Direkte Demokratie per Handyklick?
Eigentlich hätte ich mich freuen können: In einem von Grillo und Casaleggio eilig ausgerufenen „Online-Referendum“ über die Abschaffung der Straftat der illegalen Einwanderung sprach sich die Mehrheit für die Abschaffung aus. Am13. Januar hatte Grillo das „Referendum“ gestartet und ihm gleich enge Grenzen gesetzt: die „zertifizierten“ Anhänger durften nur am gleichen Tag, von 10 bis 17 Uhr, ihr Votum abgeben. Viel zu kurzfristig, meinten viele. Einige bemängelten zudem, das sei doch genau die Zeit, in der normale Sterbliche in der Regel arbeiten müssen. Andere wiederum meinten, ein so komplexes Thema eigne sich kaum für ein „Hoppla hopp“-Referendum im Eilverfahren.
Zunächst zum Ergebnis: in der vorgegebenen Zeit zwischen 10 – 17 Uhr stimmten – von den insgesamt 80.383 „Zertifizierten“ – 24.932 ab, davon 15.839 für die Abschaffung und 9.093 für die Beibehaltung der Straftat Illegale Einwanderung. Das Ergebnis – so Grillo – sei „für das Abstimmungsverhalten der Fraktion bindend“. Ein „imperatives Mandat“, das die italienische Verfassung nicht vorsieht.
Ergebnis desavouiert Grillo und Casaleggio
Trotzdem ist das Ergebnis Hinsicht interessant. Einerseits, weil es die schmale Basis der von Grillo und Casaleggio beschworenen „direkten Demokratie“ offenbart, die über das Netz verwirklicht werden soll (zum Vergleich: An der Wahl des PD-Generalsekretärs beteiligten sich Anfang Dezember fast zwei Millionen). Andererseits, weil das Ergebnis Grillo und Casaleggio desavouiert: Diese hatten vor ein paar Monaten heftig zwei ihrer eigenen Senatoren attackiert, die einen Änderungsantrag zur Abschaffung der Straftat „illegale Einwanderung“ eingebracht hatten. Ein solcher Vorstoß sei durch das Programm der 5-Sterne-Bewegung nicht legitimiert. Grillo machte mit folgendem „Argument“ auch den Grund für seine Ablehnung deutlich: „Hätten wir so etwas während des Wahlkampfes gefordert, wäre unser Ergebnis auf dem Niveau von telefonischen Vorwahlnummern geblieben“.
Interessant ist das Ergebnis außerdem, weil es mal wieder die „zwei Seelen“ aufzeigt, die in Grillos Bewegung ihre Heimat fanden: enttäuschte „Linke“, enttäuschte „Rechte“. Grillo und Casaleggio müssen versuchen, beide Seelen zu streicheln und bei Laune zu halten. Weshalb sie sich partout auch weiterhin jeglichem politischen Bündnis – ob mit Links oder mit Rechts – verweigern müssen. Weil sie andernfalls zu viele Wählerstimmen verlieren würden – „links“ oder „rechts“.
Diesmal haben sich die „linken“ Anhänger durchgesetzt. Was die Senatoren, die von Grillo wegen ihrer Gesetzesinitiative zur Abschaffung der Straftat „illegale Einwanderung“ gemaßregelt wurden, natürlich diebisch freut. Abgesehen vom Ergebnis freut mich hingegen die ganze Angelegenheit nicht. Weil dieses überfallartig proklamierte „Blitz-Referendum“ eine politische Beteiligung vorgaukelt, über deren Spiegelregeln allein die beiden Obergurus bestimmen. Und weil ich es überzogen finde, einen raschen Klick per Handy (oder PC) von ein paar tausend Leuten („dafür“, „dagegen“) als praktizierte direkte Demokratie zu verkaufen.
Kritik aus den eigenen ReihenZumal Grillo und Casaleggio nicht nur allein über die Spiegelregeln ihrer selbsternannten Online-Demokratie, sondern auch über ihre Inhalte entscheiden. So hat Grillo, kurz nachdem Renzi den von ihm mit Berlusconi ausgehandelten Vorschlag für ein neues Wahlgesetz verkündete, auch zu diesem Thema eine Online-Abstimmung gestartet. Wieder ohne Vorankündigung, wieder für die Dauer von nur einigen Stunden. Die Frage lautete diesmal : „Seid Ihr für ein Verhältniswahlrecht oder für ein Mehrheitswahlrecht?“ (Ergebnis: 32.847 stimmten ab, davon 20.450 für ein Verhältniswahlrecht, 12.397 für ein Mehrheitswahlrecht).
„Warum aber“ – kritisiert der M5S-Senator Orellana – „machen wir nicht auch ein Referendum über die Frage, ob bzw. mit wem die M5S ein politisches Bündnis eingehen sollte?“ Wenn das Netz doch so souverän ist? Eine gute Frage. Darauf antworten Grillo und Casaleggio nicht einmal. Ein solches Referendum lassen sie eben nicht zu. Zu riskant. Würde doch ein unerwünschtes Ergebnis die Strategie gefährden, auf der ihre Macht beruht.
Grundsätzliche Kritik kommt auch von anderen kritischen M5S-Abgeordneten und Senatoren. „Die Sache mit der Straftat Illegale Einwanderung“, so Francesco Campanella, „wurde über den Blog auf fragwürdige Weise behandelt. So darf mit direkter Demokratie nicht umgegangen werden. Das Leben der Leute ist kein Videospiel und auch kein lockerer Spruch, den man über soziale Netzwerke teilt. Ein so genutzter Blog verwandelt sich zur Waffe in den Händen derer, die meinen, das Verhalten von über 150 Abgeordneten steuern zu können, mit einer Organisationsstrategie wie in einem Online-Unternehmen“. Lorenzo Battisti: „Ich fordere vom Urheber dieser neuerlichen externen Beeinflussung (d.h. von Grillo, M.H.), mit den Fraktionen neue Verfahrensweisen zu entwickeln. Oder die Nutzung des Online-Informationssystems der 5-Sterne-Bewegung einer Gruppe anzuvertrauen, die mehr demokratische Beteiligung zulässt“.
Dass solche Appelle bei Grillo und Casaleggio etwas bewirken, ist illusorisch. Und wer genauer erfahren möchte, welche verqueren Visionen und „Demokratievorstellungen“ im Kopf von Grillos Ideengeber Casaleggio herumspuken, kann sich gerne auf Youtube dessen Video „Gaia“ (in englischer Sprache) über „die neue Weltordnung“ anschauen. „Buonanotte al secchio!“ kann ich dazu nur in meiner Muttersprache sagen. Oder für den ausschließlich deutschsprachigen Leser, weniger farbig: „Gute Nacht, Marie!“.