SPD unterwirft sich Merkels Europakurs
Es war einmal eine deutsche Sozialdemokratie, von der man noch einen neuen Wind in der Europapolitik erhoffen konnte. Einen Wind des Wechsels, um die tiefer werdende Spaltung zwischen Nord- und Südeuropa zu überwinden und Ländern wie Griechenland, Italien, Spanien, Portugal eine andere Perspektive zu geben, als sich kaputt zu sparen. Über gemeinsame Haftung wurde nachgedacht, über Eurobonds, über Tilgungsfonds für Altschulden, um Südeuropa aus dem Teufelskreis herauszuholen, in den der bisher gefahrene Sparkurs führt: noch tiefere Rezession, noch mehr Verschuldung. Da schien eine gemeinsame Achse zwischen deutscher SPD, italienischer PD und französischen Sozialisten möglich, um der Doktrin entgegenzutreten, zuerst müsse jeder seine „Hausaufgaben“ selbst erledigen.
Noch im Wahlkampf, als Steinbrück einen „Marshallplan“ für die Krisenländer forderte und Martin Schulz das notwendige Ende der bisherigen Austerity-Politik beschwor, meinte man etwas von Aufbruch zu spüren.
Die Handschrift der CDU
Aber Gründe zur Skepsis gibt es nicht erst seit heute. Immer wenn es darauf ankam, hatte die SPD im Bundestag Merkels Europa-Kurs mitgetragen. Während des Wahlkampfs war aus der SPD-Zentrale zu hören, vom „Looser-Thema“ Europa solle man besser die Finger lassen. Schon prophylaktisch ging man vor einer Öffentlichkeit in die Knie, von der man meint, dass sie europapolitisch noch in der Steinzeit lebt. Da war Steinbrücks „Marshall-Plan“ wohl nur ein Ausrutscher.
Was beim Koalitionsvertrag mit der CDU herauskam, bestätigt die Skepsis. Gegen eine Kehrtwende in der deutschen Europapolitik errichtet er vor allem Barrieren – nun auch mit Unterschrift der SPD. Hier werden Türen nur verschlossen: „Das Prinzip, dass jeder Mitgliedsstaat für seine Verbindlichkeiten selbst haftet, muss erhalten werden. Jede Form der Vergemeinschaftung von Staatsschulden würde die notwendige Ausrichtung der nationalen Politiken in jedem einzelnen Mitgliedsstaat gefährden. Nationale Budgetverantwortung und supranationale, gemeinsame Haftung sind unvereinbar“. Zwar liest man dort auch den schönen Satz, „vor allem mit Wettbewerbsfähigkeit, robustem strukturellem Wirtschaftswachstum und Zukunftsinvestitionen gelingt es, neue Arbeitsplätze dauerhaft zu schaffen und den Wohlstand zu sichern“. Aber für die europäischen Krisenländer, an die sich dies „insbesondere“ richtet, muss es wie Hohn klingen. Denn gleichzeitig wird ihnen mitten in der Rezession weiterhin einen Sparkurs vorgeschrieben, der ihnen für eine entsprechende Wirtschaftspolitik jeden Spielraum nimmt.
Man könnte sich damit trösten, dass ein Koalitionsvertrag nur aus Worten besteht, aber die praktische Politik von den Menschen abhängt, die ihn umsetzen. Der neue Außenminister Steinmeier gilt als ein Mann, der sich auch neuen Gedanken zu öffnen vermag. Aber schon aus Gründen der Kompetenzverteilung wird er in der deutschen Europapolitik wenig zu sagen haben. Das bleibt Chefsache, Merkelsache. Die Bedeutung des Abschnitts Europa im Koalitionsvertrag liegt somit vor allem darin, Merkels Kurs vorsorglich gegen jede Kritik aus der eigenen Koalition abzusichern.
Düstere Aussichten
Düstere Aussichten für Europa und insbesondere für Italien. Wenn es nach der deutschen Koalition geht, wird die bisherige Politik fortgesetzt: für Südeuropa eine „Rosskur“, von der längst klar ist, dass sie ihren Zweck verfehlt, weil sie weder die Verschuldung verringert noch die Ökonomie gesunden lässt, sondern in erster Linie ihre produktiven Grundlagen weiter zerstört. Mit innenpolitischen Kollateralschäden, die den Teufelskreis weiter verstärken. Hier erzwingt sie die Koalition mit einer rechten Steuersenkungspartei, die eine Konzentration der noch verfügbaren Ressourcen auf wachstumsfördernde Maßnahmen verhindert. Die Jugendarbeitslosigkeit nähert sich der 50 %-Grenze, die Qualifiziertesten gehen ins Ausland (Deutschland empfängt sie mit offenen Armen). Im Inland wächst der Zulauf zu populistischen Protestbewegungen. Europa droht schon deshalb zu zerfallen, weil es im europäischen Süden immer mehr zum Synonym für Verarmung, soziale Ungerechtigkeit, nationalen Egoismus und Fremdsteuerung wird.
Bitterer Lernprozess
Langsam wird man sich auch in Italien der europapolitischen Bedeutung des deutschen Koalitionsvertrages bewusst. Vom reichen Deutschland ist – vorerst – keine Solidarität zu erhoffen. Weder von der CDU (das wusste man) noch von der SPD (das wusste man nicht). Gad Lerner, einer der klügsten und europafreundlichsten Journalisten Italiens, der auch ein Kenner der deutschen Politszene ist, fasst es in der „Repubblica“ vom 4. Januar so zusammen: „Die SPD überlässt also die gesamte Europapolitik dem Merkelschen Rigorismus. Deutschland bleibt gegenüber den ärmsten Partnern der EU unflexibel. Nicht einmal Andrea Nahles, die Gallionsfigur des linken Parteiflügels, hat sich diesem strategischen Rückzug widersetzt, der schon vor den September-Wahlen stattfand, als die Merkel unschlagbar schien. Im Vergleich zu der Härte, mit der einst Peer Steinbrück … den Egoismus und die Rücksichtslosigkeit der Merkelschen Europapolitik geißelte, geht es hier nicht um ein kurzfristiges Manöver, sondern um eine Kapitulation.“Für denjenigen Teil der italienischen Linken, der bisher noch auf ein solidarisches Europa hoffte, ist es ein bitterer Lernprozess. Vielleicht liegt darin aber auch eine Chance. Denn nun müssen sich die südeuropäischen Länder, mit Italien an der Spitze, selbst Gehör verschaffen. Letztlich kann es sich die Hegemonialmacht Deutschland auch aus eigenem Interesse nicht leisten, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen.