Marsch auf Rom
Für diesen Mittwoch war in Rom eine Demonstration der „Forconi“ angesetzt, vor der ganz Italien zitterte. Es war ein bunter und teilweise auch wilder Haufen, der sich auf den Weg gemacht hatte, von dem offenbar aber nur ein paar Tausend ihr Ziel erreichten. Im letzten Moment hatten sich die „Forconi“ gespalten, ein Teil von ihnen schrak vor den nicht kontrollierbaren Konsequenzen dieser Demonstration und ihrer Instrumentalisierung zurück. Was sich schließlich auf der Piazza del Popolo versammelte, waren nur 4000 Leute.
Die Bewegung der „Forconi“
Noch vor wenigen Tagen schien sich ein gewaltiger Sturm zusammenzubrauen. Es begann Ende 2011 in Sizilien, wo sich Bauern, Fischer und Lastwagenfahrer zusammenrotteten, um gegen die hohen Benzinpreise und die Steuerlast zu protestieren. Die Bauern nannten sich „Forconi“, Mistgabeln. Als die Lastwagenfahrer dazustießen, hatte die Bewegung Durchschlagskraft, denn sie können an jedem Ort Italiens jeden Verkehr zum Erliegen bringen.
Die Protestbewegung hat inzwischen ganz Italien erfasst, auch Studenten, Unternehmer, Händler und Arbeitslose Sie radikalisierte sich, denn sie fordert nicht nur Steuersenkungen und die Schließung von „Equitalia“ (des Unternehmens, das die Steuern eintreibt), sondern auch den Rücktritt der Regierung und den Austritt Italiens aus dem Euro. Bekennende Faschisten marschieren mit, in Rom z. B. die Stoßtrupps der Kaderschmiede Casapound, die sich bei den Demonstrationen wie Schaufensterpuppen verkleiden, mit schwarzen Windjacken und Kapuzen, Stricken um den Hals und der Tricolore als Gesichtstuch. Und auch die Fan-Kurven sind dabei, die natürlichen Rekrutierungsfelder der Faschisten, die Fensterscheiben einwerfen und die Konfrontation mit der Polizei suchen.
Die Bewegung hat sich wie ein Ölfleck über ganz Italien ausgebreitet. In Neapel kam es in den letzten Tagen zu Tumulten vor dem Sitz von Equitalia, in Mailand vor dem Regionalparlament. Und Turin verwandelte sie einen Tag lang in eine Geisterstadt. Mit Episoden, bei denen man nicht so recht weiß, ob sie erste Auflösungserscheinungen der Staatsgewalt sind: In Turin gab es einen Augenblick, in dem sich die Polizisten demonstrativ die Helme abnahmen, was die Auseinandersetzung entschärfte, aber von einem Teil der Öffentlichkeit als Solidarisierung mit den Demonstranten interpretiert wurde.
Die Politik verhält sich wie üblich: Die Vertreter von Mitterechts (Alfano) verurteilen die Gewalt, die von Mittelinks schreien Ja-Aber und ziehen die Köpfe ein, Grillo wittert Morgenluft und fordert die Polizei auf, sich mit den Demonstranten zu solidarisieren. Und der Schlaumeier Berlusconi versucht sich einfach dranzuhängen.
Die sozialen Ursachen
Aber bei aller Instrumentalisierung darf man nicht die sozialen Ursachen dieser Bewegung übersehen. Die Bauern, von denen die Proteste ausgingen, kämpfen wirklich um ihre Existenz. Einerseits gerieten sie in den letzten Jahren in eine mörderische Kostenklemme: zwischen explodierenden Energiepreisen – für Maschinen, Traktoren, Heizung ihrer Gewächshäuser – und sinkenden Marktpreisen für ihre Produkte, die oft nicht einmal mehr die Produktionskosten abdecken. Immer mehr Betriebe gerieten in die Schuldenfalle. Andererseits führte die Finanzkrise zu einer brutalen Kreditklemme: Der Bankkredit, das natürliche Schmiermittel des (kapitalistischen) Wirtschaftslebens, steht plötzlich nicht mehr zur Verfügung. Eine (doppelte) Klemme, der in den letzten Jahren unzählige kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe zum Opfer fielen. Oft steht die Mafia bereit, um die frei werdenden Flächen zu übernehmen.
Was die Revolte der „Mistgabeln“ zum Flächenbrand machen könnte, ist die wirtschaftliche Situation Italiens insgesamt. Zwar behaupten Regierungschef Letta und Wirtschaftsminister Saccomanni immer wieder, das berühmte „Licht am Ende des Tunnels“ sei in Sicht. Wozu der Chef des italienischen Arbeitgeberverbandes, Squinzi, und die Gewerkschaftsführer nur gemeinsam den Kopf schütteln. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Der Abfall des BSP wird nur noch von Griechenland übertroffen, die Banca d’Italia korrigierte die für das Jahr 2013 zu erwartende Minusquote noch einmal nach unten, auf 1,9 %. Die Arbeitslosigkeit steigt immer weiter und wird 2014 voraussichtlich bei 13 % liegen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 41,2 % (europäischer Durchschnitt: 23,7 %). Das Durchschnittseinkommen, das von 2010 bis 2012 von 1328 auf 1210 € sank, sinkt weiter. Das Nord-Süd-Gefälle vertieft sich, es gibt inzwischen offiziell 9,5 Millionen „Arme“. Und 29,9 % aller in Italien Lebenden sind „exklusionsgefährdet“.
Die Legende vom „Gesundschrumpfen“
Wer meint, hier handele es sich um harte, aber unausweichliche Begleiterscheinungen des „Gesundschrumpfens“, täuscht sich: Da die Regierung von einer Koalition getragen wird, deren „rechter“ Teil nur dann mitmacht, wenn auch die Steuern für die Mittel- und Oberschicht gesenkt werden, werden die wenigen verfügbaren Ressourcen nicht in ausreichendem Maße in Wachstumsimpulse für die Wirtschaft (z.B. Investitionshilfen und Steuersenkungen für die Produktion, Anreize für die Einstellung von Jugendlichen), in Verbesserungen der Infrastruktur oder in Investitionen in die Bildung umgewandelt, sondern müssen stattdessen vor allem in die ökonomisch unsinnige Absenkung der Wohnungssteuer gesteckt werden.
Italien wird immer mehr zur Probe aufs Exempel für die Austerity-Politik. Die moralische Selbstzufriedenheit, mit der die europäischen und deutschen Instanzen den südeuropäischen Ländern ihre Therapie aufzwingen, ist unerträglich. Denn Italien gerät dadurch in verschiedene Teufelskreise. Die Wirtschaft gesundet nicht, stattdessen werden ihre produktiven Grundlagen zerstört. Die politischen Kräfte erstarken, die Steuersenkungen für alle versprechen, zu Lasten wirklicher Zukunftsinvestitionen. Und Protestbewegungen (wie die „Forconi“) bekommen Aufwind, die nur eines wollen: raus aus dem Euro, raus aus Europa.
Die für Mittwoch geplante Demonstration in Rom wurde zu einem Flop. Aber wer glaubt, damit sei die Bewegung der „Forconi“ am Ende, könnte sich täuschen. Dafür ist die Wut, die sich angesammelt hat und sich in den Wochen zuvor überall in Italien zeigte, zu groß.