Feuerland

„Die größte Massenvergiftung in einem westlichen Land“: so definiert der Fotoreporter Angelo Ferrillo, was seit 25 Jahren im süditalienischen Gebiet zwischen Caserta und Neapel geschieht. „Terra dei fuochi“ (Feuerland) oder auch „Dreieck des Todes“ heißt die Gegend, weil dort hundertausende Tonnen hochgiftigen Mülls illegal entsorgt wurden und immer noch werden: durch Verbuddeln und Verbrennung.

Es ist die Gegend, in der die Camorra (die organisierte Kriminalität in Kampanien) herrscht, eindrücklich beschrieben von Roberto Saviano in seinem Buch „Gomorra“.

An dem Geschäft mit dem Giftmüll verdient die Camorra seit Jahrzehnten. Dank der Verquickung zwischen ihr, korrupten Politikern und Verwaltungsbeamten und vielen Unternehmen aus Nord- und Mittelitalien, die sich auf dieser Weise ihrer toxischen Abfälle billig entledigen. Auch ausländische – u.a. deutsche – Konzerne sollen ihren Giftmüll über die Camorra entsorgt haben, wie der geständige Camorra-Boss Carmine Schiavone kürzlich im Fernsehen erklärte („Giftschlamm, Farbmittel, Reste von Asbest, Blei, Cadmium, alles Mögliche“).

Trotz dutzender Strafverfahren und hunderter Verhaftungen blüht das Geschäft weiter. „Vergesst Drogen und Prostitution! Das, was der Camorra wirklich Geld bringt, ist ‚Monnezza‘ !“(Müll im neapolitanischen Dialekt), so erklärten verhaftete Camorristi den Ermittlungsbeamten.

Das mörderische Geschäft mit der „Monnezza“

Mitten im Feuerland

Mitten im Feuerland

„In Feuerland brennt es immer: die Brände dienen dazu, die Spuren illegaler Entsorgung zu verwischen und gleichzeitig für neue Anlieferungen Platz zu machen. Hier wird jede Nacht nach erprobtem Verfahren erst hoch entzündliches Material verbrannt – Reifen, Lederreste, Magnetbänder -, das dann mit Giftmüll bedeckt wird – Gießereiabfälle, Lackfarben, Klebstoffe, Benzin -, und im Nu entfacht sich das Feuer“ (Dossier „Terra dei fuochi“ der Umweltorganisation „Legambiente“). Doch die Camorra beschränkt sich nicht allein auf illegale Transporte und wilde Mülldeponien, sie ist an den halbstaatlichen Entsorgungsunternehmen beteiligt und steuert so auch das „legale“ Müllgeschäft mit.

Die Folgen für Umwelt und Gesundheit sind verheerend: Die Todesfälle wegen bösartiger Tumoren sind im Feuerland die höchsten Italiens. In den Gemeinden, in denen sich die meisten vergifteten Areale befinden (u.a. Acerra, Aversa, Castelvolturno, Giugliano, Nola, Marcianise und Villaricca), liegt die Krebsrate um 19 % (bei Frauen um bis zu 29 %) höher als im italienischen Durchschnitt. Besonders auffällig hoch sind Missbildungen bei Neugeborenen. Doch differenzierte Daten, die den Zusammenhang zwischen toxischen Abfällen und Erkrankungen wissenschaftlich belegen, gibt es nicht. Entsprechende Untersuchungen fehlen, ebenso ein Krebsregister.

Immerhin bieten die empirischen Daten soviel Anhaltspunkte, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss die Giftmüllentsorgung als „ein Phänomen von historischer Dimension bezeichnet, vergleichbar nur mit der Verbreitung der Pest im 17. Jahrhundert“.

Bürger als Opfer und Täter

Die Bürger der betroffenen Kommunen sind in erster Linie Opfer, einige jedoch – wie überall, wo die Mafia herrscht – auch Täter. Denn auch „unbescholtene“ Landwirte und Grundbesitzer sind am mörderischen Geschäft beteiligt: Sie stellen der Camorra ihre Böden zur Verfügung und kassieren für jede Ladung ein paar Tausend Euro. Die gleichen Böden, auf denen sie ihre landwirtschaftlichen Produkte anbauen. Einige verdienen ihren Lebensunterhalt direkt im Dienst der Camorra, andere wissen davon und schweigen, weil sie Angst haben.

Die meisten aber sind wütend und verzweifelt, sie organisieren sich in Bürgerinitiativen, gehen auf die Straße und versuchen, die Menschen gegen die Vernichtung ihres Natur- und Lebensraums zu mobilisieren. Mutige Journalisten und Blogger unterstützen sie, gemeinsam mit Umweltorganisationen, integeren örtlichen Politikern – die es auch gibt! -, Kirchenvertretern und Antimafia-Staatsanwälten.

Der Widerstand wächst

Neben den Folgen für Natur und Gesundheit hat das Geschäft mit „Monnezza“ auch katastrophale Auswirkungen auf die kampanische Wirtschaft. Weil inzwischen jeder weiß, dass dort ein Teil der Agrarflächen vergiftet ist, machen die Konsumenten ganz Italiens (und des Auslands) einen großen Bogen um kampanische Produkte. Wer möchte schon riskieren, dass auf seinem Teller Mozzarella, Tomaten und Zucchini landen, die mit Dioxin, Benzopyren oder gar Uran kontaminiert sind? Damit werden auch jene Landwirte in den Ruin getrieben, die auf gesunden Böden hochwertige Lebensmittel produzieren. Sogar ökologische Agrarbetriebe, die strengen Standards entsprechen und regelmäßig kontrolliert werden, sind betroffen. Jetzt haben sich einige dieser Landwirte zusammengeschlossen und versuchen, durch direkten Zugang zum Verbraucher für die Unbedenklichkeit und die Qualität ihrer Produkte zu werben: Sie weisen deren genaue regionale Herkunft nach, geben Auskunft über Produktionsweise und Grenzwerte, legen Zertifikate und Garantieurkunden aus. Konkurrenzfähig auf dem nationalen und internationalem Markt werden sie dadurch trotzdem nicht, es ist ein Kampf Davids gegen Goliath.

Eine der fruchtbarsten Gegenden Italiens wird durch das Krebsgeschwür organisierter Kriminalität und Korruption in eine giftige Kloake verwandelt, welche die Natur, die Menschen und ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage zerstört. Ob Italien aus der Rezession herauskommt, ob seine Wirtschaftskraft und die Potenziale seiner Menschen sich neu entfalten können, entscheidet sich auch im kampanischen Feuerland. Dafür wäre eine radikale ökologische, kulturelle und politische Erneuerung nötig, für die zuallererst die Bürgerinnen und Bürger Italiens gewonnen werden müssten. Ein schwieriges Unterfangen. Aktuelle Umfragen bestätigen, dass sich immer noch ca. ein Drittel der italienischen Wähler für die Partei eines Mannes entscheiden würde, der – von etlichen laufenden Strafverfahren abgesehen – wegen Korruption rechtskräftig verurteilt ist und dem deswegen das Abgeordnetenmandat entzogen wurde.