Das Einwanderer-Ghetto im Herzen Roms

Vorbemerkung


Der Artikel von Carlo Picozza über eine „wilde“ Immigranten-Zuflucht in Rom stand am 13. 1. 2014 in der „Repubblica“. Wir bringen Auszüge, obwohl wir nicht wissen, ob sich in dieser Zuflucht inzwischen etwas verändert hat. Denn die Zustände sind typisch für die „Willkommenskultur“, mit der unser Kontinent die Flüchtlinge empfängt, die es schaffen, europäischen Boden zu betreten. Bevor wir uns über die „italienischen Zustände“ erheben, nach dem Motto: Das könnte bei uns nicht passieren, sollten wir uns erinnern: Gerade auch Deutschland sorgte dafür, dass die Zuständigkeit für die Flüchtlinge bei den „Einreiseländern“, das heißt. im Normalfall bei den den süd- und osteuropäischen Ländern liegt („Dublin 2“). Was in Griechenland, Italien, Spanien, in Tunesien, Libyen und Marokko und im gesamten Mittelmeer-Raum mit Flüchtlingen aus Afrika und Asien geschieht, ist der deutschen Regierung bekannt. Und deshalb, so behaupten wir, von ihr auch gewollt.


„In der Curtatone-Straße Nr. 3 im Zentrum von Rom ist Lampedusa, und ein Stück südliche Sahara. In einem alten Verwaltungsgebäude überleben 450 Eritreer, meist Flüchtlinge und politisch Verfolgte, mit etwa 50 Kindern.

Sie schlafen auf dem Fußboden, in Fluren und Büroräumen voller Staub und Mäusen. Hinter dem Eingangstor zusammengedrängt und kaum verdeckt durch die schmutzigen Scheiben hält immer eine 40-köpfige Truppe Wache, die sich dabei abwechselt, diesen Vorposten der Verzweiflung im Herzen der Hauptstadt gegen Angriffe von außen zu verteidigen.

Unterkünfte für Eriträer in Rom

Unterkünfte für Eriträer in Rom

Junge und ganz junge Leute. Die die Überquerung des Mittelmeers überlebten, Strapazen auf den Märschen durch die Wüste, Misshandlungen in libyschen Internierungslagern, Übergriffe der Schlepper. Und die auch Bekanntschaft mit der Willkommenskultur Italiens machten, als sie ‚unter inhumanen Umständen eingesperrt wurden‘, wie einer erzählt.

Odyssee der Flüchtlinge durch Rom

In Rom wusste man von der Ansiedlung von 500 Eritreern und Äthiopiern in einem verlassenen Gebäude des Wirtschaftsministeriums im Collatino-Viertel. Nach den europäischen Sanktionen gegen Italien redete und schrieb man über 1000 Eritreer, Äthiopier, Somalier und Sudanesen, die seit Jahren zwischen baufälligen Mauern und eindringendem Wasser in einem verwahrlosten und einsturzgefährdeten Gebäude im Romanina-Vierteil leben. Man kannte das Barackendorf, dass ca. 100 Eritreer und Äthiopier bei der Mammolo-Brücke errichteten. Nun erfährt man von einem weiteren Immigranten-Ghetto im Herzen Roms. Weil jemand, der aus einer Nachbarstraße in den Keller eingedrang, das Stromkabel kappte und einen Blackout erzeugte. So dass die dort lebenden Einwanderer seit 5 Tagen ohne Strom sind. Und damit auch ohne Wasser, das in Wannen gepumpt werden muss. Seitdem lebt man dort unter unmenschlichen Bedingungen.

‚Wir leben und das muss reichen‘, sagt der 23-jährige Yohanns Mhretaab, der im Mai 2011 mit 250 Leidensgenossen Lampedusa erreichte. ‚Während der viertägigen Bootsfahrt starben drei Kinder und ein junger Mann. Schon 2009 hatte ich versucht, Sizilien zu erreichen und dafür zum ersten Mal 1000 € an die Schlepper bezahlt. Aber ein italienisches Schiff brachte mich zusammen mit den Anderen sofort nach Libyen zurück‘.

Das Ghetto in der Curtatone-Straße

Seit dreieinhalb Monaten leben sie nun dort, ein paar Schritte von der Stazione Termini entfernt. ‚Jetzt haben wir wenigstens ein Dach über dem Kopf‘, sagt Selam H., ‚ich habe länger als ein Jahr auf der Straße geschlafen‘. Der eritreische Priester Don Mosè Zerai .., der sich um afrikanische Flüchtlinge kümmert, erzählt: ‚Zunächst wurde das Gebäude von einer Gruppe von Eritreern zusammen mit einer Hausbesetzer-Initiative besetzt. Dann forderten die Immigranten gemeinsam mit einer Wohnrecht-Initiative ein Treffen mit der Kommune und mit der Präfektur‘. Vor einigen Tagen erklärte man ihnen: ‚Bleibt erst einmal dort, bis sich eine angemessene Unterbringung findet.‘

Wenige Stunden später lag das gesamte Gebäude im Dunkeln. Ein Blackout für das gesamte Stadtviertel hatte es schon früher mal gegeben. ‚Da kamen gleich die zuständigen Leute und haben überall den Schaden behoben‘, sagt Don Zerai. ‚Aber das Gebäude in der Curtatone-Straße hat seitdem keinen Strom mehr.‘ Ein Mitarbeiter von Habeshia fügt hinzu: ‚Auch diese Ansiedlung ist das Ergebnis von 20 Jahren Nichtstun: Es fehlen ein Asylgesetz und angemessene Aufnahmestrukturen‘.

Ja, die Willkommenskultur.

Wenn man die Bewohner der Curtatone-Str. Nr. 3 sieht, wie sie an einem öden Sonntag mit Plastiktüten voller Lumpen und ihren Kindern an der Hand die Treppen hochsteigen, die schon am frühen Nachmittag dunkel sind, dann erinnert das an die Bilder, die in den Weihnachtstagen aus dem Lager für Identifikation und Rückbringung in Lampedusa übertragen wurden. ‚Sie haben uns vergessen‘, sagt ein 20-Jähriger. Er ist desorientiert und verängstigt, er hat das Massaker vom 3. Oktober überlebt, dem fast 400 zum Opfer fielen. Um zu reden, kommt er raus und erklärt im Lichtschein einer nahen Bank: ‚Es wäre schön, wieder Licht und Wasser zu haben. Aber hier geht es uns immer noch besser als in unserem Land, denn hier haben wir die Hoffnung auf ein besseres Leben noch nicht verloren‘.“

Nachbemerkung der Redaktion


Das Logo des Projekts

Das Logo des Projekts

Für den Raum Hannover bereiten wir gemeinsam mit einer Projektgruppe eine szenische Lesung mit Musik „Lampedusa, 3. Oktober 2013“ vor. Der Text der Lesung beruht auf Äußerungen von Flüchtlingen, die die Katastrophe überlebten, ihrer Retter und einiger Behördenvertreter und Politiker. Die Vorpremiere findet am 18. März 2014 um 17 Uhr im Gebäude der IG Bergbau, Chemie, Energie am Königsworther Platz 6 in Hannover statt, die Premiere – mit Sprechern des Schauspielhauses – am 30. März in der Cumberlandschen Galerie, Prinzenstr. 9. Am Ende der Lesung finden offene Gespräche mit Gästen statt. Der Eintritt ist frei, es werden Spenden für die örtliche Flüchtlingsarbeit erbeten. Für weitere Informationen siehe auch www.lampedusa-hannover.de.