Lettas Sturz
Auf der Suche nach einer Begründung
Es fällt nicht leicht, für diesen Wechsel einen sachlichen Grund zu finden. Renzi tritt zwar mit eigenem Programm an, aber auch er wird den Konsens seiner Koalitionspartner brauchen. Es sind die gleichen, die auch Letta hatte: außer der PD das Zentrum und Alfanos „Nuovo Centro-Destra“ (NCD). Zwar kündigte Renzi großspurig an, auch Vendolas SEL, die im Senat ein paar Abgeordnete hat, in die Koalition aufnehmen zu wollen, um den Mittelinks-Anteil zu stärken. Aber Vendola hat bereits abgewinkt.
Ein Kritikpunkt Renzis an der Regierung Letta war die „Langsamkeit“ ihrer Reformpolitik. Tatsächlich hat Renzi durch seine Verhandlungen über ein neues Wahlgesetz einiges in Bewegung gebracht. Aber er zahlte dafür einen Preis: erhebliche Zugeständnisse an B., der dadurch wieder ins politische Spiel kam. Für die künftige Regierbarkeit Italiens ist die Abschaffung des bisherigen Zweikammersystems entscheidend. Ob sich B. in diesem Punkt an seine Zusagen hält, muss sich erst noch erweisen. Dagegen hatte Letta etwas auf seiner politischen Haben-Seite, was ihm noch vor wenigen Monaten niemand zugetraut hätte: die Spaltung des Berlusconi-Lagers. Wenn Renzi jetzt das Regierungsbündnis mit der NCD übernimmt, steht er auf Lettas Schultern.
Renzis Risiko
Vor allem scheint es bei diesem Wechsel um symbolische Politik zu gehen. Renzi verspricht „das Neue“, womit er vor allem sich selbst meint. Das PD-Direktorium, das ihm mit überwältigender Mehrheit folgt, schließt sich damit der Personalisierung der Politik an, die alle Lager erfasst hat. Die Rechte ist Berlusconi, die 5-Sterne-Bewegung ist Grillo, die Linke ist Renzi. Ihr Programm und ihr Versprechen, das sind ihre Personen.
Renzi sagt selbst, dass er mit der Entscheidung, selbst die Regierung zu übernehmen, „persönlich ein erhebliches Risiko“ eingehe. Mit Recht. Denn erstens tritt er sein Amt als Königsmörder an – Letta galt als integrer Mann. Zweitens könnte er sich in diesem Amt schneller verschleißen, als ihm lieb ist. Vorher war er als PD-Generalsekretär und Nicht-Regierungsmitglied ihr Antreiber und Kritiker zugleich, im nächsten Wahlkampf hätte er sich als unverbrauchte Kraft darstellen können. Diese komfortable Position gibt er nun auf. Und bricht damit auch ein öffentliches Versprechen, das seine demokratische Gesinnung und sein Selbstvertrauen zeigen sollte: Er werde eine Regierung erst dann bilden, wenn er die nächsten Wahlen gewonnen habe. Warum er dies jetzt aufs Spiel setzt? Vielleicht ist es schlichtes Machstreben, vielleicht glaubt er selbst an seine Omnipotenz. Sein Selbstvertrauen ist von sonniger Grenzenlosigkeit.
Berlusconi bleibt im Spiel
Auch auf die zukünftige Rolle Berlusconis dürfte Renzis Entscheidung Auswirkungen haben. Hier waren bisher die Rollen zwischen Letta und Renzi geteilt: Letta regierte mit einer Abspaltung aus Berlusconis Lager, die diesen selbst auf Distanz hielt. Während Renzi mit B. paktierte, um Strukturreformen – angefangen mit dem Wahlgesetz – durchzubringen. Wenn jetzt Renzi die Regierung selbst übernimmt, wird dieser Rollenteilung, die auch vorher eher schlecht als recht funktionierte, endgültig der Boden entzogen. Denn nun wird Renzi daran gemessen werden, ob er die von ihm angekündigten Strukturreformen weiter verfolgt. Mit Renzi als Regierungschef wird B. stärker als bisher im politischen Spiel bleiben, mit Auswirkungen auf den Inhalt der Strukturreformen selbst. Als Letta vor einigen Wochen ankündigte, nun vielleicht doch das Thema „Interessenkonflikt“ anpacken zu wollen, soll Renzi, der seine Achse zu Berlusconi gefährdet sah, PD-intern höchst erbost reagiert haben. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was jetzt zu erwarten ist.
Es gibt allerdings einen Punkt, in dem vielleicht Renzis Amtübernahme eine wirkliche Wende darstellt. Er kündigte an, die von ihm geführte Regierung nun doch bis zum Ende der Legislaturperiode (2018) am Leben erhalten zu wollen. Die Regierung Letta wollte eigentlich nur das Jahr 2014 überstehen. Auch wenn sich Renzis Pläne in der späteren Realität als Wunschdenken erweisen sollten, so stellen sie doch einen Perspektivwechsel dar, der nicht nur von Napolitano („Stabilität“!), sondern auch von den kleineren Bündnispartnern der PD (Zentrum und NCD) begrüßt wird. Denn sie befürchten sowieso, mit dem neuen Wahlgesetz bei der nächsten Wahl zwischen den großen Lagern zermahlen zu werden. Das würde zumindest hinausgeschoben. Berlusconi bliebe zwar im Spiel. Aber im Jahr 2018 wäre er 82.