heuchelei“ unterstützten. Alfano sei ein „Piranha“, dessen Namen sie – in Anspielung auf Al Qaida und in Erinnerung an den schon früher abtrünnigen Fini – in „Al Fini“ verwandelt, für sie eine Spitzenleistung in der Kunst der tödlichen Beleidigung. Bondi springt wieder auf und schreit in ihre Richtung: „Brava!“.

Märtyrer und Gewohnheitsverbrecher

Nun legen sich die „Forzisten“ mit den Senatoren auf Lebenszeit an – Intellektuelle können sie sowieso nicht ab. Sandro Bondi entdeckt Renzo Piano, den weltbekannten Architekten, und fragt, ob es „moralisch opportun“ sei“, wenn Piano, „den ich bisher nur wenig an diesem Ort sah, an einer Abstimmung über den Mandatsentzug für den Präsidenten von Mitterechts teilnimmt“. Erschöpft von dieser gestelzten Frage setzt er sich. Und springt gleich wieder auf, um sie selbst mit „Vergogna!“ („Schande!“) zu beantworten. Senator Gasparri (Forza Italia) sekundiert: „Piano war noch nie in der Aula und erscheint jetzt nur zur Exekution. Als Architekt: Hut ab vor ihm. Als Politiker kann er uns nicht mal die Schuhe putzen“.

Es folgen Huldigungen: Ein Senator vergleicht B. mit Nelson Mandela und Timoschenko. Ein anderer prophezeit B.s baldige Wiederauferstehung: „Ihr denkt, Ihr habt einen Gegner weniger, aber jetzt verwandelt er sich in einen Märtyrer, einen Helden“.

Die „Grillina“ Taverna stört die Stimmung. Sie zählt alle Gerichtsverfahren auf, in die B. verwickelt oder derentwegen er schon verurteilt ist. Und resümiert „Senator Berlusconi, besser Herr Berlusconi, ist ein rückfälliger Gewohnheitsverbrecher“. Gebrüll von den Forza Italia-Bänken. Senator Cardiello: „Das reicht! Diese Grillini ertragen wir schon 7 Monate!“

Sandro Bondi: "Vergogna!"

Sandro Bondi: „Vergogna!“

Der tapfere Sandro

Ich habe eine Schwäche für meinen Vergogna-Sandro. Da Bondi angeblich Gedichte schreibt, war er von 2008 bis 2011 Berlusconis Kultusminister – es endete mit seinem Rücktritt und dem Zusammenbruch von halb Pompeji. Als der Liebe Gott seinen Charakter formte, gab er ihm zwar nicht übermäßig viel Intelligenz, aber eine Überdosis moralischer Empörung mit auf den Lebensweg. Sandro ist eigentlich immer empört. Mit einfacher Orientierung: Was B. tut, ist gut, wer gegen ihn ist, macht „Schande“, „Vergogna“. Bondi bestreitet ganze Fernseh-Diskussionen damit, dass er alle fünf Minuten seine Kontrahenten mit „Vergogna“ anbrüllt. Seitdem fürchte ich mich vor dem Jüngsten Gericht, weil ich weiß: Wenn ich zur Hölle fahre, wird Sandro als guter Katholik dabeistehen und mir sein „Vergogna“ nachschleudern.

An diesem Mittwoch schlug er sich tapfer. Schon als er den Sitzungssaal betrat, war er auf Krawall gebürstet und schrie dem erstbesten Alfano-Anhänger, der ihm in die Quere kam, seinen üblichen Trompetenstoß entgegen. Da es sich in diesem Fall um Formigoni handelte, einen Athleten, während Bondi eher ein dicklicher Pykniker ist, verhinderten die Saalordner mit Mühe die sofortige Schlägerei (die Bondi verloren hätte). Nachdem Bondi die Diskussion noch ein paar Mal mit „Vergogna“ gewürzt hatte, richtete er mit erstaunlicher Ruhe ein Schlusswort an die eigene Fraktion: „Liebe Freunde, das hat hier überhaupt keinen Zweck. Die haben ja doch schon entschieden“. Was für eine Entdeckung: Nach 20 Jahren Berlusconi und 4 Jahren wegen Steuerbetrugs hat die Mehrheit „schon entschieden“. Aber Bondi nötigt das so viel Verachtung ab, dass er dieses Mal sogar sein „Vergogna“ vergisst.

Hinterher erklärte Piano, der Architekt und Senator auf Lebenszeit: „Von Bondi und Gasparri angegriffen zu werden, ist sublim. Die reine Glückseligkeit“. Eine Bemerkung, die bei Bondi sicherlich nur einen Kommentar provoziert hätte. Den ich uns erspare.

3 Kommentare

  • D. Schnittke

    „Der Senatspräsident, der die Diskussion leitete, dankte höflich für jeden Beitrag, der Nächste bitte. Business as usual, zu wenig für diesen ungeheuerlichen Moment“

    Tja, kann man so sehen, vielleicht ist Ihnen ja dieser Beitrag

    http://www.youtube.com/watch?v=YfFGg9q9T1c

    der M5S-Senatorin Paola Taverna entgangen.

  • Hartwig Heine

    Ach Herr Schnittke,
    Ihr missionarischer Eifer nimmt Ihnen die Sicht. Die von Ihnen zitierte Bemerkung reißen Sie aus dem Zusammenhang, denn anschließend schreibe ich, dass es „lebendig“ wurde. Und übersehen dann auch, dass ich die sicherlich großartige Senatorin Taverna auch lobe, wenn auch teilweise nur indirekt – gespiegelt in der Bemerkung eines Forza Italia-Senators. Ebenso wie Sie übersehen, dass sich der ganze Artikel hauptsächlich mit B.s Truppe beschäftigt.

  • D. Schnittke

    Sie haben recht, ich bitte um Entschuldigung, ich hatte den entsprechenden Absatz tatsächlich überlesen – seit dem letzten Update ruckelt mein Browser furchtbar beim Scrollen, vielleicht lag es daran – oder am missionarischen Eifer. Oder auch daran, dass ich immer noch Tränen in den Augen hatte über Ihre Einschätzung (aus dem vorangehenden Artikel, ich habe beide hintereinander gelesen), dass knapp zwei Drittel Senatsmitglieder, die sich ans Gesetz halten (und nach der Abstimmung um die Justizministerin male ich mir lieber nicht aus, wie das bei einem geheimen Votum ausgesehen hätte), allein schon für einen Nicht-Bananenstaat-Beweis ausreichen (nein, wieder falsch, Sie sprachen von *verfaulten* Bananen, und so weit würde ich denn tatsächlich auch nicht gehen).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich akzeptiere die Datenschutzbedingungen.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.