Renzis Jobs Act
Die Skeptiker hielten Matteo Renzi bisher in erster Linie für einen Schaumschläger. Jetzt müssen sie zugeben, dass sich seit seinem Amtsantritt als PD-Generalsekretär die politische Landschaft verändert hat. Bisher war man es gewohnt, dass ein solcher Generalsekretär seine wichtigste Aufgabe darin sah, der Regierung die Hände frei zu halten, wenn auch sie von einem PD-Mann geführt wird. Was für eine Partei zur Falle wird, wenn sie gezwungen ist, mit dem politischen Gegner zu koalieren und damit Entscheidungen mitzuverantworten, die nicht ihrem Wunsch-Profil entsprechen. Stattdessen hat Renzi begonnen, die Regierung Letta vor sich herzutreiben – um sich selbst zu profilieren und Letta die Schau zu stehlen, sagen seine Kritiker, um der PD neue „Beinfreiheit“ zu geben, sagen seine Anhänger, um für Italiens Probleme endlich Lösungen zu finden, sagt er selbst.
Am 8. Januar geschahen in Rom zwei Dinge gleichzeitig. Das eine war die Veröffentlichung der neuesten Wirtschaftsdaten, die zum Jahresende noch einmal Italiens Krisenzustand verdeutlichen: im Vergleich zum Vorjahr Verlust weiterer 450 000 Arbeitsplätze, Anstieg der Arbeitslosigkeit um weitere 1,4 %, die Jugendarbeitslosigkeit erreicht die Rekordmarke von 41,6 %. Das andere war die Online-Veröffentlichung von Renzis neuer Agenda. Zu der auch ein Beschäftigungsplan gehört, „Jobs Act“ genannt, in Anlehnung an das amerikanische Bundesgesetz „Jobs Act“, das Obama im April 2012 durchbrachte (mit dem Renzis Plan inhaltlich nicht viel zu tun hat).
Der Plan, der Arbeit schaffen soll
Um Beschäftigung zu schaffen, will Renzi das „System vereinfachen, die Investitionsbereitschaft unserer Unternehmer fördern und die Attraktivität ausländischer Investitionen erhöhen“. Und zwar in 8 Monaten, mit folgenden Maßnahmen:
• Senkung der Energiekosten für die Unternehmen
• Steuersenkungen im Produktionssektor, Steuererhöhungen im Finanzsektor, um die Unternehmenssteuern um 10 % zu senken
• Zweckbindung der durch die Spending Review (Kürzung der öffentlichen Ausgaben), frei werdenden Mittel, um die Steuern für Einkommen aus Arbeit zu senken
• Digitalisierung des Rechnungswesens
• Liberalisierungen gegen den Korporativismus (die Unternehmen müssen sich nicht mehr in Handelskammern einschreiben)
• Mehr Wettbewerb im Führungsbereich des Öffentlichen Dienstes (Vergabe von Leitungspositionen nur noch auf Zeit)
• Zeitliche Straffung (Begrenzung) der Verwaltungsverfahren
• Transparenz der Einnahmen und Ausgaben in der öffentlichen Verwaltung, bei den Parteien und Gewerkschaften
• Vereinfachung der Normen für den Arbeitsbereich
• Reduktion der (bisher über 40) Beschäftigungstypen. Das Ziel ist ein möglichst einheitlicher unbefristeter Arbeitsvertrag (mit zunehmender Beschäftigungsdauer zunehmender Kündigungsschutz)
• Finanzielle Unterstützung bei Arbeitsplatzverlust, gebunden an die Bereitschaft, an obligatorischen Umschulungsmaßnahmen teilzunehmen und alternative Arbeitsangeboten anzunehmen
• Koordinierung von Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenunterstützung und beruflicher Weiterbildung
• Gesetz über unternehmensinterne Gewerkschaftsvertretungen.
Außerdem sollen zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung sieben „Industriepläne“ aufgestellt werden, von denen es bisher allerdings nur die Hülle gibt.
Keine Agenda des Neoliberalismus
Diejenigen, die in Renzi einen auf Deregulierung setzenden Neoliberalen sahen, reiben sich die Augen. Das tun auch die italienischen Gewerkschaften. Sie befürchteten Schlimmeres, z. B. die weitere Aufweichung des umstrittenen Art. 18 (Beschäftigtenstatut), der die Unternehmer bei Entlassungen behindert. Stattdessen will Renzi die im Arbeitsbereich geltenden Normen „vereinfachen“ (wobei der Teufel im Detail stecken könnte), die unternehmensinterne Präsenz der Gewerkschaften gesetzlich stärken und etwas gegen das Wuchern prekärer Arbeitsverhältnisse tun. Die Entmachtung der Handelskammern und die Abschaffung der Erbhöfe auf der Führungsebene des Öffentlichen Dienstes kann man ihm kaum vorwerfen. Ebenso wenig Maßnahmen zur Senkung der industriellen Produktionskosten (Energie, Steuern). Trotz anfänglicher Skepsis scheinen die großen Gewerkschaftsverbände und sogar die „linke“ FIOM mit einem solchen Programm leben zu können.Wie viel davon bei der Haushaltslage und den gegenwärtigen Sparauflagen realisierbar ist, bleibt allerdings offen. Denn Teile des Programms würden den Haushalt erst einmal weiter belasten – Senkung der Energiekosten, steuerliche Entlastungen, Arbeitslosengeld. Fraglich ist ebenfalls, inwieweit es mit der gegenwärtigen Regierung durchsetzbar wäre. Alfano, der Chef des „Nuovo Centrodestra“ und Koalitionspartners der PD, hat inzwischen einen eigenen „Beschäftigungsplan“ angekündigt. Seine Hauptpunkte sind die klassischen Rezepte der Rechten: Deregulierung, Abschaffung des Art. 18. Dass er gegen Renzis Jobs Act ist, bedeutet für diesen fast einen Ritterschlag. Es bedeutet aber auch, dass zumindest ein Teil von ihm vorerst nur Zukunftsmusik ist – trotz der 8-Monate-Frist, die Renzi seiner Verwirklichung setzt. Aber die PD übernimmt die Offensive, mit geschärftem Profil.
Renzis Selbsttor
Man könnte Renzi dafür Beifall klatschen, wenn ihm nicht sein eigener Charakter in die Quere käme: Durch eine überflüssige höhnische Bemerkung trieb er den bisherigen stellvertretenden Wirtschaftsminister Fassina zum Rücktritt. Fassina gehört zum „linken“ Flügel der PD, macht aus seiner Skepsis gegenüber Renzi keinen Hehl und unterstützte bei den Vorwahlen zum PD-Generalsekretär dessen Gegenkandidaten Cuperlo. Dass Renzi ihn jetzt öffentlich demütigte, spricht nicht für Souveränität – und Renzis Fähigkeit, die verschiedenen Flügel der PD zusammenzubringen.