Shitstorm und Hexenjagd
Ich ertrage Beppe Grillo schon deshalb nicht, weil er permanent schreit. Ich liebe Leute, die vielleicht keine begnadeten Redner sind, aber mir die Chance geben, beim Zuhören innezuhalten, abzuwägen, mir selbst ein Urteil zu bilden. Grillos Wortlawine lässt nur die Wahl zwischen Flucht oder lärmendem Beifall.
Die Kehrseite der rhetorischen Überwältigung ist die Einschüchterung. Jetzt sind Journalisten dran. Grillo begann mit Maria Novella Oppo, einer Journalistin der Unità.
Missliebige Journalisten …
Am 6. Dezember postete er: „Maria Novella Oppo rühmt sich, seit Ende 1973 für die Unità zu schreiben. Seitdem hatte sie nie eine andere Arbeit, seit 40 Jahren wird sie von den Beitragszahlern ausgehalten. Dank öffentlicher Subventionen für das Verlagswesen, die die 5-Sterne-Bewegung sofort abschaffen will.“
Na gut, könnte man sagen, es geht um Steuergelder und da ist jemand gegen die öffentliche Subventionierung von Zeitungen. Aber was hat das mit der Oppo zu tun? Grillos Antwort: „Bei jeder sich bietenden Gelegenheit diffamiert sie öffentlich die 5-Sterne-Bewegung. Sie schreibt z. B. über die gestrigen Proteste in der Abgeordnetenkammer: ‚Jeden Tag eine neue Hanswurstiade der Grillini (…) machen Radau (…) zeigen sich unfähig, etwas fürs italienische Volk zu tun (…) inszenieren Tumulte (…) sind Sklaven Berlusconis’. Vor ein paar Tagen: ‚Casaleggios Tüfteleien schaden Italien’. Und weiter: ‚Grillo will alles, vor allem das totale Chaos (…) Gewimmel kleiner Fans, die wundersamerweise Parlamentarier wurden und an der kurzen Leine gehalten werden, damit sie sich nicht zu viele Freiheiten herausnehmen’“.
Interessanter Zusammenhang: Weil ein Teil der Presse seine 5-Sterne-Bewegung angreift, will Grillo ihre staatliche Subventionierung abschaffen. Pressefreiheit à la Grillo.
… werden zum Abschuss freigegeben
Auch in Deutschland gibt es Politiker, die ein gestörtes Verhältnis zur freien Meinung der haben. Wenn zum Beispiel TV-Journalisten abgesägt werden, weil sie allzu kritisch über die CSU berichten. Grillo geht weiter. Im Blog veröffentlichte er ein Foto von der Oppo mit der Überschrift: „Diese Frau hat die 5-Sterne-Bewegung schwer beleidigt. Wisst Ihr, wer das ist? Ihr glaubt es nicht“. Zum Abschuss freigegeben. Was dann – von Grillo wohl eingeplant – an Kommentaren seiner Blogleser folgt, ist ein Shitstorm voller verbaler Gewalt und Sexismus, gegen den B.s Schlüpfrigkeiten nur ein laues Lüftchen sind.
Im PS fügte Grillo noch hinzu: „Für unsere neue Blog-Rubrik ‚Der Journalist des Tages’ teilt uns Artikel von ‚Journalisten’ im Stile Oppos mit“. Mit der impliziten Drohung: Wenn sie schlecht über uns schreiben, werden wir auch sie zum Abschuss freigeben, mit Foto und euren Kommentaren. Am nächsten Tag war prompt ein Journalist der „Repubblica“ dran (Francesco Merlo), der es gewagt hatte, Grillos Vorgehen gegen die Oppo zu kritisieren.
Nun auch gegen Abgeordnete
Eine Umgangsweise mit Gegnern, an der Grillo offenbar Geschmack findet. Das italienische Verfassungsgericht stellte kürzlich fest, die Mehrheitsprämie des geltenden Wahlgesetzes sei verfassungswidrig. Es löste jedoch nicht das mit diesem Gesetz gewählte Parlament auf, sondern forderte es – in gegenwärtiger Zusammensetzung (!) – auf, das Wahlgesetz zu ändern (wie übrigens auch das deutsche Verfassungsgericht, als es die alte Regelung der Überhangsmandate für verfassungswidrig erklärte). Grillo wusste es besser und erklärte, die 150 Abgeordneten, die durch die Mehrheitsprämie ins Parlament gekommen waren, seien „Abusivi“ (Widerrechtliche). Auch hier wieder mit Namen und Fotos, mit der expliziten Aufforderung: „Am Eingang zum Montecitorio festhalten“ (Fettdruck Grillo, Montecitorio ist der italienische Parlamentssitz, HH). Ein Schritt weiter zur Handgreiflichkeit.
Noch vor wenigen Wochen weigerte sich Grillo, genau dieses Wahlgesetz zu ändern – mit der Begründung, er wolle erst selbst noch von dessen Mehrheitsprämie profitieren. Kommen ihre Profiteure jedoch von einer anderen Partei, dann „festhalten“ und an den Pranger mit ihnen. Im Punkt Heuchelei braucht sich Grillo vor niemandem zu verstecken.
Kontinuitäten
Mit dem Wort „Faschist“ betrieb die Linke in der Vergangenheit Schindluder, es wurde zum leeren Schimpfwort. Aber ein paar Kontinuitäten zwischen dem italienischen Faschismus und dem heutigen „Grillismo“ gibt es schon: Polemik gegen das „Parteiensystem“; Ablehnung der kritischen Presse; Kult des „Leaders“, Spiel mit der Xenophobie. Und jetzt auch noch Anläufe zum „Squadrismo“, zum öffentlichen Identifizieren und Verfolgen missliebiger Gegner. „X hat uns schwer beleidigt“, mit Namen und Foto. Nicht um sie liquidieren, sondern um sie im Shitstorm zur öffentlichen Unperson zu machen. Und mal probeweise „festzuhalten“.
Obwohl es am 27. November im Senat eine Sprecherin Grillos gab, die scheinbar gnadenlos mit B. abrechnete, vervielfältigen sich die Berührungspunkte. Nun auch beim „Squadrismo“: B.s Zeitung „Giornale“ übernahm Grillos Aktion gegen die „Widerrechtlichen“, mit 150 Fotos und Steckbriefen. Gemeinsames Ziel: Einschüchterung.